Abo

Der NeueFrank-Walter Steinmeier könnte das Amt des Bundespräsidenten neu definieren

Lesezeit 6 Minuten
Frank-Walter Steinmeier

Der neue Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Nach zwanzig Minuten passiert es, ganz kurz nur. Die Kanzlerin gähnt. Der neue Bundespräsident ruft in seiner Antrittsrede nach der Vereidigung im Reichstag, in seiner ersten großen programmatischen Ansprache gerade zum wiederholten Male dazu auf, die Demokratie „gegen Populisten unterschiedlicher Couleur“ zu verteidigen – da wird Angela Merkel auf der Regierungsbank von Sauerstoffmangel oder Mittagsschwere überwältigt. Oder eben von der Macht des Wortes von Frank-Walter Steinmeier.

Am Ende bekommt Steinmeier stehende Ovationen

Es ist aber auch eine besonders schwergängige Passage zur Bedeutung der lebendigen Debatte für das Vertrauen in unsere wirtschaftliche und politische Ordnung, durch die er da gerade führt, im gleichen Tonfall wie in den 20 Minuten zuvor und den zehn, die folgen. Viel „Hoffnung erhalten“ und „Versprechen erneuern“, viel Sonntagsrede also.

Am Ende wird er trotzdem stehende Ovationen bekommen, sogar von der Linkspartei.

Alles zum Thema Frank-Walter Steinmeier

Denn die Rede hatte ja auch starke Passagen. Am Anfang, als er dem türkischen Präsidenten Erdogan zurief, mit den Nazi-Vergleichen aufzuhören, den Rechtsstaat zu achten und den deutschtürkischen Journalisten Deniz Yücel freizugeben. Und am Ende, als er das moderne, bescheidene Nachkriegsdeutschland zum Verteidiger der westlichen Werte ausruft.

Und dazwischen, naja, man hatte sich doch darauf eingestellt, als man Steinmeier vom langjährigen Außenminister zum Bundespräsidenten machte. Auch die Bürger wollten es so, den Umfragen nach. Einen, den sie kennen.

Wohltemperiert, mit bedeutungsschwangeren Formulierungen

Also steht da nun Steinmeier, 61, dunkler Anzug, weißes Haar, und redet wie immer: wohltemperiert, mit bedeutungsschwangeren Formulierungen und, in dieser halben Stunde, genau einer Gelegenheit zum Schmunzeln.

Aber das liegt vielleicht auch an den schwierigen Zeiten.

Und nicht nur Bundestagspräsident Norbert Lammert und Steinmeiers Vorgänger Joachim Gauck betonen es an diesem Tag, auch viele in Politik und Medien finden, dass Steinmeier für diese schwierigen Zeiten genau der Richtige sei.

Er ist der beliebteste Politiker der Republik, schwebte als Außenminister ohnehin seit Jahren über dem Parteienstreit. Als Politiker geprägt im Maschinenraum der Macht, in der politischen Verwaltung, im Hintergrund als Strippenzieher, gilt er als Pragmatiker, Realpolitiker – keiner, mit dem die Emotionen oder Ideale durchgehen. Ein Beruhigungsmittel gegen die Erdogans, Putins, Trumps.

Bei genauerem Hinsehen aber, und das beginnt ja in diesem Moment im Reichstag, kann man immer noch staunen, dass dieser Mann an dieser Stelle gelandet ist.

Was steckt hinter dem Mann Frank-Walter Steinmeier?

Drei Tage zuvor, an einem verregneten Sonntag, ist Steinmeier mit seiner Frau Elke Büdenbender in seinen neuen Amtssitz eingezogen. Eine streng nach Protokoll orchestrierte „symbolische Übergabe der Amtsgeschäfte“. Gauck, der als Quereinsteiger ins höchste Staatsamt kam, hatte vor fünf Jahren an gleicher Stelle noch gesagt: „Das Herz puckert schon erheblich.“

Bei Steinmeier kommt keiner auf die Idee, ihn nach seinen Gefühlen zu fragen. Das ist der Unterschied zu Gauck, und das ist bei genauerem Hinsehen Steinmeiers Schwäche als Berufspolitiker: Was ist eigentlich seine Lebenserzählung? Das Thema, für das er mit seiner Person und Biografie steht, und das nun seine Präsidentschaft prägt?

In seiner Antrittsrede dekliniert er die Bedrohungen und Gefahren für die liberale Demokratie durch. Es geht um Europa, um Deutschlands neue Rolle in der Welt und die aktive Bürgerschaft. Mit Leben kann er diese abstrakten Gedanken nur füllen, indem er von Begegnungen mit dem Wahlvolk spricht, wie ein Politiker eben.

Hinweise auf ein Lebensthema, das vergleichbar wäre mit Gaucks Freiheitssehnsucht nach seinem DDR-Leben, gibt es in Steinmeiers Biografie kaum. Am ehesten könnte er seine Aufsteigergeschichte in die heutige Zeit übersetzen: 1956 im ostwestfälischen Lipperland geboren als Kind eines Tischlers und einer Fabrikarbeiterin, war Frank-Walter der erste Steinmeier, der studieren konnte.

