Ex-Verfassungsgerichtshofs-Präsident BertramsNeuer Name schützt vor gesellschaftlichen Nachteilen

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Michael Bertrams kritisiert, dass Kindern fast zwangsläufig schulische und später auch berufliche Nachteile wegen eines ausländischen Namens drohen.

Michael Bertrams kritisiert, dass Kindern fast zwangsläufig schulische und später auch berufliche Nachteile wegen eines ausländischen Namens drohen.

In deutschen Telefonbüchern findet man neben Müller und Schmitz auch Familiennamen wie Kalbfleisch oder Tretwurst, Loch, Dumm und Hohl. Man ahnt, dass nicht alle, die so heißen, damit glücklich sind. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Es sind Namen, die anstößig oder lächerlich klingen und Anlass zu Spott und Häme geben können. Für derartige Fälle sieht das „Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen“ in Verbindung mit den hierzu erlassenen Verwaltungsvorschriften die Möglichkeit vor, sich von seinem Namen zu verabschieden.

Schon im Kindergarten wurden die Kinder in die Schublade „bildungsferne Migranten“ gesteckt

Anders verhält es sich nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Braunschweig mit einem türkischen Namen wie Arslan, Özcan oder Yildiz. Das Gericht erlaubte es einer deutsch-türkischen Familie nicht, ihren Namen zu ändern. Die Kläger mit deutscher Staatsangehörigkeit hatten vorgetragen, der bei der Eheschließung angenommene türkische Name des Mannes führe für ihre Kinder zu Diskriminierungen. Schon im Kindergarten habe man sie in die Schublade „bildungsferne Migranten“ gesteckt und auf Türkisch angeredet. Die Kinder hätten davon jedoch kein Wort verstanden, weil in ihrer Familie ausschließlich Deutsch gesprochen werde. Vor der Einschulung habe man von den Kindern ohne vorherige Prüfung ein Jahr Sprachförderung verlangt. Auch drohten ihnen später fast zwangsläufig schulische und berufliche Nachteile wegen ihres türkischen Namens.

Den Ärger und die Befürchtungen kann ich sehr gut nachvollziehen. Das Verwaltungsgericht aber hat sich von der Klage nicht beeindrucken lassen und eine Änderung des türkischen Familiennamens in den deutschen Geburtsnamen der Ehefrau abgelehnt. Ihm reichten die Argumente nicht aus. Schwerwiegende Beeinträchtigungen der Kinder aufgrund ihres Familiennamens - etwa gravierende psychische Probleme - seien nicht nachgewiesen worden. Ein ausländischer Familienname allein rechtfertige eine Namensänderung jedenfalls nicht.

Grundsatz der „Namenskontinuität“

Meines Erachtens greift die Entscheidung zu kurz, auch wenn sie der herrschenden Auffassung entspricht. Sie orientiert sich an dem für das deutsche Namensrecht maßgeblichen Grundsatz der „Namenskontinuität“. Danach besteht ein öffentliches Interesse an der Beibehaltung des überkommenen Namens, um soziale Orientierung und sicherheitspolitische Identifizierung zu ermöglichen. Dieses Interesse überwiegt grundsätzlich das private Interesse an einer Namensänderung. Es tritt nur ausnahmsweise zurück, wenn für die gewünschte Namensänderung - wie bei den erwähnten anstößigen Namen - ein „wichtiger Grund“ vorliegt. Ein solcher Grund besteht nach den maßgeblichen Verwaltungsvorschriften aber nicht schon dann, wenn der Familienname fremdsprachigen Ursprungs ist oder nicht deutsch klingt.

Letzteres halte ich für fragwürdig. Türkische Namen treffen im wirtschaftlichen und sozialen Leben in Deutschland nach wie vor auf erhebliche Vorurteile. So hat eine 2014 vorgelegte Untersuchung des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration nachgewiesen, dass Jugendliche mit türkisch klingenden Namen unter gleichen Ausgangsbedingungen schon in der Phase der schriftlichen Bewerbung um einen Ausbildungsplatz gegenüber Jugendlichen mit deutsch klingenden Namen benachteiligt werden. Benachteiligungen bei der Jobsuche bestätigt auch eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom Oktober 2014.

Nachhaltiger Schutz nur durch Namensänderung

Dem wird entgegengehalten, es sei nicht Aufgabe des Namensrechts, gesellschaftlichen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken. Außerdem gebe es das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“, um gegen Diskriminierungen vorzugehen. Dem stimme ich zwar grundsätzlich zu. Aber: Wer sich gegen eine Diskriminierung erfolgreich zur Wehr gesetzt hat, ist deshalb vor Wiederholungen keineswegs sicher, solange er den Namen trägt, an dem sich die Diskriminierung nun einmal festmacht.

Nachhaltigen Schutz verspricht hier nur eine Namensänderung. Wie ja auch bei den anstößigen Namen Spott und Häme erst dann ein Ende haben, wenn die Träger dieser Namen anders heißen. Verwaltungen und Gerichte sollten daher den vom Gesetz geforderten „wichtigen Grund“ bejahen und eine Namensänderung zulassen, wenn fremd klingende Namen eine Integration in das wirtschaftliche und soziale Leben hierzulande erschweren.

Die Braunschweiger Kläger erwägen, sich notfalls scheiden zu lassen, um ihren Kindern über diesen Umweg doch noch einen diskriminierungsfreien Familiennamen zu verschaffen. Diese Prozedur sollte ihnen die nächsthöhere Gerichtsinstanz ersparen. Schon im Kindergarten wurden die Kinder in die Schublade „bildungsferne Migranten“ gesteckt und auf Türkisch angeredet. Sie verstanden davon aber kein Wort.

Michael Bertrams war von 1994 bis 2013 Präsident des Verfassungsgerichtshofs NRW. Er schreibt im "Kölner Stadt-Anzeiger" über aktuelle Streitfälle sowie rechtspolitische und gesellschaftliche Entwicklungen.

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