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Grüner MinisterpräsidentWinfried Kretschmanns Politik ist ein Muster ohne Wert

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Winfried Kretschmann wurde als Ministerpräsident wiedergewählt.

  • Unter Winfried Kretschmann verlassen die Grünen das linke Spektrum.
  • Doch auch andere deutsche Parteien haben Identitätsprobleme.

Berlin – Am Donnerstag kam ein weiterer Superlativ hinzu. Winfried Kretschmann ist nicht nur der erste grüne Ministerpräsident, sondern auch der erste dieser Couleur, der wiedergewählt wurde – mit der CDU als Juniorpartner. Der 67-Jährige ist zum Star der deutschen Politik geworden. Für ihn ist das schön, für seine Partei heikel.

Die Grünen waren – von ein paar Wertkonservativen und ostdeutschen Bürgerrechtlern abgesehen – seit jeher im linken Spektrum verwurzelt. In der Frühphase gab es darum beinharte Auseinandersetzungen, an deren Ende sich orthodoxe Linke wie Rainer Trampert, Thomas Ebermann oder Jutta Ditfurth verabschiedeten oder verabschiedet wurden. Mit dem von Joschka Fischer 1999 erzwungenen Ja zum Kosovo-Krieg und dem sich anschließenden Ja zum Afghanistan-Einsatz sowie der Zustimmung zur Agenda 2010 war die Zähmung des linken Flügels schließlich abgeschlossen. Zwar blieb die Forderung nach dem Atomausstieg lange das Alleinstellungsmerkmal der Partei. Als unter der Ägide Angela Merkels dann aber daraus Wirklichkeit wurde, hatten die Grünen daran keinen nennenswerten Anteil.

Linke Traditionen sind Vergangenheit

2013 haben sie versucht, den drohenden Identitätsverlust mit einem linken Steuererhöhungswahlkampf zu begrenzen. Treibende Kraft war der damalige Fraktionschef Jürgen Trittin. Seit seinem Rückzug aus der ersten Reihe indes hat sich die Identitätskrise eher noch verschärft. Kretschmanns Siege von 2011 und 2016 haben denn auch mit einiger Plausibilität die Option nahegelegt, die linken Traditionslinien noch konsequenter hinter sich zu lassen. Das jedoch wäre ein fataler Schritt.

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Kretschmanns Triumphe sind das Ergebnis einer perfekten Symbiose des Regierungschefs mit seinem Land. Der Ausflug des Katholiken ins kommunistische Milieu Anfang der 70er Jahre wirkt heute wie ein biografischer Unfall. Kretschmann ist in Auftreten und Denken ein Liberal-Konservativer, eine Persönlichkeit mit eigenwilliger Diktion – einer, der in kein Raster passt, schon gar nicht in ein grünes. Für die Partei kommt erschwerend hinzu, dass er Horst Seehofer näher steht als der eigenen Parteichefin Simone Peter. Für eine künftige grüne Programmatik ist Kretschmann ein Muster ohne Wert.

Zwar entwickeln sich die Grünen schon jetzt von einer realpolitischen zu einer superrealpolitischen Partei. Sie regieren in zehn Ländern, darunter in Baden-Württemberg mit der CDU, in Thüringen mit Linken und Sozialdemokraten, in Rheinland-Pfalz bald mit der FDP. Man muss den Eindruck gewinnen, dass sich die Braut hübsch macht für Schwarz-Grün im Bund. Doch würden die Grünen Kretschmanns Positionen vollends übernehmen, drohte ihnen eine Verwandlung bis zur Unkenntlichkeit.

Die Grünen als Politikanbieter

Kretschmann kann – im Gegensatz zu seiner Partei – dem Freihandelsabkommen TTIP ebenso etwas abgewinnen wie der Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten um Algerien, Marokko und Tunesien. Die Forderung nach Steuererhöhungen würde von Stuttgart aus gewiss bekämpft werden. Für die Grünen geht es jenseits des schwäbischen Erfolgspolitikers längst darum, ob sie sich einen Rest Idealismus bewahren können oder ob sie zu einem turbo-flexiblen Politikanbieter werden, der nirgends stört, aber auch nirgends gebraucht wird.

Es gibt überdies ein staatspolitisches Argument, das gegen das Kappen der letzten linken Wurzeln spricht. Denn so wie Gerhard Schröder die SPD von links in die Mitte manövrierte, zog Angela Merkel die CDU von rechts dorthin. Beide Parteien bezahlen dafür mit innerer Auszehrung. Der Bürger weiß nicht mehr, wen er wählen soll, weil fast alle Parteien einander ähneln. Das ist nicht nur eine Gefahr für die Grünen. Die Identitätsprobleme der Parteien schaden auch der Republik.

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