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Interview mit FDP-Chef Lindner„Jamaika? Auch nicht nach Neuwahlen“

Lesezeit 6 Minuten
Christian Lindner 211117

Christian Lindner auf einer Pressekonferenz zum Scheitern von Jamaika.

  • Die Mehrheit der Deutschen gibt Christian Lindner die Schuld am Scheitern von Jamaika.
  • Der FDP-Chef spricht im Interview über die Vorwürfe gegen ihn und die Fehler bei der Sondierung.

Herr Lindner, wie fühlen Sie sich als Buhmann der Nation?

Christian Lindner: Ich war mir über die Folgen unserer Entscheidung im Klaren. Deshalb sind wir mit uns im Reinen. Jamaika wäre keine stabile Regierung gewesen. Sie hätte das Land nicht vorangebracht. Deshalb wäre es verantwortungslos gewesen, nur um der Posten wegen in eine solche Konstellation einzutreten.

War Ihnen das Wohl der FDP und ihrer Wähler wichtiger als eine Regierung hinzukriegen?

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Irgendeine Regierungsbildung halte ich für unser Land nicht für gut. Ich erinnere an die Scharmützel zwischen CSU und Grünen hinter verschlossenen Türen. Die waren nicht weniger hart als mit uns. Wenn es vier Parteien einen Monat lang nicht gelingt, unter günstigsten Bedingungen bei Rekordbeschäftigung und vollen Kassen wenigstens das Absehbare zu planen, wie soll das erst bei einer krisenhaften Zuspitzung sein?

Sie haben gesagt, Ihnen habe die Rückendeckung der Bundeskanzlerin bei den Sondierungsgesprächen gefehlt. Können Sie das präzisieren?

Wir brauchen keine Rückendeckung von Frau Merkel. Wir wollten sehen, ob es eine Politik gibt, die man tragen kann. Das war nicht der Fall. Nur ein Beispiel: Wir sind Realisten und wissen, dass wir die Entwicklung in der europäischen Währungsunion nicht zurückdrehen können. Deshalb haben wir von unseren Maximalpositionen Abstand genommen. Aber die finanzpolitische Eigenverantwortung der Staaten wollen wir stärken, die Haftung deutscher Sparkassenkunden für Bankpleiten anderswo in Europa ausschließen. Neue Umverteilungstöpfe über das hinaus, was es gibt, lehnen wir ab. Da hatten wir mit der CDU/CSU eine Übereinkunft. Die ist in den letzten Stunden zugunsten der Grünen relativiert worden, die wollten Schritte in Richtung einer Transfer-Union gehen.

Hätte ein anderer Verhandlungsfahrplan zu einem erfolgreichen Abschluss der Sondierungen geführt?

Das Verfahren haben wir nicht begrüßt, aber es hatte keine Auswirkungen auf das Ergebnis. Die Grundvorstellungen waren unüberbrückbar. Am Ende gab es nur noch eine Frontstellung: Union und FDP schlagen eine Formulierung vor, die Grünen sind dagegen.

Am Schlafmangel hat es also nicht gelegen...

Nein. Um eins offen anzusprechen: Es war keine spontane Entscheidung am Sonntag. Schon vor und unmittelbar nach der Bundestagswahl habe ich die Wahrscheinlichkeit einer Jamaika-Koalition als gering bezeichnet. Die Grundanlage des Sondierungspapiers lief auf mehr Staat und das Zuschütten von Problemen mit mehr Geld hinaus. Das Scheitern war für niemanden eine Überraschung. Niemand ist kalt erwischt worden.

Was wäre gewonnen, wenn das Ergebnis einer Neuwahl ähnlich ausfiele wie am 24. September?

Wenn man so eine Entscheidung trifft wie wir es getan haben, verbietet es sich, über Neuwahlen zu spekulieren. Aber jetzt wissen die Menschen, dass Jamaika kein Sehnsuchtsort ist. Und es ist die Erkenntnis gewachsen, dass die Wahl von radikalen Parteien wie Linke und AfD die Handlungsfähigkeit des Landes reduziert. Die politischen Inhalte und die Glaubwürdigkeit der Parteien sind auf den Prüfstand gestellt worden. Deshalb wage ich keine Prognose, wie eine Neuwahl ausgeht. Wir fürchten sie nicht. Das wiederhole ich auch jetzt, wo die FDP in der öffentlichen Meinung in eine gewisse Defensive geraten ist.

Christian Lindner über Neuwahlen, Minderheitsregierung, Martin Schulz und Angela Merkel

Einer Ihrer Slogans bei der Landtagswahl in NRW war: „Nichtstun ist Machtmissbrauch“. Fällt Ihnen das jetzt vor die Füße?

