„Das Geschrei war unerträglich“Schreibaby – wenn das Kind sieben Monate durchweint

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Wenn das Baby schreit, immer wieder, auch nachts.

Manche Dinge kann man sich nur schwer vorstellen, wenn man sie nicht selbst erlebt hat. Etwa, dass ein Baby über Monate durchschreien kann. Wie überstehen Eltern das?

Hier schreibt eine Mutter sehr persönlich über ihre Leidensgeschichte.

Unser erstes Kind war kein „anspruchsvolles“ Baby. Dieser Ausdruck entspricht nicht im Ansatz dem, was wir erlebt haben. Die Schwangerschaft verlief schon mehr als schwierig. Drei Monate permanente Übelkeit. Nichts ging. Dazu eine immer wiederkehrende Migräne, die mein Arzt zurückhaltend mit etwas Paracetamol zu bekämpfen versuchte. Es blieb beim Versuch.

Als all das endlich besser wurde, ging es mir nur bedingt besser. Es war heiß, ich fühlte mich dick und unbeweglich. Dazu ständige Rückenschmerzen und Kreislaufprobleme – mit Vorliebe mitten im Seminar in der Uni. Unter Schwangerschaft hatte ich mir mit meinen 23 Jahren dann doch etwas anderes vorgestellt.

Plötzlich auf der Neugeborenen-Intensivstation

Auf Stadt Land Mama tauschen sich zwei junge Mütter mit fünf Kindern zwischen ein und neun Jahren aus. Mal witzig, mal nachdenklich – mal verzweifelt. Lisa Harmann (li.) und Katharina Nachtsheim.

Dennoch freuten wir uns unglaublich auf dieses Baby. Alles war so wahnsinnig aufregend und endlich kamen die ersehnten Wehen. Die Geburt verlief zügig und komplikationslos. 

Nach zwei Stunden der große Schreck. Unser Sohn hatte plötzlich hohes Fieber und musste in die zwei Kilometer entfernte Uniklinik verlegt werden. Der Notarzt war innerhalb weniger Minuten da und teilte mir kurz nach Mitternacht mit, dass er ihn für weitere Untersuchungen mitnehmen müsste. Panik. Zwei Tage sprach niemand mit uns. Es war Wochenende und die Neugeborenen-Intensivstation voll belegt und viel zu wenig Personal da.

Am Montag kam dann endlich ein Arzt zu uns, der mir versicherte, dass alles halb so wild sei – Streptokokken. Er muss sich trotz Antibiose bei mir infiziert haben. Mit einer weiteren Antibiose ging es ihm zügig gut und wir konnten ihn nach einer Woche nach Hause holen.

„Es ging mir zu schlecht, um mich zu kümmern“

Drei Tage später der nächste Schock. Ich hatte hohes Fieber – eine Sepsis drohte. Von diesem Moment an schrie unser Sohn permanent. Ich hatte ihn mit ins Krankenhaus genommen. Nach zwei Tagen musste mein Mann ihn mit nach Hause nehmen. Es ging mir zu schlecht, um mich um ihn zu kümmern. Und er schrie. Nach einer Woche war ich endlich zu Hause und er schrie immer noch. So ging es dann für geschlagene sieben Monate.

Er schrie von 20 Uhr bis 4 Uhr früh. Zum Glück hatte mein Mann gerade sein erstes Staatsexamen abgelegt und wartete noch auf seinen Referendariatsplatz. So konnten wir uns in Schichten um unseren Sohn kümmern. Das Geschrei war unerträglich. Nichts half. Es war egal, ob wir ihn trugen oder hinlegten. Er hatte weder Hunger noch Bauchweh. Wir konnten nichts erkennen.

Unser Kinderarzt sagte schlicht, Babys schreien halt und das hätten wir doch wohl vorher gewusst. Die Hebamme war davon überzeugt, der Junge sei von dem schwierigen Start völlig verwirrt. War ich etwa selber schuld?! Ich hatte die Streptokokken. Ich war krank geworden, weil ich mich in den ersten Tagen völlig übernommen hatte.  Heute sage ich ganz klar: So ein Schwachsinn!  

