„Böse und grausam“Warum diese anonyme Messenger-App für Jugendliche gefährlich ist

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt

So sieht die App „Sarahah“ bei iTunes aus.

Was denken andere wirklich über mich? Eine neue App will genau dieses Bedürfnis nach absoluter Ehrlichkeit befriedigen. Die Messaging-App verspricht nichts als die Wahrheit, könnte aber zu einer neuen Plattform für Hassbotschaften avancieren. Nutzer der App „Sarahah“ – das arabische Wort für Wahrheit – erhoffen sich ehrliches Feedback von Freunden, Kollegen oder Bekannten aus ihrem sozialen Netzwerk. Der Grund: Das Feedback erfolgt anonym.

„Bist Du bereit für Ehrlichkeit?", lautet der Werbeslogan der App. „Erhalte konstruktives Feedback von Freunden und Kollegen in totaler Anonymität". Sarahah hat einem BBC-Video zufolge schon knapp 300 Millionen Nutzer. Im Juli schoss sie in 30 Ländern an die Spitze von Apples Appstore.

Antworten kann man den anonymen Absendern nicht

Die App aus Saudi Arabien erlaubt es jedem, anonym Nachrichten zu verschicken und zu erhalten. „Hinterlasse eine konstruktive Nachricht“ wird man von Sarahah aufgefordert. Doch anonyme Botschaften in sozialen Netzwerken – das zeigt die Erfahrung – sind selten freundlich. Der Empfänger setzt sich damit ungefilterter Kritik aus, während der Absender im Schutz der Anonymität verbleibt. Antworten kann man den anonymen Absendern auch nicht.

Tatsächlich kann sogar jeder Internetnutzer, auch diejenigen, die nicht bei Sarahah angemeldet sind, Nachrichten an die User der App verschicken. Dazu muss man lediglich sarahah.com besuchen und die entsprechende Webadresse kennen. Diese ergibt sich aus dem Usernamen und der Sarahah-Url, also zum Beispiel: user.sarahah.com.

Schon 300 Millionen Nachrichten verschickt

Nach Angaben von Gründer Zain al-Abidin Tawfiq wurden bislang schon 300 Millionen Nachrichten mit der App verschickt. Erhält man eine Nachricht, kann man diese nicht nur mit „Gefällt mir“ markieren, sondern auch teilen. Einem weiteren BBC-Bericht zufolge finden sich in anderen sozialen Netzwerken etliche Screenshots von anonymen Sarahah-Nachrichten, die die Empfänger teilten. Darunter: Liebesbotschaften, Coming-Out-Bekundungen und vernichtende Kommentaren. Nachrichten, die Tabus brechen, lassen sich anonym leichter verschicken. Ein Nutzer schrieb etwa: „Ich mag Dich, obwohl ich verheiratet bin.“ Ein anderer teilte den bei Saharah anonym erhaltenen Rat auf Twitter: „Mach mit Deiner Freundin Schluss.“

Während der 29-jährige Gründer die App für konstruktive Kritik, Lob und Komplimente konzipierte, macht sie Beleidigungen und Beschimpfungen für Hater einfacher. Im BBC-Interview sagte Tawfiq, im Falle von Missbrauch gebe es für Sarahah-Nutzer auch die Möglichkeit, anonyme Nutzer, die Hassbotschaften verschickt haben, zu blockieren, was womöglich über die IP-Adresse funktioniert. Außerdem habe man weitere Maßnahmen gegen Hater ergriffen, die er aber nicht verraten wollte.

„Böse und grausame Mobbing-Plattform“

Auf Twitter und Facebook wiederum kritisieren etliche Nutzer die App scharf: „Warum haben Sie Sarahah erfunden? Es ist eine Mobbing-Plattform, sie ist böse und grausam“, fragt ein Nutzer auf Twitter den Gründer. Der erwidert: „Sarahah ist ein Selbstentwicklungs-Tool, das es Menschen ermöglicht, konstruktive Kritik zu erhalten.“

Ein anderer Facebook-Nutzer warnt, dass die App insbesondere für unsichere Jugendliche fatal sei. Gerade für diejenigen, die mit ihrem Selbstbewusstsein hadern, sei Sarahah gefährlich: „Eure Freunde brauchen keinen Bildschirm, hinter dem sie sich verstecken können, um Euch „konstruktives Feedback“ zu geben. Sarahah öffnet unbegrenztem Cybermobbing die Türen.“ (rer)

Das könnte Sie auch interessieren:

KStA abonnieren