Jürgen Trittin im Interview„Wenn alle nur Mitte sein wollen, wächst der rechte Rand“

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Trittin

Jürgen Trittin

Herr Trittin, in Österreich wird mit Alexander Van der Bellen ein Grüner Bundespräsident. Verblüfft Sie das?

Das freut mich außerordentlich, aber es verblüfft mich nicht. Es zeigt, dass man gegen den Rechtspopulismus gewinnen kann, wenn man die Auseinandersetzung offensiv annimmt. Klare Kante für die Demokratie zeigen bringt Erfolg. Das ist die erfreuliche Nachricht dieser Wahl – auch wenn es arschknapp war.

Zugleich wurden die Volksparteien SPÖ und ÖVP marginalisiert – ein Prozess, der sich auch in Deutschland immer stärker andeutet. Liegt darin womöglich eine Perspektive für die deutschen Grünen im Sinne der neuesten Forderung von Winfried Kretschmann, die Partei ganz in die Mitte zu ziehen? Sprich: Die Grünen werden selbst Volkspartei?

Wenn alle nur Mitte sein wollen, wächst der rechte Rand. Die Demokratie braucht den Streit um Alternativen. Wer wüsste das besser als wir Grüne. Wir sind der Gegenpol zu den rechten Populisten. Wir haben für die Energiewende gestritten und für mehr Bürgerrechte, als das noch marginalisierte, belächelte Minderheitenpositionen waren. Heute stehen sie für einen breiten Konsens in der Gesellschaft. Wir haben so – als Partei der linken Mitte – Politik für eine breite Mehrheit der Gesellschaft gemacht.

Ist Kretschmann der deutsche Van der Bellen? Beide kommen sehr bürgerlich rüber.

Tafelspitz und Gaisburger Marsch enthalten beide Rind, aber es sind unterschiedliche Gerichte. Flädle sind keine Frittaten. So ist Winfried Kretschmann der richtige Mann für die Villa Reitzenstein und Alexander van der Bellen für die Hofburg. Was sie verbindet, ist, dass sie jeweils der richtige grüne Mensch am richtigen Ort sind.

Der letzte Rebell der Grünen

Sie selbst wirken von außen wie der letzte Rebell ihrer Partei. Ist das so?

Nein, ich weiß mich mit meinen Positionen bei der großen Mehrheit der Partei sehr gut aufgehoben.

Trotzdem gibt es jetzt dieses Bild. Warum?

Das weiß ich nicht. Im Übrigen würde ich meine Rolle auch nicht überschätzen. Die Partei stand immer für Ökologie und soziale Gerechtigkeit. Damit sind wir überaus erfolgreich gewesen. Wir haben aus Positionen extremster Marginalisierung Konsense in dieser Gesellschaft gemacht. Das kann man sehen beim Atomausstieg, beim zumindest allgemeinen Bekenntnis zu erneuerbaren Energien und bei demokratischen Bürgerrechten. Ansonsten gibt es viele Fragen, bei denen sich zeigt, dass sie angesichts der neuen Polarisierung in dieser Gesellschaft nicht gelöst sind. Deutschland wird seine Klimaschutzziele sehr wahrscheinlich reißen. Außerdem wird das Maß an Ungleichheit in dieser Gesellschaft immer größer. Die Gesellschaft zerreißt. Dem stellen wir uns – und zwar als eine Partei der linken Mitte, die Politik für die ganze Gesellschaft macht.

Damit sind wir mitten drin in der Steuerdebatte. Die Grünen sind 2013 mit der Forderung nach umfangreichen Steuererhöhungen in den Wahlkampf gezogen und gescheitert.

Es geht im Kern nicht um eine Steuerdebatte, sondern um eine wirtschaftspolitische Debatte. In Deutschland wächst die Ungleichheit stärker als in anderen Staaten Europas. Die Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung besagen, dass die Mittelschicht schrumpft. Gleichzeitig haben wir eine sinkende Investitionsquote. Und es bleiben wesentliche Bereiche öffentlicher Infrastruktur liegen –  trotz sprudelnder Steuereinnahmen. In der Nähe meiner Berliner Wohnung hat man eine Brücke zehn Jahre lang nicht saniert, obwohl es nötig war, weil man die Schwarze Null nicht gefährden wollte. Nun kostet die Sanierung sechs Mal so viel. Die schnell wachsenden Kapitaleinkommen und Vermögen werden nicht investiert, sondern teils spekulativ irgendwo angelegt. Das ist keine nachhaltige Strategie für unser Land.

„Wir wollen zu einer Besteuerung sehr großer Vermögen kommen“

Nun hat Anton Hofreiter einen Vorstoß gemacht. Er will eine Vermögensteuer von einem Prozent bei Vermögen ab einer Million Euro. Reicht das?

