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Mutter mit Burn-out„Das zweite Kind hat das Fass zum Überlaufen gebracht“

Lesezeit 9 Minuten
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„Meine innere Stimme hat mir gesagt, wenn du jetzt nicht handelst, gehst du drauf. Ich brauchte einfach Zeit für mich.“

Keine Antidepressiva, keine Mutter-Kind-Kur: Tanja Bräutigam aus Köln-Hürth ging nach ihrem Burn-out in eine Klinik. Alleine. Wie es dazu kam und wie sie heute damit lebt, hat sie in ihrem Buch „5 Wochen Rabenmutter“ aufgeschrieben. Wir haben die 38-jährige Sporttherapeutin und Mutter von einer achtjährigen Tochter und einem fünfjährigen Sohn dazu befragt.

Frau Bräutigam, Sie sind Mutter von zwei Kindern und hatten ein Burn-Out. Wie kam es dazu?

Tanja Bräutigam: Körperlich war es bei mir die Schlaflosigkeit. In meiner Familie war über zwei Jahre an regelmäßigen Schlaf nicht zu denken, da meine Tochter sehr schlecht geschlafen hat. Nachts war ich oft überfordert, mein Mann ist wegen seines Jobs extrem viel unterwegs auf wochenlangen Reisen. Und wenn meine Tochter mittags mal geschlafen hat, habe ich mich nicht dazu gelegt, das würde ich heute anders machen. Ich habe mich damals als Mutter sehr fremdgesteuert gefühlt, und wollte die freie Zeit unbedingt für mich nutzen. Und noch ein Hauptgrund war, dass ich lange Zeit nicht um Hilfe gebeten habe. Ich habe viel zu lange nicht kommuniziert, wie schlecht es mir geht.

Im Juni 2012 hatten Sie dann einen Zusammenbruch. Nichts ging mehr.

Bräutigam: Ja, vorher, beim ersten Kind, ging das im Alltag alles noch. Beim zweiten Kind kam ich dann physisch und psychisch wirklich an meine Grenze. Ich war irgendwann so ausgebrannt, dass ich nicht mehr in der Lage war, meine Kinder zu versorgen. Ich muss dazu sagen, unser Sohn kam ungeplant und der Zeitpunkt war damals definitiv nicht da fürs zweite Kind. Unser Sohn ist heute natürlich unser großes Glück, aber insgesamt hat das zweite Kind das Fass zum Überlaufen gebracht.

Viele Frauen in Ihrer Situation entscheiden sich für eine Mutter-Kind-Kur. Sie wollten lieber allein für fünf Wochen in eine Klinik. Wieso?

Bräutigam: Ich konnte einfach nicht mehr. Da gab es auch kein „ich versuch es jetzt nochmal“, nein. Meine innere Stimme hat mir gesagt, wenn du jetzt nicht handelst, gehst du drauf. Und deswegen bin ich den Weg gegangen, den viele Außenstehende als extrem empfunden haben. Ich brauchte einfach Zeit für mich.

Ihr Umfeld hat mit Unverständnis reagiert.

Bräutigam: Ja, viele konnten weder verstehen, dass ich nicht mit den Kindern in eine Klinik fahre, noch dass ich keine Antidepressiva genommen habe. Als Mutter hat man offenbar einfach zu funktionieren. Wie kannst du die Kinder nur so lange alleine lassen? Das war die Botschaft. Aber das war mir in diesem Moment egal. Das Tückische an psychischen Krankheiten ist ja, dass man sie nicht sieht. Ich hatte ein paar Kilo abgenommen, aber da ich lange Zeit nichts gesagt habe, gab es sonst keine Anzeichen. Deswegen war es für mein Umfeld nicht leicht, Verständnis aufzubringen. 

Hat Ihre Familie Sie während der Kur eigentlich besucht?

Bräutigam: Ja, zwei Mal. Doch eigentlich war ich für Besuch damals noch gar nicht bereit. Aber natürlich macht man es trotzdem, die Kinder waren damals ja noch sehr klein und wollten natürlich wissen, wo ihre Mutter so lange ist.

Wie haben die Kinder auf Ihre Auszeit reagiert?