Ein Lebensweg voller beeindruckender Karrieresprünge

Als der 1990 Ministerpräsident von Niedersachsen wird, bekommt Steinmeier nach seinem Jura-Abschluss in Gießen einen Anruf von seiner einstigen Kommilitonin, Brigitte Zypries. An diesem März-Mittwoch, 27 Jahre später, folgt sie Steinmeiers Vereidigung in grünem Blazer und mit breitem Lächeln, beide am Ende einer langen Laufbahn als Berufspolitiker, er als Staatsoberhaupt, sie als gerade überraschend nachgerückte Wirtschaftsministerin.

Damals empfahl sie Steinmeier, sich für einen Posten in Schröders Staatskanzlei zu bewerben. Wenig später fängt er dort tatsächlich als Medienreferent an – und steigt in nur drei Jahren zum Büroleiter des Regierungschefs auf.

Es ist der erste von mindestens vier erstaunlichen Karrieresprüngen Steinmeiers, die sich aus heutiger Sicht nicht allein mit Fleiß und Gelegenheit erklären lassen.

Schröder war jedenfalls nie ein großer Aktenleser, dafür hatte er Steinmeier. Besser eingearbeitet ist selten jemand. Aus dieser Zeit stammt Steinmeiers Ruf als Pragmatiker, als Technokrat. Überkorrekt, übervorsichtig. Womöglich ist ihm gerade so ein Fehler passiert, der bis heute nachhängt: als Kanzleramtschef schlug er 2002 das Angebot der Amerikaner aus, den Deutschtürken Murat Kurnaz aus Guantánamo zu entlassen, beließ ihn vier Jahre ohne Anklage im Lager. Eine Entscheidung aus Vorsicht, nach Aktenlage.

Ein rasanter Wechsel zum Außenminister

Der zweite beachtliche Schritt in Steinmeiers Karriere folgt 2005: Obwohl Schröder abgewählt ist und die SPD Merkels Juniorpartner wird, setzt der scheidende Kanzler seinen weitgehend unbekannten Freund Frank als Außenminister durch. Ein solcher Wechsel vom Maschinenraum aufs Sonnendeck ist kein reiner Glücksfall, dahinter steckt auch die Bereitschaft, zuzugreifen. Machtwillen.

Das beweist sich erneut, als Steinmeier 2009 für seine SPD als Kanzlerkandidat gegen Merkel antritt. Und noch einmal, als er mit 23 Prozent zwar das schlechteste SPD-Wahlergebnis der Nachkriegszeit einfährt – sich aber trotzdem noch in der Wahlnacht zum neuen Fraktionschef ausruft.

Zwar sagen alle seine Vertrauten, die Niederlage haben bis heute Narben hinterlassen. Aber auch Vernarbte können Machtwillen zeigen, und so scheute Steinmeier auch im Rennen ums Bundespräsidentenamt im letzten Herbst – anders als zuletzt oft zu lesen war – keineswegs vor einer Kampfkandidatur gegen einen Unions-Kandidaten zurück. Nur hatte Merkel ihre Partei am Ende eben überzeugt, Steinmeier sei nun die „Entscheidung der Vernunft“. Und tatsächlich ist Steinmeier über die Jahre ja gewachsen.

Steinmeier ist über die Jahre gewachsen

Seine Reden sind besser geworden, er hat einige Sätze geprägt, allen voran die Erkenntnis, „die Welt ist aus den Fugen“. Er wurde in seiner zweiten Amtszeit zum Krisenminister zwischen Ukraine- und Syrien-Krieg, Brexit und Flüchtlingsansturm.

Wichtiger als das aber, jedenfalls fürs neue Amt: In seinem brandenburgischen Wahlkreis lernte Steinmeier seit 2009 auch das Menscheln. Jeder dort schwärmt über den volksnahen Außenminister, der den Bürgern vor Ort half, Millionen zur Sanierung verfallener Wohnsiedlungen zu beschaffen oder das beste Loriot-Denkmal für dessen Geburtsstadt Brandenburg an der Havel auszuwählen. Es wurde ein Rudel bronzener Waldmöpse.

Am Mittwoch gab Steinmeier noch einen Hinweis auf seine künftige Agenda: „Ich will an die Orte der deutschen Demokratie gehen“, sagte er, „und vor allem hin zu den Menschen, die sie leben und beleben.“

Im Kopf des Ex-Außenministers reift, nach allem, was man hört, die Idee eines Bürgerpräsidenten. Weniger Sonntagsreden, mehr direkte Treffen und Dialogrunden vor Ort.

Es würde seinen Stärken entgegenkommen. Und es wäre die vollendete Wandlung des Frank-Walter Steinmeier.

Das könnte Sie auch interessieren:

KStA abonnieren