Toni Hofreiter hat ausgesprochen, was strömungsübergreifend auf Parteitagen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen beschlossen wurde – dass wir zu einer Besteuerung sehr großer Vermögen kommen wollen. Das träfe keine Familienunternehmen, nicht die Mittelschicht und nicht einmal die obersten zehn Prozent dieser Gesellschaft, sondern nur ein Prozent. Es wäre eine Steuer, die allein auf das Vermögen der Superreichen zielt.

Noch mal: Reicht das?

Es würde für mehr Wohlstand in der Gesellschaft sorgen, weil wieder mehr investiert würde. Zusätzlich müssen wir unsinnige Subventionen abschaffen. Warum subventionieren wir Erträge aus Kapital? Mit einem Steuersatz von nur 25 Prozent besteuern wir Kapitaleinkommen niedriger als Einkommen von gut ausgebildeten und mittelprächtig verdienenden Arbeitnehmern mit einem Grenzsteuersatz von über 30 Prozent. Das ist ungerecht. Man muss die Abgeltungssteuer deshalb abschaffen. Gleiches gilt für ökologisch schädliche Subventionen. Warum müssen wir das Fahren eines großvolumigen Diesel-Geländewagens wie eines VW-Tuareg oder eines Porsche Cayenne mit bis zu 15000 Euro übers Dienstwagen-Privileg subventionieren und streiten uns zugleich über 2000 Euro Zuschuss für Elektrofahrzeuge?

„Wir sollten mit unseren Überzeugungen in den Wahlkampf gehen“

Man hat den Eindruck, dass ein Großteil der grünen Führung Schwarz-Grün anstrebt. Ist das allein wegen der demoskopischen Schwäche von Rot-Rot-Grün nicht auch vernünftig?

Es gibt seit 2013 eine Mehrheit rechts von der Mitte. Das hat sich durch das Aufkommen der AfD und der Pegida-Bewegung noch verstärkt. Wir sind deshalb selbst mit dem fantastischen Ergebnis von Baden-Württemberg gezwungen, lagerübergreifend Mehrheiten zu bilden, weil es für Grün-Rot nicht mehr reichte. Das macht die Lage schwieriger. Ich halte es dennoch für sinnvoll, sehr deutlich zu machen, wofür einzelne Parteien stehen – auch um dem Märchen, wir hätten ein politisches Kartell, gegen das sich der rechte Mob gewissermaßen mit Recht wenden würde, entgegenzutreten.

Das bedeutet konkret?

Ich rate zum Realismus, aber nicht zum vorauseilenden Gehorsam. Wir sollten mit unseren Überzeugungen in den Wahlkampf gehen. Wir sollten uns aufgrund möglicher Koalitionsoptionen nicht selbst beschränken. Ob es Mehrheiten etwa für Schwarz-Grün gibt, weiß heute niemand. Ob aus einer rechnerisch knappen schwarz-grünen Mehrheit am Ende eine politisch tragfähige Koalition von Horst Seehofer bis Christian Ströbele erwächst, ist nicht gewiss. Also können wir in eine Situation geraten, in der es auf eine Fortsetzung der großen Koalition hinausläuft. Das wiederum hätte, wie wir aus Österreich gerade lernen, sehr schwierige Konsequenzen. Gleichwohl muss es jenseits der AfD eine Partei geben, die Alternativen aufzeigt, wie dieses Land vernünftiger zu regieren wäre. Es darf kein Monopol der Rechten auf die Opposition geben. Wir sind immer gut damit gefahren, unsere Eigenständigkeit zu bewahren und klare Kante zu zeigen.

Ihr Verhältnis zu Winfried Kretschmann gilt als extrem belastet. Sie haben ihn kritisiert wegen seiner Haltung zu sicheren Herkunftsstaaten. Er hat das deutlich zurückgewiesen. Wir würden Sie Ihr Verhältnis beschreiben?

Die Bundestagsfraktion hat den Gesetzentwurf zu sicheren Herkunftsstaaten gerade geschlossen abgelehnt – diese Position rechne ich mir nicht alleine an. Jenseits davon sind wir eben unterschiedliche Typen. Aber Sie finden in der Grundausrichtung, wie wir Gesellschaft gestalten wollen, bei den Grünen einen breiten Konsens.

Heißt auf Deutsch: Sie wollen den Konflikt nicht noch weiter verstärken.

Warum sollte ich das? Wir haben in Baden-Württemberg dazu gewonnen. Das war – trotz des Verlusts der bisherigen Mehrheit – ein großartiges Ergebnis für das Land und damit auch für den Bund.

Zurück zu Ihrer Person. Manche sagen, dass Sie sich derzeit deshalb so offen äußern, weil Sie nichts mehr zu verlieren hätten. Stimmt das?

Ich habe mir auch in Ämtern meine innere Freiheit gegönnt. Das tue ich weiterhin.

Das Gespräch führte Markus Decker.

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