Bräutigam: Natürlich war das nicht leicht für sie, auch weil mein Mann sich natürlich nicht fünf Wochen lang komplett allein um sie kümmern konnte. Er hat sie an manchen Tagen und Nächten woanders untergebracht, und dagegen hat meine Tochter damals stark rebelliert. Ihr fällt es noch heute nicht leicht, woanders zu schlafen. Sie dachte, ich sei nur ein paar Tage weg und käme dann wieder. Aber das habe ich damals in Kauf nehmen müssen. Heute weiß ich: Es nützt keinem etwas, wenn wir Mütter uns die ganze Zeit aufgeben. Weil dann irgendwann der große Zusammenbruch kommt.

Viele Ärzte rieten Ihnen immer wieder zu Antidepressiva. Warum haben Sie sich so strikt dagegen gewehrt?

Bräutigam: Mir war klar, so wie mein Leben läuft, ist es nicht richtig. Tabletten hätten nichts daran geändert, sie hätten das alles ja nur überdeckt. Ich nehme generell nur ungern Medikamente, trotzdem bin ich kein Gegner von Antidepressiva. Bestimmt ist es besser, Medikamente zu nehmen, als selbst draufzugehen. Doch ich hatte Angst, was passieren würde, wenn ich die Tabletten dann irgendwann absetze. Mir war klar: Wenn ich ohne auskomme und zufrieden bin, dann hab ich es geschafft.

Sie wollten sich auch nicht in die nächstbeste Klinik einweisen lassen sondern haben sich für eine kleine, anthroposophische Klinik in Süddeutschland entschieden und monatelang für diesen Platz gekämpft. Wie war es in der Klinik?

Bräutigam: Anfangs nicht einfach. Jetzt hatte ich das, was ich so lange unbedingt wollte und merkte dann irgendwann: Das hier ist auch kein Zauberort. Hier klappt es auch nicht von heute auf morgen. Es ist nicht automatisch die Rettung von allem. Im Gegenteil, ich musste den Gedanken zulassen: Ich bin Mitte 30 und sitze in einer psychosomatischen Klinik. Diese Erkenntnis tut weh. Aber insgesamt fühlte ich mich in der Klinik sehr wohl, auch wenn die ersten Tage hart waren. Man muss sich dort mit sich selbst beschäftigen, daran führt kein Weg vorbei.

Die fünf Wochen waren also kein Wellness-Urlaub.

Im Gegenteil, denn auch in der Klinik gibt es Tage, wo einfach nichts mehr geht. An manchen Tagen war ich einfach nur dramatisch aufgelöst. Und mit den eigenen emotionalen Ausbrüchen wird man allein gelassen, zumindest war es in der Klinik, in der ich war so. Trotzdem war ich von den Therapeuten und ihrer leidenschaftlichen Art begeistert.

Wie es Tanja Bräutigam nach ihrem Klinik-Aufenthalt erging, lesen Sie auf der nächsten Seite. 

Was haben Sie dort gelernt?

Bräutigam: Nach zwei Wochen konnte ich endlich wieder in Ruhe schlafen. Und ich fand es toll, regelmäßig zu essen und Zeit für mich zu haben. Und dann habe ich gelernt, meine eigenen Bedürfnisse überhaupt mal wieder wahrzunehmen. Wieder Sport zu machen, in der Natur zu sein, Kunst und Musik zu machen. Es gab viele Momente, die mich an meine Kindheit erinnert haben. Dabei ging es immer um die Frage: Was hilft mir weiter?

Was hilft Ihnen denn jetzt im Alltag weiter?

Bräutigam: Kunsttherapie fand ich in der Klinik super, aber ich habe gemerkt, dass ich mich zu Hause dann doch nicht hinsetze und ein Bild male. Das wäre wie erzwungen. Viel besser hilft mir Bewegung. Ich habe ja früher als Handballerin Leistungssport gemacht und dann mit den Kindern aber jahrelang gar keinen Sport mehr. Heute gehe ich joggen, spiele Beachvolleyball oder Tennis. Und das Beste: ich mache jetzt Yoga zu Hause.

Alleine auf der Matte?

Bräutigam: Das Gute daran: Ich kann das jeder Zeit machen und mir 20 oder 30 Minuten verlässliche Zeit für mich nehmen, etwa wenn die Kinder schlafen. Früher habe ich oft gedacht: Mein Mann ist nicht da, ich komme wieder nicht zum Sport, wie ärgerlich. Yoga zu Hause zu machen hilft mir, aus dieser Opferrolle herauszukommen. Überhaupt hilft es mir, wenn ich in einer emotionalen Falle bin, weg von den Gefühlen und hin zum Körper zu kommen.

