„Du machst Dich kaputt“Warum junge Frauen keine Kinder bekommen

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„Soll ich ein Kind bekommen?“ Viele Frauen hadern mit der Entscheidung für oder gegen ein Kind. Sie haben große „Organisations-, Abhängigkeits- und Finanzierungsängste“.

Soll ich ein Kind bekommen? Für viele junge Frauen ist das heute die Frage im Leben, die am schwierigsten zu beantworten ist. Denn keine andere Entscheidung wird das Leben, wie sie es kennen, in seinen Grundfesten so sehr verändern. Vor dem Kind gehen die meisten Frauen davon aus, gleichberechtigt zu sein – nach dem Kind sieht das anders aus.

Zu diesem Ergebnis kommt auch eine neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel „Was junge Frauen wollen“. Zwar habe sich in den letzten Jahren durch das Elterngeld und den flächendeckenden Ausbau der Betreuungsangebote für Frauen und werdende Mütter einiges geändert, so der Tenor der Studie – aber eben noch lange nicht genug. Grundlage der Analyse sind mehrstündige Gruppen-Interviews mit 64 Frauen zwischen 18 und 40 Jahren sowie die Auswertung einer bevölkerungsrepräsentativen Untersuchung zur Gleichstellung von Männern und Frauen für die relevante Zielgruppe mit 1068 Fällen.

Thema „Kinder bekommen“ ist heute sorgenbehaftet

Das Thema „Kinder bekommen“, so schreibt Studienleiter Professor Carsten Wippermann, „ist nicht mehr selbstverständlich, sondern sorgenbehaftet“. Bei den befragten Frauen zwischen 18 und 40 Jahren (noch) ohne Nachwuchs gebe es große Ängste bezogen auf die Entscheidung für ein Kind, so der Soziologe von der Katholischen Stiftungsfachhochschule München. Sie hätten „Organisations-, Abhängigkeits- und Finanzierungsängste.“

Sobald Kinder da sind, sind Frauen nicht mehr gleichberechtigt

Aus berechtigtem Grund: „Sobald Kinder ins Spiel kommen, setzt häufig eine Retraditionalisierung der Geschlechterrollen ein“, heißt es in der Studie. Insbesondere weil Frauen de facto immer noch nicht gleichberechtigt sind. Sie gelangen nicht nur selten in Führungspositionen und erledigen den Löwenanteil im Haushalt, sie werden vor allem immer noch deutlich schlechter bezahlt als Männer: Im Jahr 2015 verdienten Frauen durchschnittlich 21 Prozent weniger als Männer.

Die Folge: Wenn ein Kind kommt, tritt meiste derjenige kürzer, der weniger verdient – und das ist in 90 Prozent der Fälle die Frau. Auch die individuelle Auseinandersetzung mit dem Partner macht den jungen Frauen zu schaffen und lässt sie womöglich auch von einem Kind absehen. „Ich kämpfe fast jeden Tag mit meinem Partner“, erklärt etwa eine befragte selbstständige Anwältin.  „Ich verdiene doch genug, Du musst nicht unbedingt arbeiten. Wir könnten ein Kind bekommen“, habe ihr Partner ihr vorgeschlagen.  „'Oh nein', habe ich gesagt. 'Ich will auf jeden Fall arbeiten, das ist mein Beruf!'“

900 Euro pro Monat für die Kita

Hinzu kommt, dass die kinderlosen Frauen im Freundeskreis erleben, dass die Kita-Versorgung gerade in den Städten unzureichend ist: „sehr teuer, zu wenige Plätze, schlechte Öffnungszeiten, so dass sie auf private Anbieter angewiesen sind, die sie sich aber kaum leisten können“, erläutert Wippermann. Die Plätze in privaten Kitas kosten demnach teilweise zwischen 600 und 900 Euro monatlich. Fast alle befragten Frauen sind der Ansicht, dass Kitaplätze für Eltern kostenlos sein müssten. Und: „Die staatlichen Transferleistungen mit den Beträgen von Kindergeld und das auf 1800 Euro gedeckelte Elterngeld seien angesichts der realen Lebensverhältnisse von Frauen aus der Mitte der Gesellschaft und am unteren Rand viel zu gering.“

