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Gastbeitrag von Frank-Walter SteinmeierKolumbien zeigt, dass Frieden möglich ist

Lesezeit 4 Minuten
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Begleitet von Friedenstauben: Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos trägt den Friedensvertrag zum Kongress.

Berlin – Das britische Austrittsvotum, der gescheiterte Putschversuch in der Türkei, Flucht, Krieg und Vertreibung in Syrien – in diesen Wochen liest man nicht viele gute Nachrichten in der Zeitung. Umso wichtiger und ermutigender ist das, was in diesen Tagen in Kolumbien geschieht. Das Land litt über Jahrzehnte unter einem blutigen Bürgerkrieg. Über sechs Millionen Menschen mussten in diesem Konflikt ihre Heimat verlassen. Kolumbien ist nach Syrien das Land mit den weltweit meisten Binnenvertriebenen.

Doch nun gibt es Grund zur Hoffnung: Die Regierung und die Guerillabewegung FARC  haben Ende Juni in Havanna einen „beiderseitigen und definitiven Waffenstillstand“ geschlossen und die Entwaffnung der Rebellen verabredet:  Vor wenigen Tagen wurde das abschließende Abkommen unterzeichnet, über das seit 2012 verhandelt wird. Kolumbien, das zu einem failing state zu werden drohte, meldet sich zurück. Mit seinem großen Potential kann es eine bedeutende regionalpolitische Rolle übernehmen.

Das ist gut und wichtig. Genauso wichtig ist aber das Hoffnungszeichen, das Kolumbien für die ganze Welt setzt. Die Chance auf Frieden kommt nicht von ungefähr, sie ist das Ergebnis entschlossener und hartnäckiger staatlicher Politik und sehr schwieriger Verhandlungen. Der Konflikt schien so lange unüberwindlich: Er dauerte mehr als ein halbes Jahrhundert, kostete mehr als 340.000 Menschen das Leben und hat Millionen ihrer Heimat beraubt. Dass er zu Ende geht, zeigt: Entschlossene Diplomatie,  gute Regierungsführung und eine wache, engagierte Zivilgesellschaft können auch schwierigste Konflikte lösen und Frieden bringen. Die Stabilisierung fragiler Länder ist möglich.

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Kolumbien sendet mit diesem Friedensschluss auch ein Signal für andere blutige, schier unlösbar erscheinende Konflikte in der Welt: Frieden ist möglich! Das ermutigt uns auf dem Weg, den wir für die deutsche Außenpolitik ausbauen und stärken: bessere zivile Instrumente zur Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung. Das habe ich in Kolumbien auch selbst erfahren. Zum Beispiel im Gespräch mit zwei Jugendlichen, die erstaunlich offen mit mir geredet haben. Sie mochten 18 oder 19 Jahre alt sein, und erzählten von ihrer Kindheit: Mit elf, zwölf Jahren hatte die FARC sie – mit mehr oder weniger Einverständnis ihrer Familien - rekrutiert, sie lebten und kämpften jahrelang im Dschungel Kolumbiens. Ich traf die beiden auf meiner letzten Reise nach Kolumbien in einem Zentrum für Demobilisierung und Reintegration. Dort wollen sie ein neues Leben beginnen, es ist ihre erste Chance auf ein ziviles, ein normales Leben.

367 Millionen Euro für den Friedensprozess

Deutschland unterstützt Demobilisierung, Integration und Aussöhnung. Ich habe den Bundestagsabgeordneten Tom Koenigs, einen langjährigen Kenner des Landes, zu meinem Persönlichen Beauftragten zur Unterstützung des Friedensprozesses in Kolumbien ernannt. Er ist ein gefragter Ansprechpartner und steht mit den verschiedenen Parteien regelmäßig in Kontakt.

Für diese Unterstützung haben wir, wie auch die EU und viele unserer Partner, viel Geld in die Hand genommen: aus Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit wurden in den letzten zehn Jahren 367 Milionen Euro für den Friedensprozess eingesetzt, zusätzlich seit 2014 auch Kredite in Höhe von 100 Millionen Euro pro Jahr. Mit unserem Geld werden in den Kriegsgebieten Minen geräumt. Minenopfern wird geholfen. Binnenvertriebene werden untergebracht und medizinisch versorgt. Wir helfen mit Projekten bei der Jobsuche und unterstützen Unternehmen an ihren neuen Wohnorten bei der Schaffung von Arbeitsplätzen. 

Unterstützung bei heiklen Fragen

Wir finanzieren Entwicklungsprojekte auf dem Land. Aber wir unterstützen auch die kolumbianische Justiz bei so heiklen Fragen wie der strafrechtlichen Aufarbeitung des Konflikts und der Rückgabe von enteignetem Land. Wir bieten an, geeignete Persönlichkeiten als Experten oder Richter für eine Wahrheitskommission oder Sondergerichtsbarkeit zu benennen. Vorantreiben werden wir auch den Aufbau des deutsch-kolumbianischen Friedensinstituts, um den Friedensprozess wissenschaftlich zu begleiten und Projekte zu beraten.

Der Weg bleibt steinig

Die wichtigste Dynamik kommt aus Kolumbien selbst. Es gibt ermutigende Ansätze zum Kompromiss  zwischen vormaligen Gegnern und Feinden und eine bewundernswerte Bereitschaft von Opfern, ihren Peinigern die Hand zur Versöhnung auszustrecken. Die Regierung von Präsident Santos hat bei den Verhandlungen nicht nur Führungsstärke gezeigt, sondern auch den notwendigen langen Atem gehabt für einen sich über mehrere Jahre hinziehenden, extern unterstützten Prozess.

Ein Meilenstein ist erreicht, aber der Weg zum vollständigen Frieden bleibt steinig. Er braucht Ermunterung, vor allem aber praktische Unterstützung. Entscheidend ist nach dem Friedensschluss mit der FARC, dass sich die Lage der Menschen spürbar verbessert. Deshalb ist es wichtig, auch mit der anderen Guerilla ELN zu einer Vereinbarung zu kommen. Deutschland ist auch bereit, diesen Verhandlungsprozess konstruktiv zu begleiten.

Enge Bindungen auf vielen Ebenen

Uns verbindet vieles mit Lateinamerika: langjährig gewachsene wirtschaftliche Bindungen, politisch und kulturell ähnliche Werte, Überzeugungen und Weltsichten, aber auch enge Kontakte zwischen  unseren Zivilgesellschaften, nicht zuletzt den Kirchen, sowie das Erbe der europäischen Auswanderung in den letzten Jahrhunderten. Dieser Kontinent mag uns geographisch fern sein, aber er ist uns in vielen Fragen  der Welt von morgen sehr nahe. Und Kolumbien kann uns und vielen anderen als Inspiration dienen. Auch deshalb haben wir ein Interesse daran, dass der Frieden endlich siegt in Kolumbien.

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