„Geschrei, Verzweiflung und Müdigkeit“

Die einzigen, die gar nichts sagten, waren meine beste Freundin und meine Eltern. Sie kamen immer, wenn sie konnten und nahmen uns das Baby ab. Sie gingen mit ihm spazieren, halfen mir im Haushalt, sorgten dafür, dass wir endlich mal essen und schlafen konnten.

Ich nahm in den ersten Monaten mit Baby knapp zehn Kilo ab. Wenn ich zurückdenke, erinnere ich mich an Geschrei, Verzweiflung und unglaubliche Müdigkeit. Ich hatte den Punkt erreicht, an dem ich verstand, warum Eltern ihre Säuglinge schütteln, schlagen oder auch gegen die Wand werfen.

Ich hätte es niemals getan, aber auch nur, weil ich so viele Menschen um mich hatte, auf die ich zählen konnte. Selbst die Nachbarin, die wir bis zur Geburt nur flüchtig gekannt hatten, stand eines Tages vor der Tür und bot sich zum Kinderwagenschieben an. Auch sie hatte mitbekommen, dass dies der einzige Ort war, an dem das Kind ruhig war und schlief. Ich bin ihr bis heute unglaublich dankbar.

Zu spät erkannt: „Daher die Schmerzen, daher das Geschrei!“

Es gab auch schöne Momente. Unser Baby konnte wundervoll lachen und gurgeln. Es fällt nur so schwer, sich daran zu erinnern.  Die meiste Zeit hatte ich einfach nur Panik, dass er wieder schreien könnte.

Mit etwa fünf Monaten stellten wir fest, dass er bei Harald Schmidt aufhörte zu schreien. Er schlief sogar ein. In meiner Verzweiflung nahm ich Harald Schmidt-Sendungen auf Video auf und spielte sie auch tagsüber ab. Es klappte leider nur bedingt, beruhigte mich aber.

Kein Geschrei mehr, aber gesundheitliche Probleme

Mit sieben Monaten konnte unser Baby sitzen. Von diesem Moment an schlief er problemlos und weinte nur noch selten. Geschrei gab es überhaupt nicht mehr.

Die nächsten Jahre verliefen für unseren Sohn gesundheitlich nicht immer einfach. Er hatte viele Mittelohrentzündungen, bekam Paukenröhrchen, Logopädie, motorisch war er den anderen Kindern immer hinterher, er litt unter Migräne-Attacken, wie wir dachten. Er wurde auf Epilepsie getestet. Keiner konnte diese Schmerzen im Stirnbereich erklären.

„Daher die Schmerzen, daher das Geschrei“

Mit acht Jahren kamen Wirbelblockaden dazu. Er konnte sich von jetzt auf gleich überhaupt nicht mehr bewegen; musste in die Klinik. Dort erklärte man uns nach acht langen Jahren, dass er diese Blockaden schon immer gehabt haben müsse. Daher die Schmerzen, daher das Geschrei.  Zu dem Zeitpunkt hatte er schon zwei kleine Geschwister. Mit jedem Kind wurde die Babyzeit leichter.

Mittlerweile ist noch ein weiteres Kind dazugekommen. Bei ihr haben wir die Blockaden schon in den ersten Tagen selber erkannt. Unsere Kinderärztin, die unsere Geschichte kennt, hat uns umgehend nach der U3-Untersuchung zum Therapeuten geschickt. Unsere kleine Tochter hat nicht einen Tag geschrien, da man uns von vornherein ernst genommen hat.

Genau das wünsche ich mir einfach von allen Umstehenden. Liebe Kinderärzte, Hebammen, Freunde, Nachbarn: Nehmt die Eltern ernst. Babys schreien nicht einfach. Ihre Eltern sind auch nicht gleich unfähig. Sie brauchen Verständnis und jemanden, der ihnen unter die Arme greift. Und sei es nur ein freundliches Lächeln. ES HILFT UNGEMEIN!

Dieser Beitrag erschien ursprünglich als Gastbeitrag auf dem Blog „Stadt Land Mama“.

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