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Tabu-ThemaSingle-Frau, 40 Jahre, ungewollt kinderlos - und jetzt?

Lesezeit 5 Minuten
Trauer über ein Kind, das viel zu früh ging.

Trauer über ein Kind, das viel zu früh ging.

„Mein Name ist Stephanie, ich bin 40 Jahre alt, Single und kinderlos – und es ist nicht das, was ich für mich selbst wollte.” Es ist eine andere Form von „Coming Out“, von dem Stephanie Booth in ihrem Blog „Climb to the Stars“ berichtet. Denn es handelt sich um einen Satz, der gleich zwei gesellschaftliche Tabus enthält: Die Anglo-Schweizerin aus Lausanne ist eine - ungewollt - alleinstehende Frau, die - ungewollt - kinderlos geblieben ist. Zusammengenommen erhöhen sie die Schamgrenze, darüber zu sprechen, für Booth deutlich: Wenn eine Frau schon keine Kinder hat, so das Klischee, dann wohl aus voller Überzeugung oder womöglich weil es körperlich nicht möglich war – aber einfach, weil die Lebensumstände es nicht zuließen?  

Ungewollt Kinderlose haben Probleme darüber zu sprechen

Frauen, die dieses Schicksal teilen, haben oft große Probleme, darüber zu sprechen. Das offenbart die Online Community „Gateway Women“, der Booth sich angeschlossen hat. Die Londonerin Jody Day hat sie ins Leben gerufen, um zu zeigen, dass es unzählige Gründe für eine kinderlos bleibende Frau geben kann – und dass der gesellschaftliche Druck, der auf ihr lastet, enorm hoch ist. Die Community startete sie 2011, wie sie schreibt, um „childless-by-circumstance-women“ zu unterstützen, also Frauen, die aus welchen Umstände auch immer, kinderlos geblieben sind.

Hinter jeder kinderlosen Frau steht eine andere Geschichte

Hinter jeder kinderlosen Frau steht demnach eine andere Geschichte: „Der Raum namens Kinderlosigkeit hat viele Türen“, heißt es bei Gateway Women, nicht nur die mit der Aufschrift „wollte keine“ oder „konnte keine bekommen“. Stellvertretend für die vielen unterschiedlichen Gründe zählt Day auf ihrer Seite 50 davon auf: Ob man nun ab Mitte 30 keinen Partner finden konnte, oder ob der Partner, mit dem man während der fruchtbaren Jahre zusammen war, keine Kinder wollte, oder ob man es sich nicht leisten konnte, allein ein Kind groß zu ziehen, oder ob man während der fruchtbaren Jahre sehr oft krank war. