Abo

Gaucks Weihnachtsansprache„Wir spüren die Wut, aber die Wut hat uns nicht“

Lesezeit 3 Minuten
Gauck Weihnachtsansprache 231216

Bundespräsident Joachim Gauck bei seiner letzten Weihnachtsansprache im Schloss Bellevue.

Berlin – Bundespräsident Joachim Gauck hat angesichts der politischen Auseinandersetzungen nach dem Terroranschlag in Berlin dazu aufgerufen, das Augenmaß und die Achtung vor dem politischen Gegner zu bewahren. Es müsse diese Debatten geben, sagte er in seiner Weihnachtsansprache. Auch darüber, ob mehr getan werden müsse, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. „Aber gerade in Zeiten terroristischer Attacken sollten wir die Gräben in unserer Gesellschaft nicht vertiefen, weder Gruppen pauschal zu Verdächtigen noch Politiker pauschal zu Schuldigen erklären“, appellierte Gauck. 

Dieses Weihnachten sei anders als die vorangegangenen, stellte der Präsident fest. „Der Terror, den wir seit Jahren weltweit erleben, ist plötzlich vorgedrungen bis in unsere Hauptstadt. Die vielen Toten und Verletzten auf einem Berliner Weihnachtsmarkt haben uns zutiefst erschreckt und verstört.“ Und so seien nun Wut und Zorn, aber auch Gefühle von Angst und Ohnmacht über die Menschen gekommen. „Allerdings“, fügte Gauck an: „Wenn wir ganz genau hinschauen in diesen Tagen, dann erkennen wir noch mehr. Wir spüren die Angst – aber: Die Angst hat uns nicht. Wir spüren die Ohnmacht – aber: Die Ohnmacht hat uns nicht. Wir spüren die Wut – aber: Die Wut hat uns nicht.“

Joachim Gauck lobt Flüchtlingshelfer

Die Menschen seien vielmehr zusammengerückt als Gemeinschaft derer, die die Mitmenschlichkeit verteidigen. Ganz unterschiedliche Menschen hätten einander gesucht, und gestärkt, hätten einander Wärme und Nähe gegeben. Die christliche Weihnachtsbotschaft der Liebe könne dazu inspirieren, empfindsam, zugewandt und hilfsbereit zu leben. „Dann schlagen Wut und Zorn nicht in Hass um. Dann können sich Wut und Zorn in Kräfte verwandeln, die dem Hass, der Gewalt und der Verachtung des Anderen wehren. Dann bleibt unsere Gesellschaft ein Ort des solidarischen Miteinanders.“ Er beschreibe keine Wunschträume, sagte Gauck. „Ich rede von der Wirklichkeit. Zum Beispiel von den Berlinern, die ich getroffen habe. Augenzeugen des Anschlages, die, einem inneren Impuls folgend, sofort zu den sterbenden und verletzten Menschen eilten, um zu helfen und Gefahr für sich selbst nicht scheuten.“

Gerade an diesem Festtag wolle er deutlich sagen: „Dieses Land verdient das Vertrauen seiner Bürger. Auch gegenwärtig, da es mit ungelösten Problemen ringt.“ Dieses grundlegende Vertrauen hätten Unzählige mitbegründet, sagte der Präsident. Krankenschwestern, Lehrer und Soldaten ebenso wie Unternehmer und Gewerkschafter, Sozialarbeiter und alle, die dem Recht Geltung verschafften. Und schließlich die vielen Ehrenamtlichen, die etwa Flüchtlingen helfen und damit zeigten, dass man das Fremde nicht ablehnen und abweisen müsse, um das Eigene zu bewahren und zu leben.

„Gerade in Zeiten der Unsicherheit wissen wir das zuverlässige Wirken von so vielen Menschen zu schätzen. Nicht weil sie etwas Außergewöhnliches tun, sondern weil sie das Gewöhnliche außergewöhnlich gut tun. So können wir uns zu Hause fühlen in unserem Land. Und dafür will ich Ihnen danken“, sagte Gauck in seiner letzten Weihnachtsansprache. Seine Amtszeit endet im März.

Die Rede wird am 25. Dezember abends von den Fernsehprogrammen ausgestrahlt.  

KStA abonnieren