Terroranschläge in DeutschlandBeweise reichen oft nicht mal für eine Anklage

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Beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe (Baden-Württemberg) wird ein Terrorverdächtiger dem Haftrichter vorgeführt. (Symbolbild)

Berlin – Nur wenige Tag ist es her, als in Deutschland einmal mehr die Terrorangst umging. Drei mutmaßliche IS-Unterstützer sollen einen Anschlag in Düsseldorf geplant haben. Der Tipp kam von einem vierten Mann, der sich in Frankreich den Sicherheitsbehörden gestellt hatte. Die Verdächtigen sitzen seit vorigen Donnerstag in Untersuchungshaft. Wie nah die mutmaßlichen Terroristen ihren Anschlagszielen waren, sagt die Bundesanwaltschaft nicht. So stellt sich am Ende auch hier die die Frage: Was bleibt?

Schon mehrfach gab es in Deutschland ähnliche Fälle, die nach großem Aufsehen in den Medien bereits nach kurzer Zeit keine Beachtung mehr fanden und mehr oder weniger im Sande verliefen.

Fälle aus der Vergangenheit

So wurden in München am 7. April zwei mutmaßliche IS-Mitglieder wegen der möglichen Vorbereitung eines Anschlages festgenommen – derselbe Vorwurf, der die Behörden vor einer Woche zum Handeln bewegte. Die Männer in München waren zuvor in einer IS-Mitgliederliste aufgetaucht, die den Behörden in die Hände viel. Sofort wurden „umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen“ eingeleitet, wie das Landeskriminalamt mitteilte.

Doch schon nach kurzer Zeit mussten die Verdächtigen wieder frei gelassen werden. Bei den Durchsuchungen wurden keine Beweise gefunden. Die Ermittlungen dauern laut der Staatsanwaltschaft München an.

Ähnliches geschah am 4. Februar in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen: Vier Anhänger des IS sollen einen Anschlag auf dem Alexanderplatz in der Hauptstadt geplant haben. Spezialeinheiten nahmen die Männer bei einer Großaktion fest. Wieder war das Aufsehen groß. Wieder ist der Öffentlichkeit inzwischen völlig unklar, ob die Verdächtigen überhaupt noch in Haft sitzen. Die beteiligten Behörden ließen Anfragen dieser Zeitung tagelang unbeantwortet.

Auch am 26. November vergangenen Jahres gab es in Berlin eine großangelegte Polizeiaktion. Eine Moschee in Charlottenburg und ein Auto in Neukölln werden durchsucht. Drei Männer aus der Islamistenszene werden festgenommen, später aber wieder frei gelassen.

Der Anklage im Weg

Die Beispiele stehen exemplarisch für nicht alle, aber doch viele Fälle der Terrorismus-Abwehr in Deutschland: Großes Aufsehen, doch am Ende reicht es nicht einmal für eine Anklage.

Hauptursache dafür ist laut Behörden oftmals schlichtweg der Mangel an Beweisen. Einen großen Anteil daran hat der Paragraph 89a im Strafgesetzbuch, der sich um die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat – also um Anschläge – dreht. Der Paragraph wurde 2009 eingeführt, um ein „möglichst frühzeitiges Eingreifen“ zu ermöglich, wie es zur Begründung hieß. Normalerweise ist die Planung und Vorbereitung einer Straftat nicht rechtswidrig. Erst der Versuch, sie durchzuführen, ist strafbar.

Im Paragraph 89a ist das anders. Egal, ob sich jemand Chemikalien kauft oder nach Afghanistan fliegt: Wenn dahinter die Absicht steht, irgendwann einen Anschlag zu verüben, reicht das theoretisch für eine Anklage und Verurteilung – Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren sind möglich.

