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Kommentar zum MissbrauchsskandalDen Druck auf die Kirche aufrechterhalten

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Regensburger_Dom

Der Regensburger Dom

Eines ist das „Wort zum Sonntag“ im Abendprogramm der ARD sicher nicht: der Ort, an dem die Kirche um Hilfe ruft. Genau das aber hat der katholische Pfarrer Wolfgang Beck jetzt getan. Im Missbrauchsskandal seiner Kirche brauche es „den Druck von Mitbürgern“ auf die Bischöfe, es brauche „die kritische und häufig als störend empfundene Öffentlichkeit“, sagte Beck und wandte sich an sein Publikum: „Gerade deshalb: Helfen Sie mit, dass dieser Druck nicht nachlässt!“

Ein solch dramatischer Appell mutet zunächst seltsam an – mehr als sieben Jahre, nachdem der Pater Klaus Mertes systematischen sexuellen Missbrauch am Berliner „Canisius Kolleg“ der Jesuiten bekanntgemacht hatte. Bedeutete die Fülle weiterer Enthüllungen danach nicht schon maximalen Druck?

Druck im Kirchenkessel verflüchtigt sich

Heute aber zeigen die Reaktionen auf den Bericht über die Vergehen bei den „Regensburger Domspatzen“ , wie sehr sich der Druck im Kirchenkessel inzwischen verflüchtigt hat und wie behände bestimmte Küchenchefs den Deckel lüften, um weiter Dampf entweichen zu lassen.

Genau betrachtet, wäre das schon 2010 absehbar gewesen. Keine Organisationen funktioniert dauerhaft nach der Logik von Zerknirschung und Selbstkasteiung – auch und gerade die Kirche nicht, in der Menschen Halt und Heimat suchen. Irgendwann wünschen sich die meisten, dass der „Vulkankrater, aus dem plötzlich eine gewaltige Schmutzwolke herauskam, alles verdunkelte und verschmutzte“ (Papst Benedikt XVI.), endlich zu speien aufhören möge. Das ist der Moment, in dem sich Ursache und Wirkung verkehren lassen.

Die Relativierer

Es ist der Moment, in dem Aufklärer zu Dreckschleudern werden; der Moment auch, in dem sich die Schnelllebigkeit der Zeit unheilvoll mit der impertinenten Kraft der Selbstbehauptung paart. Gerade jene, die gern in die permanente Klage über eine „Diktatur des Zeitgeistes“ (Benedikt XVI.) einstimmen, berufen sich zur Verteidigung einer schwarzen Pädagogik auf den Geist einer Zeit, in der ein paar rechte Hiebe zur rechten Zeit als angemessen, zumindest aber unschädlich galten. Es sind die gleichen Relativierer, die die eigentliche Schuld für den sexuellen Missbrauchs bei den 68ern und den Verirrungen der sexuellen Revolution suchen.

Gerhard Müller, bis 2012 Bischof von Regensburg, war von jeher auf dieser Spur. Obwohl der Domspatzen-Bericht ihm klare Versäumnisse zuweist, sieht der Kardinal auch heute keinen Grund für eine Entschuldigung und droht Kritikern sogar mit juristischen Schritten. Das spricht nicht nur für eine „ledern Seel’“ (Heinrich Heine). Müller steht als Person auch für das Prinzip „Institutionenschutz vor Opferschutz“.

Sexueller Missbrauch hat mit Systemversagen zu tun

Dabei ist längst klar, dass sexueller Missbrauch mit einem Systemversagen zu tun hat. Im „Wort zum Sonntag“ hat der Sprecher keine fünf Minuten gebraucht, um die Faktoren zu benennen: Machtfülle kirchlicher Hierarchen ohne wirksame Kontrolle, Intransparenz von Entscheidungen, Verklemmtheit und Verlogenheit im Umgang mit Sexualität.

Müller hat sich auch darüber beschwert, dass die Kirche „offensichtlich härter angegangen“ werde als andere. Für einen Kirchenmann sollte das kein Grund zur Klage sein. Schließlich beanspruchen weder Schulen noch Sportvereine, „im Namen Gottes“ zu reden und zu handeln. Das tut nur die Kirche. Was aber ist dann schlimmer, als dass „Gottesmänner“ nicht nur die Integrität der ihnen Anvertrauten verletzen und ihr Vertrauen in andere Menschen erschüttern, sondern auch ihren Glauben an einen gütigen Gott?

Aus Entsetzen darüber müsste die Kirche zuinnerst gegen Missbrauch und für Prävention kämpfen. Für die „kritische und oftmals als störend empfundene Öffentlichkeit“ muss das kein Motiv sein. Den Druck auf die Kirche aufrechterhalten sollte sie trotzdem.

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