KommentarDitib muss Pressefreiheit gegen Erdogan verteidigen

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Pressefreiheit Symbolbild

Pressefreiheit sollte ein Grundrecht sein - in jedem Land der Welt.

Der Sog der Freiheit. Ungeübt des Schwimmens in diesem Strom (oder auch gegen ihn), halten manche ihn für einen gefährlichen Strudel, der Mensch, Gesellschaft und zivilisiertes Miteinander in einen Schlund zieht. Der „Fall Böhmermann“ ist für sie ein exemplarischer Fall missbrauchter Freiheit  – ebenso wie Kunst, die an das rührt, was anderen heilig ist.

Niemand sollte bestimmen dürfen, was zu sagen erlaubt ist

Es gehört aber wiederum zur Freiheit, dass darüber gestritten werden darf. Weder staatliche noch religiöse Instanzen bestimmen, was zu singen und sagen erlaubt ist. Aufs Ganze gesehen, kommt das allen zugute, auch wenn wir es im Alltag oft gar nicht mehr wahrnehmen. Die Spielräume und Entfaltungsmöglichkeiten in einer freien Gesellschaft möchte wohl kaum einer von uns missen.

Auch die Türkisch-Islamische Union Ditib nicht.  „Wir wollen daran erinnern, dass unser Grundgesetz den Religionsgemeinschaften nicht nur ihre Selbstverwaltung garantiert, sondern auch die Selbstbestimmung über ihre religiöse Lehre“, schrieb der vom staatlichen Religionsministerium in Ankara gelenkte Dachverband in der vorigen Woche. Da wurde gerade über den Vorstoß von Unionsfraktionschef Volker Kauder diskutiert, Moscheegemeinden stärker auf grundgesetzkonforme Inhalte hin zu prüfen.

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Es ist begrüßenswert, dass die Ditib in der ersten Person Plural von „unserem Grundgesetz“ spricht und es sich damit zu eigen macht. Leider fehlt es an einer  ähnlich emphatischen  Absage an die Politik der Einschüchterung und der Beschränkung von Grundrechten in der Türkei durch Präsident Recep Tayyip Erdogan. Natürlich können wir Freiheitsrechte nicht nach dem Wie-du-mir-so-ich-dir-Prinzip gewähren oder entziehen. 

Wasser darf nicht nur in eine Richtung fließen

Aber wenn eine Organisation wie die Ditib es ernst meinte, dann dürfte sie sich im Strom der Freiheit nicht wie eine Rückschlagklappe verhalten, die das Wasser nur in die eine Richtung fließen lässt. Die Werte der Verfassung müsste sie gegenüber dem türkischen Staat genauso eindrucksvoll vertreten, wie sie sie in Deutschland beansprucht. Sonst wird Wertschätzung zum bloßen Eigennutz, wenn nicht zu Ausnutzung und Ausbeutung.

Weil hierzu von der Ditib und anderen Verbänden – mit Ausnahme des Liberal-Islamischen Bundes – so verdächtig wenig zu hören ist, wünschte man sich eine umso entschlossenere Reaktion der mehrheitlich nicht organisierten Bürger türkischer Herkunft; eine Art „Aufstand der Angekommenen“ gegen ein autoritäres Regime in ihrer alten und für die freiheitliche Ordnung in ihrer neuen Heimat. Als Signal täte das auch der deutschen Mehrheitsgesellschaft gut.

Das Fallbeil staatlicher Sanktion

Zum Tag der Pressefreiheit sei daran erinnert, was die Sinnspitze des Böhmermann-Schmähgedichts war. Der für sich genommen ohne Frage geschmack- und anstandslose Text sollte die Abstrusität von Erdogans Reaktion auf Satire zeigen: Wegen eines vergleichbar harmlosen TV-Beitrags hatte er den deutschen Botschafter einbestellt. Das zeigt die Denke dieses Herrn und anderer Autokraten: Auf alles, was missliebig ist, saust das Fallbeil staatlicher Sanktion herunter. Unausweichlich und unerbittlich. Tausende Journalisten in der Türkei könnten ausbuchstabieren, was das bedeutet – wenn sie es noch dürften und nicht schon hinter Gittern säßen.

Journalisten, die am Tag der Pressefreiheit solche Missstände anprangern, sind solidarisch mit ihren Kollegen, aber keineswegs bloß Lobbyisten in eigener Sache. Die Pressefreiheit ist nichts anderes als ein Spezialfall der Meinungsfreiheit, angewandt auf deren professionelle Ausübung in der Öffentlichkeit. Was heute die Medien nicht mehr sagen dürfen, das müssen morgen alle Bürger für sich behalten. Und was heute  Journalisten blüht, wenn sie kritisch ihre Stimme erheben, das trifft morgen jeden, der den Mund aufmacht.

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