Drogenbeauftragte„Dass Cannabis illegal ist, habe ich mir nicht ausgedacht“

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CSU-Abgeordnete Marlene Mortler

Köln – Frau Mortler, waren Sie vor einiger Zeit auch im Rausch und sind den Pokémons hinterhergejagt?

Marlene Mortler: Ich habe das meinen Mitarbeitern überlassen, die anfangs mit großer Begeisterung geübt haben. Aber die Faszination ist dann doch schnell abgeflacht, und alle hatten Wichtigeres zu tun

Was ist Ihnen so als Drogen- und Suchtbeauftragte durch den Kopf gegangen, als sie von dem Hype gehört und gelesen haben? Waren Sie nicht beunruhigt?

Mich bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Ich habe mir zunächst gedacht: Ist doch gut, dass sich die Leute nicht nur im Zimmer aufhalten, sondern auch mal nach draußen bewegen.

Der Pokémon-Jäger sozusagen als Frischluft-Alternative zum Nerd?

Wenn Sie so wollen, ja.

In jüngster Zeit wird allerdings verstärkt über die Gefahren der Digitalisierung für Gesellschaft, die Jugend, unsere Lebensweise diskutiert. Ist die Digitalisierung für Sie eher Fluch oder Segen?

Digitalisierung hat unser Leben so verändert wie kaum eine Entwicklung vorher. Als Drogenbeauftragte muss ich zwar immer die Risiken im Blick haben, aber natürlich bietet sie auch unendlich viele Chancen. Deshalb: Es geht nicht darum, wie wir die Digitalisierung finden. Wir müssen den Umgang mit den neuen Medien lernen. Wir müssen eine Balance finden zwischen online und offline.

Ist diese Balance gefährdet?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten zu spielen, zu chatten – leider oft mit einem hohen Suchtpotenzial. Das neue Problem ist folgendes: Eine Zigarette könnte ich aus der Hand legen und sagen: ich brauche sie nicht mehr zu meinem Leben. Computer und Smartphone jedoch sind aus dem Leben nicht fortzudenken. Deshalb ist es so wichtig, dass wir von Kindesbeinen an gut damit umzugehen lernen.

Ab wann sprechen Sie von Online-Sucht?

Von Sucht sprechen wir, wenn die normale Tagesstruktur, die sich an Schule, Ausbildung, Arbeit und Familienleben ausrichtet, nicht mehr im Vordergrund steht. Wenn sich alles darum dreht, im Netz zu sein oder Spiele fortzusetzen. Wenn nicht mehr die reale Welt interessiert, sondern nur noch die virtuelle. Man vernachlässigt seine Körperpflege, das ganze alltägliche Drumherum.

Wie viele Menschen muss man in Deutschland als online-süchtig bezeichnen?

Wir gehen von 560.000 süchtigen Menschen aus. Zwischen den 14- bis 24-Jährigen liegt der Anteil bei 2,4 Prozent, schaut man sich die 14- bis 64-Jährigen insgesamt an, kommt man auf ein Prozent.

Gibt es denn bestimmte Muster, warum Menschen in die Sucht rutschen?

Das ist natürlich sehr unterschiedlich. So gibt es denjenigen in einer WhatsApp-Gruppe, der auf jeden Fall wissen muss, was um 0.30 Uhr gemeldet wird – 24 Stunden online sein, um nichts zu verpassen. Das ist tendenziell das Thema von Mädchen und jungen Frauen. Jungs und Männer tendieren eher zu Computerspielen. Abhängigkeiten gibt es gerade bei Online-Rollenspielen, von denen viele mit Belohnungs- und Bestrafungsmechanismen arbeiten. Bleibst du dabei, kannst du in höhere Levels aufsteigen, schaltest du den Rechner aus, gibt es Schelte von den Mitspielern.

Und wie bekommen die Eltern die Kinder in die Realität zurück?

Das gelingt nicht per Knopfdruck. Da braucht man eine Reihe von Dingen. Eltern zum Beispiel sprechen häufig nicht mehr die Sprache der Kinder, kennen die Begriffe aus den Spielen nicht, wissen gar nicht, was ihre Kinder an den Spielen so begeistert. Wir wollen Eltern und Schulen fit machen, damit sie mit den Kindern ernsthaft über Computerspiele reden können. Außerdem: Es gibt heute eine ganze Reihe exzellenter Beratungsstellen in den Großstädten. Aber was ist mit den ländlichen Regionen? Zum 1. September startet jetzt OASIS, ein Online-Beratungsangebot, für das ich mich sehr eingesetzt habe. Wir bewegen uns hier auf Neuland, wie die Kanzlerin es einmal formulierte.

Gehen Sie eigentlich auch an die Spielehersteller ran und kritisieren das Suchtpotenzial ihrer Produkte?

