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Die Trauer einer FamilieArmela (14) starb beim Amoklauf von München

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Armela Amoklauf München ZDF

Die 14-jährige Armela Segashi war das erste Opfer des Amokläufers. Der ZDFinfo-Film "Schatten des Verbrechens" begleitet ihre Familie.

München – Fast ein Jahr ist es nun her: Der Amoklauf am Olympia-Einkaufszentrum versetzt ganz München in einen Ausnahmezustand. Der Täter erschießt vor seinem Selbstmord neun Menschen, die meisten sind Jugendliche. Ein Film zeigt nun, wie schwer es für die Familien ist, weiterzuleben. Er begleitet Armelas Angehörige. Die 14-Jährigen war das erste Opfer des Amokläufers.

Arbnor legt ein Foto seiner Schwester nieder, und einen weißen Teddy. Drumherum Blumen - und Bilder von anderen Opfern. „Eigentlich hasse ich diesen Ort“, sagt der 22-Jährige. „Aber es ist der letzte Ort, an dem sie war.“ Vor knapp einem Jahr hat der Amokläufer David S. hier am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München neun Menschen erschossen. Arbnors Schwester Armela Segashi, 14, war das erste Opfer. „Weil sie meine jüngere Schwester war, hatte ich immer so ein Gefühl, ihr Beschützer zu sein.“ An diesem 22. Juli 2016 gelang ihm das nicht.

Viele Tränen. Trauer in Großaufnahme

Zum Jahrestag porträtiert ZDFinfo Armelas Familie. „Schatten des Verbrechens“ wird am Donnerstag (6. Juli) um 20.15 Uhr ausgestrahlt. Die Reporterin Sarah Tacke begleitet den Bruder, die Schwester und die Eltern Armelas auf ihrem schweren Weg zurück ins Leben.

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Viele Tränen. Trauer in Großaufnahme. Ein bewegendes und sehr persönliches Porträt der Familie. Die Reporterin hält sich nicht im Hintergrund, sie tritt in zahlreichen Gesprächssequenzen ins Bild.

Der Amoklauf: Schüsse. Menschen in Panik. Schwer bewaffnete Polizisten. Das unzählige Male geklickte Video vom Amokläufer. „Ich bin ein Deutscher“, ruft David S. vom Dach eines Parkhauses am OEZ. Kurz davor hat der 18-Jährige, selbst aus einer Familie mit iranischen Wurzeln, gezielt auf Armela und ihre Freunde im McDonald's-Restaurant am OEZ geschossen. Die Jugendlichen wollten eine Woche vor Ferienstart den Notenschluss feiern. David S. fragte Armela, ob es ihr schmecke, heißt es im Film. Dann feuerte er. Er kannte sie nicht.

Opfer stehen im Mittelpunkt

Der Hass des psychisch kranken Schülers, der sich nach der Tat erschoss, richtete sich den Ermittlern zufolge gegen Jugendliche, die von Alter, Aussehen, Herkunft und Lebensstil denen ähnelten, die ihn über Jahre gemobbt und gedemütigt hatten: junge Menschen südosteuropäischer Herkunft.

Armelas Familie stammt aus dem Kosovo. Der Täter, seine rechtsradikale Gesinnung und sein womöglich somit - entgegen der Einschätzung der Ermittler - doch auch rechtsextremes Motiv spielen in dem Film keine Rolle. Er rückt ganz die Opfer in den Mittelpunkt. Armelas Vater Smajl sagt einen wichtigen Satz: „Mit dem Täter habe ich mich nicht mal zwei Sekunden beschäftigt. Ich denke nie an den.“

Sarah Tacke beschreibt: Wie Bruder Arbnor am Abend des 22. Juli die Krankenhäuser abklappert. Wie Vater Smajl zum OEZ läuft, mit dem Pass der Tochter die ganze Nacht an der Absperrung steht, um etwas über ihr Schicksal zu erfahren. Und wie morgens, kurz nachdem er wieder zu Hause ist, Polizei und Kriseninterventionsteam vor der Türe stehen.

„Ihre Schuhe lagen noch vor der Tür"

Die Beerdigung in der Heimat im Kosovo. 15 000 Menschen kamen laut Film. Die Heimkehr in die Wohnung. Arbnor: „Ihre Zahnbürste war noch da, ihre Schuhe lagen noch vor der Tür. In ihrem Zimmer lag noch die Wasserflasche, die sie am letzten Abend getrunken hat. Ich hab die Wasserflasche versteckt, ihre Schuhe alle weggenommen. Damit, wenn meine Eltern kommen, sie diese Sachen nicht im ersten Augenblick sehen müssen.“

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Arbnor studiert Sportmanagement; nun lässt er die Ausbildung ruhen, um den Eltern zu helfen. Er erledigt Behördenkram, etwa Anträge über das Opferentschädigungsgesetz. Ausgleich findet er bei Freunden, beim Fußball. Schwester Arberia findet Halt in ihrer Ausbildung als zahntechnische Fachangestellte. Gespräche mit einer Therapeutin hat sie erst mal abgebrochen - sie habe immer die ganze Stunde geweint.

Der Vater kann nicht mehr arbeiten

Der Vater, der seine Familie als Busfahrer ernährte, kann nicht mehr arbeiten. Mit seiner Frau Nazmije sucht er eine neue Wohnung. Ihre Eigentumswohnung im Münchner Norden wollen sie verkaufen - den Erinnerungen, der Vergangenheit entfliehen. „Ich kann das seelisch nicht mehr ertragen“, sagt Smajl. Trotz Hilfen durch die Behörden und ihre große Familie im Kosovo bleibt das Leben der Segashis schwierig.

„Der Amokläufer hat sie emotional kaputt gemacht, in die Arbeitsunfähigkeit getrieben, ihr Umfeld und ihren Alltag vergiftet“, diagnostiziert der Film. Er will anderen von Leid Betroffenen Mut machen, Hilfe zu suchen. Und er will, dass die Opfer nicht vergessen werden: Armela mit ihrem Traum vom eigenen Make-Up-Salon. Und ihre Familie, die bis heute mit ihrem Schicksal ringt. (dpa)

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