Allerdings gibt es eine wichtige Hürde, sagt der Kölner Strafrechtsexperte Nikolaos Gazeas: „Der Bundesgerichtshof hat, um den Tatbestand nicht ausufern zu lassen, zu Recht hohe Anforderungen an den Nachweis der Anschlagsabsicht gestellt.“ Dieser Nachweis sei „oft nur sehr schwer bis gar nicht zu erbringen.“

Wenn der Verdächtige schweigt oder die Vorwürfe abstreitet, habe man in so einem frühen Stadium der Anschlagsvorbereitung oft kaum die Möglichkeit, eine terroristische Absicht zu beweisen. Fehlt diese, blieben am Ende nur rechtlich neutrale Handlungen übrig, wegen derer niemand verurteilt werden kann.

Ohne erdrückende Beweislage geht nichts

Von 264 Ermittlungsverfahren wegen Paragraph 89a, 89b und 91 im Jahr 2014 – jüngere Zahlen gibt es noch nicht – kam es in keinem einzigen Fall zur Anklage, geschweige denn zu einer Verurteilung. Das teilte das Bundesjustizministerium dieser Zeitung auf Anfrage mit.

Wozu dann den 89a? „Der Paragraph wird häufig als Türöffner genutzt, um Ermittlungen einleiten zu können“, sagt Jurist Gazeas. Er ermöglicht es den Behörden, möglichst früh Maßnahmen einleiten zu können, von einer Überwachung über eine Durchsuchung bis hin zu Festnahmen. Werden dabei aber keine weiteren Beweise gefunden werden, verläuft der Fall meist im Sande.

Längst gibt es zwischen Polizisten und Staatsanwälten, aber auch Geheimdiensten, die Debatte, ob man die Verdächtigen länger beobachten sollte, um Beweise zu sammeln.

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow, ist dagegen. „Dass derzeit zu früh zugegriffen wird, glaube ich auf keinen Fall.“ Immerhin arbeite die Polizei eng mit der Staatsanwaltschaft zusammen, die die Verdachtsmomente prüft. Am Ende entscheidet ein Richter. Haftbefehle gebe es nur bei einem konkreten Verdacht. „Den richtigen Zeitpunkt zu finden, ist ein Balanceakt“, sagt Malchow. Es gebe bei Terrorismusverdacht auch immer eine emotionale Seite. Zudem bestehe die Gefahr, dass die Täter trotz Beobachtung zuschlagen.

Das Beispiel um Hilal D.

Doch selbst wenn es zu einem Prozess kommt, macht der Paragraph 89a Probleme. So sitzt in Frankfurt gerade der Deutsch-Türke Hilal D. auf der Anklagebank. Die Verkäuferin eines Baumarkts informierte die Polizei darüber, dass er drei große Flaschen Wasserstoffperoxid in hoher Konzentration kaufte. Bei einer Durchsuchung  im vorigen April stellte die Notizen über Bombenbau sicher, sowie eine Rohrbombe und Teile einer Waffe. Ein Radrennen in Frankfurt wurde daraufhin abgesagt, weil der Angeklagte Teile der Strecke einige Male abfuhr.

Trotzdem ist die Beweislage schwierig. Außer illegalen Waffenbesitz kann man Hilal D. kaum etwas nachweisen. Er schweigt. Ob er eine schwere staatsgefährdende Gewalttat begehen wollte, bleibt fraglich.

Eine Anklage aufgrund vermuteter Absichten halten auch die Anwälte des Angeklagten daher für schwierig. Für sie ist der Paragraph  verfassungswidrig und gehört abgeschafft. Ähnlich sieht es Strafrechtler Gazeas. „Der Paragraph ist  in vielen Punkten unverhältnismäßig.“ Schon, weil ein Einkauf im Baumarkt für einen Verdacht ausreiche. Im aktuellen Fall der Düsseldorf-Zelle dürften es die Ermittlern jedoch leichter haben: Hier gebe es eine eindeutige Aussage eines Mitbeschuldigten, auf die man sich stützen kann.

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