Frauen sind sich sicher, dass sie sich zwischen Kindern und Beruf entscheiden müssen

Ein trauriges Ergebnis der Untersuchung: „Vor diesem Hintergrund hat sich die Grundeinstellung dieser Generation von Frauen aus allen Milieus etabliert, dass sie sich zwischen Beruf und Kindern entscheiden müssen.“ Es sei „für die meisten eine Frage des finanziellen Kalküls, ob sie sich Kinder leisten können und wollen.“ Während Frauen mit relativ hohem Einkommen sich insbesondere vor Altersarmut fürchten und um ihre spätere Rente bangen, sind es bei den Frauen mit „den geringsten Einkommen“ existenzielle Ängste.

Sie sorgen sich um ihren wöchentlichen und monatlichen Lebensunterhalt. „Ihre Position am unteren Rand der Gesellschaft aufgrund geringer ökonomischer und sozialer Ressourcen wird durch ihr Geschlecht „Frau“ nochmals geringerwertig.“ Hinzu kommt: In dieser Gruppe ist unter den Frauen mit Kindern der Anteil der Alleinerziehenden und Familienernährerinnen besonders hoch. Gegen Ende des Monats wissen die betroffenen Frauen häufig kaum, wie sie ihre Kinder versorgen sollen. Eine Befragte erklärte, sie renne und kümmere sich rund um die Uhr, trotzdem reiche das Geld oft nicht: „Als Frau machst du dich kaputt.“

Glückliche Karriere-Mutter: Es mangelt an Vorbildern

Außerdem mangelt es den befragten Frauen an adequaten weiblichen Rollenbildern, die verdeutlichen, „wie man eine gute Mutter und erwerbstätige Frau sein kann“, so Wippermann. Zwischen den beiden Stereotypen, der Rabenmutter, die trotz Kindern alles in ihre Karriere investiert, oder dem „Hausmuttchen“, das für die Kinder den Beruf aufgibt, gebe es in Deutschland kaum Orientierung.

Aber gerade die hochqualifizierte weibliche Avantgarde räumt auch ein, dass Frauen den Männern häufig noch zu wenig zutrauen, was die Kindererziehung und die Haushaltsführung angeht, und sich mit diesem Denken selbst im Weg stehen. Grabenkämpfe der Geschlechter sind ihnen fremd: Sie sind sich darüber bewusst, dass auch eine strukturelle Benachteiligung von Männern vorherrscht, die oft immer noch in die Ernährerrolle gedrängt werden.

Die meisten jungen Männer wollen zugunsten der Familie weniger arbeiten

Auch Männern fehlt es oft an geeigneten Vorbildern – und an verständnisvollen Chefs. Denn die Forscher zeigen auf, dass gerade die jungen Männer ihre Arbeitszeit zugunsten der Familie reduzieren wollen. Viele Studien attestierten der jungen Generation „eine große Affinität zu gleichberechtigen Partnerschaftsarrangements“. Allerdings: „Bei der konkreten Umsetzung stoßen Männer als auch Frauen noch auf viele Widerstände.“

Auch weil viele Unternehmen sich flexiblen Arbeitszeiten und Home-Office-Optionen noch versperren. „Frauen mit sehr hoher Qualifikation identifizieren in Deutschland eine merkwürdige Büroanwesenheitsnorm mit der Haltung, dass Arbeiten ‚ungemütlich‘ sein muss, damit sie als wertvoll gilt“, schreibt der Soziologe. Sie wollen demnach „weg von der äußerlichen Büropräsenz hin zum ergebnisorientierten Arbeiten.“

Vorbild sind die skandinavischen Länder

Auch von der Familienpolitik sind viele Frauen enttäuscht, sie hinkt ihrer Ansicht nach der der skandinavischen Länder immer hinterher. „Wenn wir hier zusammensitzen und diskutieren, ob ich mir ein Kind leisten kann, dann hat die Familienpolitik doch schon versagt. Da hat jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht “, resümiert eine Interviewte. Ob der neue Vorschlag von Familienministerin Manuela Schwesig zum Familiengeld sich durchsetzt – also 300 Euro monatlich für Paare, die zwischen 28 und 36 Stunden in der Woche arbeiten sowie beide die Kinder betreuen  –  und die Situation verbessert, bleibt abzuwarten.

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