Referendums-PartyVon den Berliner Briten will niemand den Brexit

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Diskussion bei der Referendums-Party in Berlin.

Langsam zwar, aber stetig füllt sich der rote Salon in der Volksbühne. Etwas anderes wäre auch nicht zu erwarten gewesen, denn die hier Anwesenden erwarten heute eine wichtige Entscheidung, die sie alle betreffen wird. Etwa … in Berlin lebende Briten haben sich hier unter dem Motto „No man is an island, no country by itself“ zur „With or without UK EU Referendum Party“ versammelt, um gemeinsam den Hochrechnungen der Brexit-Wahl zu folgen, für die sie und die Menschen im Vereinten Königreich abstimmen. Wie erleben die hier im Ausand lebenden Briten diese historische Abstimmung?

Kurz vor der geplanten Podiumsdiskussion, an der neben dem Europaparlaments-Abgeordneten Arne Lietz der Bundestagsabgeordnete Michael Sarrazin und – leider als einziger Brite in der Runde - der Blogger Jon Worth teilnehmen, sind zaghaft siegessichere Stimmen im Publikum zu hören: „Ich rechne mit einer knappen Mehrheit für ein Nein zum Ausstieg“, sagt ein Mann Mitte 30 im Gespräch mit einer jungen Frau. „Ich denke auch, aber ich habe schon ein bisschen Angst“, ist ihre Antwort. Niemand hier möchte die EU verlassen, zumindest gibt es keine Handzeichen, als Moderatorin Daphne Büllesbach die Podiumsdiskussion mit der Frage eröffnet, ob es denn jemanden gäbe, der tatsächlich gehen will. Die Menschen im Publikum sind angespannt, als kurz das Mikrofon ausfällt, herrscht sofort große Aufregung, denn was gesagt wird, wollen alle mitbekommen. Schließlich geht es um nichts weniger als die Frage, ob in Zukunft noch EU-Bürger auf ihren Pässen stehen wird und das ihnen die Angelegenheit wichtig ist, ist deutlich spürbar.

Für Arne Lietz aus dem Europa-Parlament ist klar, das in vielen Bereichen noch nicht genug Integration stattgefunden hätte. Vor allem in der Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik sei das der Fall. Trotzdem sei es für ihn, der seine Jugend in der DDR verbracht hat und seit der Wende Freizügigkeit und Freiheit genießt, nicht nachvollziehbar, wenn ein großer Teil der heutigen europäischen Jugend skeptisch gegenüber der EU ist.

Auf die Frage, warum Britannien nie ganz warm mit der EU geworden ist, meint Blogger Jon Worth, dass bürgerliches Engagement in Großbritannien nicht eben stark ausgeprägt sei, auch das komplizierte Wahlsystem helfe nicht. Er weiß dass Großbritannien immer schon ein schwieriges Mitglied war, habe aber trotzdem für den Verbleib in der EU gestimmt, da er der Überzeugung ist, Britannien habe mehr von ihr profitiert, als umgekehrt. Denn ohne eine reglementierende Macht, wäre dem Kapitalismus im Land keine Grenzen gesetzt.

Das Gesagte wird in der Pause heiß diskutiert, der Tenor ist jedoch stets derselbe: Wir müssen in der EU bleiben! Auch für die aus Bristol stammende Charlotte steht das fest. Die 25-jährige lebt seit drei Jahren in Berlin und setzt sich für den Verbleib ihrer Heimat in der Union ein. Nicht, weil sie Angst hätte deportiert zu werden oder sich künftig um Visa kümmern zu müssen. „Aber ich denke, mit einem Austritt würde sich die ganze Migrationsdebatte vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise verschärfen und es ginge dann vermehrt um die Frage, wer überhaupt Europäer ist und wer nicht. Die Debatte würde viel xenophobischer geführt werden.“

Das bange Warten auf die ersten Ergebnisse wird nach der Pause mit Ratespielen rund um die Kampagnen der Befürworter und Gegner des EU-Austritts überbrückt. Die ausgelassene Stimmung weicht gegen 23.00 Uhr schnell einer gespannten Stille; die Menschen stehen gebannt vor der großen Leinwand, wo Moderatoren der BBC die Schließung der Wahllokale verkünden. Doch bis zu den Hochrechnungen wird es noch dauern, die ersten verwertbaren Aussagen werden ab 1 Uhr erwartet, die tatsächlichen Ergebnisse sollen in den frühen Morgenstunden erfolgen. Solange will Steve aus London auf jeden Fall ausharren. Auch er hofft, dass sein Land in der EU verbleibt. Für alle Fälle hat er sich der seit etwa einem Jahr in Berlin wohnende Geschichtsstudent schon mal für einen Deutschkurs angemeldet. Er scherzt: „Damit hätte ich dann bessere Chancen, hier eingebürgert zu werden, wenn Britannien geht“. Ob er seinen Pass wirklich gegen einen Deutschen austauschen wird, steht in dieser Nacht noch in den Sternen. Der Morgen wird eine Entscheidung bringen.

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