Nachruf auf Hildegard Hamm-BrücherDie unbeugsame Grande Dame

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Die Rede ihres Lebens: Hildegard Hamm-Brücher stellt sich am 1. Oktober 1982 im Bundestag gegen Genschers Koalitionsbruch.

Die Rede ihres Lebens: Hildegard Hamm-Brücher stellt sich am 1. Oktober 1982 im Bundestag gegen Genschers Koalitionsbruch.

Köln – Im Oktober war sie noch einmal in Berlin und diskutierte mit ihren 95 Jahren mit Jugendlichen bei einem Zukunftsforum von Bundespräsident Joachim Gauck im Schloss Bellevue über Demokratie. Und wie immer, wenn Hildegard Hamm-Brücher pointiert Stellung bezog, zeigten sich die Teilnehmer beeindruckt. Die Grande Dame des deutschen Liberalismus, die im Alter von 95 Jahren in München gestorben ist, werden die jungen Leute in bester Erinnerung behalten.

Ihrem Ruf als unbeugsame Demokratin wurde sie auch noch in hohem Alter gerecht, auch wenn für sie die galante Charakterisierung als Grande Dame keine Auszeichnung war. „Ich bin immer gegen den Strom geschwommen, wollte aber trotzdem hübsch dabei aussehen“, sagte sie in ihrem letzten großen Interview, das sie im Oktober 2012 der „Süddeutschen Zeitung“ gegeben hatte. Da bekannte sie auch, eine fröhliche Christin zu sein, die den Tod nicht fürchtet.

Eine Stimme gegen die Nazi-Diktatur

Was für ein Leben lag da schon hinter ihr. Als Älteste von fünf Geschwistern 1921 in Essen geboren, verlor sie früh ihre Eltern und wuchs bei ihrer Großmutter in Dresden auf. Nach den Nürnberger Gesetzen von 1935 galt diese als Jüdin, obwohl sie schon Jahre zuvor zum Protestantismus konvertiert war. 1942, als sie nach Theresienstadt deportiert werden sollte, nahm sie sich das Leben.

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Zwei Jahre zuvor hatte Hildegard Hamm-Brücher in München mit dem Chemiestudium begonnen, wo sie auch zum weiteren Kreis der „Weißen Rose“ zählte, der Widerstandsgruppe um die Geschwister Hans und Sophie Scholl gegen die Nazi-Diktatur. Die Hinrichtung ihrer Freunde stürzte sie in Verzweiflung, und nach dem Krieg, so bekannte sie später, habe sie für das leben wollen, wofür sie gestorben sind. 1948 wurde sie Mitglied in der FDP, den Anstoß hatte der damalige Stuttgarter Kultusminister und spätere Bundespräsident Theodor Heuss gegeben, als Brücher ihn für eine Zeitung interviewte: „Mädle, Sie müssen in die Politik.“

Eine Vorreiterin

Sie hat sich einmal als aufmüpfige Ketzerin aus der FDP bezeichnet, als ihr Sohn 1955 geboren wurde und ihr späterer Mann, ein katholischer CSU-Stadtrat in München noch nicht von seiner ersten Frau geschieden war. Ein Jahr später hat sie Erwin Hamm geehelicht, mit dem sie 52 Jahre verheiratet war. Mit ihm hat sie in München das erste Appartement-Haus für alleinerziehende berufstätige Mütter eröffnet – mit Kindergarten im Erdgeschoss. Da hatte ihre politische Karriere im Münchner Stadtrat erst begonnen.

In den Bundestag zog Hamm-Brücher erstmals 1976 ein, in der sozialliberalen Koalition von SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde sie Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Als die FDP 1982 das Bündnis mit der SPD aufkündigte, stellte sie sich quer und verärgerte ihre Parteifreunde. Josef Ertl brachte sie so auf die Palme, dass er sich weigerte mit ihr noch an einem Tisch zu sitzen und dabei einen Schwächeanfall erlitt. Auch in den Folgejahren legte sie sich immer wieder mit ihren Parteifreunden an, die sich über sie auch in der Parteizentrale mokierten und sie als „gewissenspolitische Sprecherin“ titulierten. Nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990 zog sie sich aus der Politik zurück, 1994 trat sie aber überraschenderweise als Kandidatin für die Bundespräsidentenwahl an, die aber der CDU-Kandidat Roman Herzog gewann.

Mit der FDP im Clinch

Mit ihrer Partei lag sie schon vor ihrem Austritt 2002 wegen des Düsseldorfer FDP-Parteichefs Jürgen Möllemann im Clinch, den die Parteiführung trotz seines populistischen Kurses nicht bremste. Aber sie blieb bis zuletzt eine Liberale im Unruhestand. Sie kommentierte und publizierte, denn sie war davon überzeugt, dass „vieles über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden“ werde. Sie kritisierte die Frauenquoten, weil sie eine Ghettobildung begünstigen würden. Und sie lobte immer wieder die Grüne Claudia Roth, „weil sie sich nicht kleinkriegen lässt“.

Nach ihrem Tod erinnerten sich auch FDP-Politiker positiv an Hamm-Brücher. „Mit ihr verliert Deutschland eine große liberale Persönlichkeit“, sagte der bayerische FDP-Landeschef Albert Duin. Ex-Parteifreundin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger würdigte sie als „Inbegriff der gelebten Bürgergesellschaft.“

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