Streit der Woche zum WehrdienstZivis wären in dieser Notsituation so wichtig

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Zurück zum Zivil- und Wehrdienst: Ja, meint Stefan Worring. Thorsten Breitkopf hält nichts von dieser Idee.

  • Die Corona-Krise macht die Frage nach einem sozialen Pflichtjahr wieder aktuell. Sollten sich junge Menschen nach der Schule engagieren müssen? Unser Streit der Woche.
  • Stefan Worring (61) ist Chefreporter Lokales und Fotograf. Er war 15 Monate bei der Bundeswehr. Uniform trägt er heute höchstens im Karneval, aber er ist überzeugt, dass ein (sozialer) Pflichtdienst beide stärkt – Mensch und Gesellschaft.
  • Thorsten Breitkopf (42) ist Wirtschaftsressortleiter und leistete 1997 bis 1998 seinen Wehrdienst beim Bund. Dennoch lehnt er jeglichen Zwangsdienst ab. Er sagt: Jetzt brauchen wir Profis und Freiwillige.

Unser Streit der Woche: Sollte Zivildienst wieder Pflicht werden?

Pro: Abschaffung war eine der dümmsten Entscheidungen

von Stefan Worring

Die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahre 2011 war eine der dümmsten und folgenschwersten politischen Entscheidungen in der Geschichte der Bundesrepublik. Dumm vor allem deshalb, weil sie vollkommen unnötig getroffen wurde – Anlass war eine Streitkräftereform unter den damaligen Verteidigungsministern von Guttenberg und de Maizière, die allerdings die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen komplett aus den Augen verloren hatten. Denn damit verbunden war auch die Abschaffung des Wehrersatz- oder Zivildienstes. Für die CDU/CSU-Fraktion stellte der Parlamentarier Ingo Gädechens damals im Bundestag klar, dass sich die Union nur schweren Herzens von der Wehrpflicht verabschiede. Die Bundeswehr sei eben doch „eine Art Schule der Nation“ gewesen. Dort hätten junge Menschen zum ersten Mal gelernt, dass sie als Bürger auch etwas für den Staat und die Gesellschaft tun müssten. Ein sehr richtiger Gedanke, vor allem, wenn man ihn nicht auf die Bundeswehr begrenzt. Alle jungen Menschen verpflichten, etwas für ihren Staat zu tun, für die Demokratie, die ihnen so viel Freiheit gibt, ist ein guter und richtiger Ansatz. Er fördert soziale Kompetenz und Verantwortlichkeit gegenüber der Gesellschaft in einer Art und Weise, wie sie etwa Schule nicht leisten kann.

Einsicht in eine andere Welt

Ich habe 1977 einen 15-monatigen Wehrdienst abgeleistet, und ich habe es oft gehasst. Die Zeit beim Bund erschien mir unnötig und sinnlos. Im Nachhinein muss ich zugeben, dass mich vor allem geärgert hat, dass ich verpennt hatte, zu verweigern und irgendwie selbst schuld war. Ich hätte ja auch was aus meiner Sicht sinnvolles tun können – als Zivi. Sich passiv dem Schicksal ergeben ist etwas, was mir so nie wieder passiert ist. Was gut war: Ich habe Einsicht bekommen in eine ganz andere Welt, fremde Denkmodelle, irrsinnigen Bürokratismus, streng hierarchische Strukturen. Ich habe überraschende Menschen getroffen – gute wie schlechte. Nach den 15 Monaten wusste ich viel genauer, was ich wollte, vor allem aber, was ich nicht wollte. Ich habe erkannt, wie wichtig eine starke Demokratie ist. Ich habe gelernt, dass man sich nicht verbiegen sollte, auch wenn die Widerstände groß sind. Und ich habe seitdem keine Wahl verpasst, denn dabei geht es immer um die Zukunft unseres Landes, also auch um meine Zukunft. Bürgerpflicht. Solidarität.

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Worte, die in Zeiten der Corona-Krise auf einmal wieder Relevanz bekommen. Wie geht es meinen Mitmenschen? Was kann ich für sie tun? Und wie wichtig und hilfreich könnten Zivis gerade in dieser Notsituation jetzt sein, in der der Alltag vor allem der gefährdeten Menschen aus den Fugen gerät.

