FlüchtlingskriseWer verweigert Integration - Flüchtlinge oder der Staat?

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Innenminister Thomas de Maiziere

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere

  • Innenminister Thomas de Maizière will Sanktionen für Flüchtlinge, die Integrationskurse schwänzen.
  • Kritiker finden das höhnisch und meinen, der CDU-Mann sei der wahre Integrationsverweigerer.

Berlin – Thomas de Maizière hat ein neues Vorhaben: Wer Integrationskurse verweigert und Arbeitsangebote ausschlägt, soll nicht dauerhaft in Deutschland bleiben können - so will es der Bundesinnenminister. Das Ganze soll in ein Integrationsgesetz einfließen, an dem der CDU-Politiker derzeit arbeitet. Aber wie kommt de Maizière eigentlich darauf? Und wie sollen Menschen einen Kurs verweigern, wenn sie gar keinen Platz bekommen, fragen Kritiker.

269 Millionen Euro stellte der Bund 2015 für Integrationskurse bereit - das reichte für 190 000 Teilnehmer. In diesem Jahr sind es 559 Millionen Euro - genug für etwa 300 000 Teilnehmer. Hinzu kommen noch andere Kurse, zum Beispiel von der Bundesagentur für Arbeit (BA).

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl klagt, das alles sei viel zu wenig. „Wenn es Kurse gibt, sind die ruckzuck ausgebucht“, sagt Geschäftsführer Günter Burkhardt. „Wenn der Minister von Integrationsverweigerung redet, ist das dreist, weil er gar nicht für ausreichend Plätze sorgt.“ De Maizière setze mit seinem Vorstoß ein Gerücht in die Welt und lenke davon ab, dass Asylverfahren zu lange dauerten und Integrationsangebote fehlten. Burkhardt rechnet mit einem Bedarf von 600 000 bis 800 000 Plätzen in Integrationskursen in diesem Jahr - weit mehr also als vom Bund eingeplant.

Auch Annelie Buntenbach aus dem Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes sagt: Statt über Sanktionen zu sinnieren, solle der Minister lieber die Asylverfahren beschleunigen. „Der Integrationswille, dem de Maizière meint mit Zwang nachhelfen zu müssen, ist erheblich größer als das Angebot der Bundesregierung.“ Für die zeitweise von der BA finanzierten Deutschkurse etwa hätten sich statt erwarteter 100 000 mehr als 220 000 Menschen angemeldet.

Der BA-Chef und Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Frank-Jürgen Weise, räumt ein, es gebe eine Lücke beim Angebot. Für die derzeitige Lage reichten die eingeplanten Plätze aus. Aber wenn das BAMF es wirklich schaffe, in diesem Jahr den riesigen Berg von offenen Asylverfahren abzuarbeiten, seien wohl eher 500 000 Plätze nötig. Bliebe eine Lücke von 200 000 Plätzen.

Organisatorische Schwierigkeiten

De Maizière macht dezente Hoffnung auf mehr Geld - wenn es den Bedarf gebe. „Wir werden dann einen Weg finden“, sagt er. Aber im Moment gebe es eher Probleme beim Schaffen von Plätzen und der Suche nach Lehrkräften - nicht bei der Finanzierung.

Organisatorische Schwierigkeiten gibt es durchaus. Es fehle an Räumen und Lehrern, sagt Simone Kaucher vom Deutschen Volkshochschulverband - dem größten Träger von Integrationskursen. Allein die Volkshochschulen gehen von einem zusätzlichen Bedarf von 5000 Lehrkräften in diesem Jahr aus. Das Problem: Die Pädagogen verdienten mit 23 Euro pro Unterrichtseinheit zu wenig. Inklusive Vor- und Nachbereitung sei dies „eine Vollzeitbeschäftigung mit um die 1000 Euro netto“, sagt Kaucher. Viele Pädagogen gingen da lieber an eine Schule, wo sie eine sichere Stelle haben und mehr Geld verdienen.

Die Anbieter kommen also kaum hinterher, den Bedarf zu decken. Der ist groß - und wächst weiter. Integrationskurse stehen nicht nur für Flüchtlinge offen, sondern auch für andere Ausländer - etwa EU-Bürger, die nach Deutschland ziehen, oder jene, die per Familiennachzug ins Land kommen. Bislang machten Flüchtlinge nur einen sehr geringen Teil der Teilnehmer aus. Das ändert sich durch den großen Andrang von Asylbewerbern in Deutschland.

Seit dem Herbst können auch Menschen, die noch im Asylverfahren stecken, einen Integrationskurs besuchen - zumindest, wenn sie eine Aussicht von mehr als 50 Prozent haben, in Deutschland bleiben zu dürfen. Das gilt für Menschen aus Syrien, Eritrea, dem Irak und Iran.

Afghanen dagegen gehen erst mal leer aus. Bei ihnen liege die Schutzquote mit derzeit rund 47 Prozent knapp unter der Anforderung, erklärt Pro Asyl. Dabei gehören die Afghanen zu einer der größten Gruppe von Asylsuchenden in Deutschland. Pro Asyl kritisiert, mit den Afghanen schließe das Innenministerium „willkürlich“ eine große Gruppe von Menschen von der Integration aus. „Und die Mehrheit dieser Menschen bleibt hier - muss aber monatelang warten, bis sie Chancen auf einen Integrationskurs hat“, sagt Burkhardt. Auch andere Asylbewerber müssen zum Teil lange warten, bis sie ihr Ok für einen Integrationskurs bekommen. Schuld ist die Bürokratie.

Sanktionen bestehen bereits

Praktiker fragen sich ohnehin, woher die Annahme kommt, es würden viele Menschen Integrationskurse ablehnen. Sie berichten von einer großen Lernbereitschaft und Wissbegierde bei vielen Flüchtlingen. Eine Statistik zur Zahl der „Integrationsverweigerer“ gibt es auch gar nicht - das räumt das Innenressort offen ein. Und Sanktionen gibt es schon heute: Wer zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet ist, aber nicht hingeht, dem drohen Kürzungen der Sozialleistungen, Bußgelder oder eine Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis.

Dabei sei es für einen Flüchtling nicht immer leicht, sich an alle Bedingungen zu halten, meint Kaucher: „Viele sind krank, andere müssen eine Kinderbetreuung finden oder viele Behördentermine erledigen.“ Die Kurse seien aber eine „Vollzeitbeschäftigung“ über viele Monate. Fehltage müssten schriftlich begründet werden. „Das ist ein hoher Aufwand für jemanden, der nach langer Flucht hier angekommen ist.“

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