Nein. „Nichtstun ist Machtmissbrauch“ stimmt. Aber das Falsche tun ist auch verantwortungslos. Bei den Koalitionen in Düsseldorf, Kiel und Mainz zeigen wir ja, dass wir das Richtige tun.

Glauben Sie, dass die FDP bei Neuwahlen besser abschneiden wird? Oder werden radikale Kräfte wie die AfD gestärkt?

Für letzteres sehe ich keinen Grund. Was eine Neuwahl mit der FDP macht, weiß ich nicht. Taktische Überlegungen haben für uns keine Rolle gespielt. Eine Wiederauflage einer großen Koalition mit grünen Einsprengseln – so war die Sondierung angelegt – konnten wir nicht mittragen. Aus NRW-Sicht schon gar nicht. Diese Politik hätte Industriearbeitsplätze gefährdet. Das hätte Parteien wie der AfD in die Hände gespielt. Hätten wir das gemacht, wären bei der Bundestagswahl 2021 CDU, SPD und AfD gleich groß gewesen.

Würden Sie eine schwarz-grüne Minderheitsregierung tolerieren?

In dieser Frage steckt die Vermutung, dass es bei Schwarz-Grün mehr Gemeinsamkeiten gibt als bei Schwarz-Gelb. Die Frage nach einer Minderheitsregierung ist rein spekulativ. Es gibt keinerlei Anfragen an uns. Nachdem wir diese schwierige Lage durch unsere Konsequenz herbeigeführt haben, werde ich keine Fragen beantworten, die sich noch gar nicht gestellt haben. Wir werden in jeder Konstellation eine konstruktive Rolle spielen. Ich bin kein Freund von Minderheitsregierungen. Auch eine schwarz-gelbe könnte nicht stabil sein. Es gibt kein entsprechendes Signal. Jetzt sind andere am Zug.

Was sagen Sie zum Kurs der SPD? Ist sie jetzt am Zug?

Selbstverständlich ist die SPD jetzt am Zug. Sie sollte sich zumindest der Mühe unterziehen, der wir uns vier Wochen lang unterzogen haben. Für die Sozialdemokratie ist doch die Hürde, in eine große Koalition mit Frau Merkel einzutreten viel niedriger als für die FDP, diese fortzusetzen. Frau Merkel wollte mit Jamaika doch das weitermachen, was sie in den vergangenen Jahren mit der SPD gemacht hat. Mit ein paar Zugeständnissen an die Grünen. Wo ist da das Problem für die SPD? Außer dem parteipolitischen Kalkül. Wir hätten unsere Identität und unsere Grundsätze aufs Spiel gesetzt.

Wie kann sich Martin Schulz aus dieser Klemme befreien?

Er ist in einer Kalamität. Er hat am Wahlabend noch vor Schließung der Wahllokale verkündet, dass die SPD den Gang in die Opposition antreten wird. Das hat er sicher nicht aus staatspolitischer Verantwortung heraus getan.

War es klug von Frau Merkel, gleich nach dem Scheitern der Sondierungen zu erklären, sie stünde als Spitzenkandidatin bei Neuwahlen wieder zur Verfügung?

Mich hat das nicht überrascht. Ich wage es nicht zu bewerten, ob das sinnvoll und klug ist. Wir orientieren uns an Inhalten.

Ist denn ein neuer Versuch für Jamaika vorstellbar?

Die Zeit der Offenheit für alles ist für uns einstweilen vorbei. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Grünen auf Bundesebene ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich. Die Steine, die sie uns jetzt hinterher werfen mit Verschwörungstheorien und Verunglimpfungen, wir seien eine rechtspopulistische Partei, bestätigen mich in dieser Bewertung.

Gilt das auch für die Zeit nach einer möglichen Neuwahl?

Absolut. Die Grünen werden ja dann keine ganz andere Partei sein. Wir schenken uns in Wahlkämpfen mit der CDU und der SPD auch nichts. Aber da ist wenigstens ein gewisser Respekt vorhanden. Die Grünen dreschen auf jemanden ein, der aufgrund seiner Klarheit eh schon in der Defensive ist.

Dann kann es im Bund ja nur noch große Koalitionen geben.

Nein. In NRW hat es ja auch für eine kleine Koalition aus CDU und FDP gereicht. Und die arbeitet sehr erfolgreich.

Wie geht es Ihnen persönlich? Fühlen Sie sich schlecht?

Nein. Ich bin FDP-Politiker und bin deshalb immer in einer Minderheitenposition. Die FDP-Hasser auf Facebook gab es immer schon. Ich bin stolz auf unsere Klarheit und Geschlossenheit.

Stehen Sie bei Neuwahlen als Spitzenkandidat wieder zur Verfügung?

Aber selbstverständlich. Bei der nächsten Wahl biete ich meiner Partei an, sie wieder in den Wahlkampf zu führen. Aber das kann auch 2021 sein.

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