Fragen, die sich junge Menschen ohne Not so nicht unbedingt stellen. Und dann, etwas ketzerisch formuliert, aus purer Ideenlosigkeit zum „Work and Travel“ nach Australien fliegen, wo sie sich zu Zehntausenden gegenseitig die Kellnerjobs wegnehmen oder chillen. Nichts gegen chillen, aber ein Jahr lang mit einem sinnvollen Dienst die Heimat stärken, das Selbstbewusstsein, die eigene Sozialkompetenz, bringt mehr. Zumal man dann mit der so verdienten Kohle immer noch zwei, drei Monate ins Traumland reisen kann, um dort richtig zu chillen. Ohne Work. Die Politik sollte diese Pflicht schleunigst wieder einführen, für unser Land, für die Menschen.

Contra: Wir brauchen Profis, keine Zwangsarbeiter

von Thorsten Breitkopf

Ich habe nach dem Abitur in den Jahren 1997 und 1998 meinen Dienst fürs Land geleistet, als Wehrpflichtiger bei der Luftwaffe in Goslar und Köln-Wahn. Viele meiner Freunde leisteten damals Zivildienst in Krankenhäusern, Kindergärten oder Behindertenheimen. Das war Pflicht für jeden jungen deutschen Mann, der als tauglich galt. Und doch war es nicht richtig. Eine Dienstpflicht ist ein unmittelbarer Eingriff in ein Bündel an Rechten, die uns unsere Verfassung garantiert. Ob nun Dienstpflicht bei der Bundeswehr oder bei zivilen Einrichtungen – die Einschränkungen sind groß. Freiheit der Berufswahl: im Dienstjahr abgeschafft. Freie Wahl des Aufenthaltsorts, der Bewegungsfreiheit, der Selbstbestimmung? Außer Kraft gesetzt. Mit welchem Recht darf sich der Staat ermächtigen, allen jungen Menschen vorzuschreiben, was sie ein Jahr tagein tagaus zu tun und zu lassen haben? Eine Dienstpflicht ist das Instrument eines autoritären Regimes. Eine solche Pflicht ist mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht vereinbar.

Obendrein bleibt die Frage der Gerechtigkeit. Wie bei der Wehrpflicht würde es bei einem Zwangs-Zivildienst eine Prüfung der Tauglichkeit geben. Manche würden wie damals Dienst leisten müssen, manche nicht. Wer dienen müsste, hätte neben den genannten Freiheitsbeschränkungen erhebliche Einkommensnachteile, im Dienstjahr selbst, bei der Rente, und schlicht auch, weil er ein Jahr später in seine Karriere einsteigt und unfreiwillig hinterherhinkt. Auch wenn man sich den Dienstplatz aussuchen dürfte: Man raubt jemandem ein Jahr.

Wie effizient ist der Pflichteinsatz?

Es ist außerdem höchst fraglich, ob der Pflichteinsatz in irgendeiner Weise effizient ist. Denn der Dienstleistende ist aufgrund seiner Unerfahrenheit und der kurzen Dienstzeit weit weniger effizient als eine ausgebildete Krankenschwester, ein Rettungssanitäter oder auch ein Berufssoldat. Die Ausbildung dieser Zivildienstleistenden würde viel Zeit und Geld kosten, und das für einen sehr überschaubaren Dienstzeitraum. Und eine finanzielle Entlastung der Allgemeinheit ist mit einer Dienstpflicht auch nicht darstellbar. Denn neben dem Sold, der Ausbildung und gegebenenfalls einer Unterbringung entstünden andere Kosten für die Gesellschaft. Denn wie einst bei der Wehrpflicht müssten neue bürokratische Strukturen geschaffen werden, um die jungen Menschen etwa gesundheitlich zu prüfen, zu verwalten, zuzuteilen und vieles mehr. Die Männer der Jahrgänge vor 1990 wissen noch gut, wie die Kreiswehrersatzämter funktioniert haben. Als schlanke Dienstleister mit effizienten Strukturen jedenfalls waren sie nicht berühmt geworden.

Bleibt zum Schluss noch die Sache mit der Freiwilligkeit. Wer aus freien Stücken und etwa aus ethischen, moralischen oder religiösen Gründen einen Freiwilligendienst leistet, wird mit einem ganz anderen Engagement ans Werk gehen, als ein Gezwungener. Das zeigen Tausende Freiwillige Feuerwehrleute, Rot-Kreuz-Helfer oder regelmäßige Blutspender. Freiwillige zu belohnen, etwa mit einer Punktaufwertung beim NC oder kürzeren Wartezeiten auf einen Studienplatz, wäre ein interessanter Anreiz.

Eine Dienstpflicht wäre weder zielführend noch gerecht, auch nicht im Kampf gegen eine Pandemie wie wir sie gerade erleben. Dafür braucht man Profis und Freiwillige, aber auf keinen Fall Zwangsarbeiter.

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