Wie haben Sie Ihren Alltag sonst noch verändert?

Bräutigam: Gut ist, dass mein Sohn inzwischen auch in die Kita geht, ich gehe jetzt also wieder arbeiten, das ist mir wichtig. Und ich habe mir ein Netzwerk aus Experten aufgebaut: Ich habe eine gute Heilpraktikerin gefunden und eine gute Psychotherapeutin. Und eine Babysitterin und eine Putzfrau. Das gönne ich mir einfach jetzt.

Früher haben Sie das nicht getan?

Bräutigam: Nein, wenn man nicht außer Haus arbeitet, macht man das einfach nicht. Mir ist wichtig, dass ich meine Rechnungen heute selbst bezahlen kann, seit ich arbeite, fühle ich mich unabhängiger. Auch wenn meine Ehe nicht gehalten hat und ich inzwischen alleinerziehend bin: Ich rechne es meinem Ex-Mann hoch an, dass er mir nach dem Klinikaufenthalt genug Zeit gegeben hat, mich beruflich zu finden. Heute arbeite ich in meinem Traumjob als Sporttherapeutin.

Böse Zungen könnten sagen: Andere Frauen schaffen es doch auch mit zwei Kindern. Warum haben Sie es nicht geschafft?

Bräutigam: Da gibt es sicher mehrere Gründe. Mit meinen 1,89 Metern bin ich eine sehr große Frau. Und große Menschen werden schon als Kinder überschätzt. Ich bin es einfach nicht gewohnt, Hilfe zu bekommen und auch nicht, darum zu bitten. Das musste ich lernen. Heute bin ich es mir wert, mich klar zu positionieren und lösungsorientiert zu denken. Ich habe auch gelernt, nicht immer nett und unkompliziert sein zu müssen, ein typisches Frauenproblem. Doch das Ganze ist ein Prozess, der Zeit braucht. Heute frage ich mich oft: Warum habe ich mir das Leben damals mit nur einem Kind nicht schöner gemacht?

Und warum haben Sie nicht?

Bräutigam: Diese totale Fremdbestimmtheit hat mich umgehauen, das erlebt man vorher einfach nicht. Auch nicht im Job. Ich finde auch heute noch, rund um die Uhr für mehrere Kinder verantwortlich zu sein, ist anstrengender als jede andere geregelte Arbeit. Nicht umsonst arbeiten viele Kleinkind-Väter besonders viel und gerne. Trotzdem liebe ich meine Kinder über alles und bin ihnen sehr dankbar, dass sie mich mit ihrer Art immer wieder ins Hier und Jetzt holen.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass nach der Klinikzeit viele gar nicht wirklich wissen wollten, wie es Ihnen geht.

Ja, das hat mich überrascht. Auf Partys etwa wurde ich nur kurz gefragt: Wie geht es dir? Ah gut, ok, und schon war das nächste Thema dran. Und ich wollte eigentlich wirklich gerne darüber sprechen.

Vielleicht haben sich viele auch einfach nicht getraut, weiter zu fragen. Oder sich dabei unwohl gefühlt.

Bräutigam: Bestimmt, psychische Krankheiten werden in unserer Gesellschaft ja immer noch tabuisiert. Mich hat aber noch etwas anderes überrascht.

Was denn?

Bräutigam: Dass mein Umfeld erwartet hat, dass ich sofort wieder funktioniere, sobald ich aus der Klinik zurück bin. Dabei war das Gegenteil der Fall. Ich bin zu Hause erstmal in ein Loch gefallen. Was aber wohl auch normal ist. Mir ging es körperlich wieder besser, aber um wirklich gesund zu werden, ist es ein Riesenschritt.

Was raten Sie anderen, denen es ähnlich geht?

Bräutigam: Vor allem, sich selbst und die eigene Leistung, wertzuschätzen. Es ist doch traurig, dass wir meinen, Anerkennung immer nur über das Außen, etwa über den Job, bekommen zu können. Es lohnt sich vielmehr, den Blick nach innen zu richten. Nur wenn ich mich selber im Blick behalte und gut für mich sorge, kann es mir auch gut gehen.

Buchtipp: Tanja Bräutigam: „5 Wochen Rabenmutter“, Eden Books, 288 Seiten, 14,95 Euro.

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