Der Drogen- und Suchtrat, mein Beratungsgremium, wird Ende September ein Empfehlungspapier verabschieden, in dem es um Prävention und Früherkennung geht. Ein Thema ist dabei auch, wie man die Spieleindustrie in die Pflicht nehmen kann.

Wollen Sie mit Verboten drohen?

Ich appelliere erst einmal an Ehre und Verantwortung: Wie könnt Ihr Dinge unter Berufung auf die Wettbewerbsfreiheit auf den Markt werfen, von denen Ihr wisst, dass das Suchtpotenzial hoch ist? Wir denken an eine Zertifizierung, auch an die Bestimmungen zum Jugendschutz. Mir ist einfach wichtig, dass das Suchtpotenzial von Spielen bei den Altersempfehlungen Berücksichtigung findet.

„Sollen wir Cannabis legalisieren, nur weil es dem Zeitgeist entspricht?“

Kommen wir auf einen Bereich zu sprechen, in dem Sie weiter auf ein Verbot setzen: die Cannabis-Politik. Warum darf sich der Erwachsene nicht ein Haschisch-Pfeifchen anzünden, ohne das Gefühl zu haben: ich tue etwas Illegales?

Dass Cannabis eine illegale Droge ist, habe weder ich mir ausgedacht, noch wir Deutschen. Es ist eine weltweite Vereinbarung.

Es gibt aber mittlerweile Länder und US-Bundesstaaten, die sich über dieses Verbot hinwegsetzen. . .

Diese Länder sind aber nun wirklich nicht in der Mehrheit...

...noch nicht. Hat aber ja auch keiner gesagt. . .

. . . und man muss genau hinschauen. Uruguay etwa hat eine sehr strenge Regulierung und Kontrolle. Und zum US-Bundesstaat Colorado, wo die sogenannte Legalisierung am weitesten fortgeschritten ist, muss man ganz klar sagen: Da geht es nicht um die Gesundheit, sondern in erster Linie ums Geld. Cannabis ist dort zu einer Gelddruckmaschine geworden. Wer diesen Weg einschlägt, der verharmlost diese Droge. Cannabiskonsum ist gesundheitsschädlich. Warum sollen wir, wo wir mit legalen Drogen wie Alkohol und Nikotin bereits genug Probleme haben, eine weitere Droge legalisieren? Nur weil es dem Zeitgeist entspricht?

Einspruch. Diejenigen, die im Moment in der politischen Diskussion die Liberalisierung befürworten, sind weder Verharmloser noch Zeitgeister. So sagen zum Beispiel 120 deutsche Strafrechtler, das Cannabis-Verbot habe mehr Schaden angerichtet als es genutzt hat. Gerade der Schwarzmarkt erhöht Gesundheitsrisiken. Zudem hält es geschätzt vier Millionen Menschen nicht davon ab, zu kiffen. Alles Gesetzesbrecher?

Ich gehe von 600.000 Kiffern aus, die Suchtpotenzial haben, 200.000 sind abhängig und in Behandlung. Wenn Sie einmal eine stationäre Einrichtung besucht haben, wo junge Menschen behandelt werden, die Probleme mit Cannabis haben, dann denken Sie sicher anders über das Problem. Klar, viele haben mit Cannabis kein Problem. Aber zehn Prozent der Jugendlichen, die Cannabis konsumieren, tragen ernsthafte Schäden davon. Für mich sind das zu viele. Ich gehe davon aus, dass das Verbot mehr Menschen davon abhält, Cannabis zu konsumieren, als das Gegenteil. Was legal ist, wirkt auf viele erst einmal harmlos. Eine Legalisierung wäre auch deshalb ein gefundenes Fressen für Geschäftemacher.

Es geht ja politisch darum, mündigen Erwachsenen das Recht zuzugestehen, Haschisch oder Marihuana zu rauchen. Niemand will doch am Jugendschutz rütteln, ganz im Gegenteil ...

... genau, aber glauben Sie denn, es könnte ernsthaft gelingen, allein mit den Mitteln des Jugendschutzes Jugendliche vom Kiffen abzuhalten, wenn Haschisch und Co. erst einmal frei verkäuflich wären? Das gelingt bei Alkohol und Zigaretten auch nicht. Nun sagen Sie bitte nicht, dann müsse man die eben erst recht verbieten. Das ist nun wirklich unrealistisch. Aber Sie können mir glauben, dass ich alles mache, um den Alkohol- und Tabakmissbrauch zurückzudrängen. Eben deshalb fordere ich etwa ein Verbot der Plakatwerbung für den Tabak und schrecke auch nicht davor zurück, mich mit vielen anzulegen, um dieses Ziel zu erreichen.

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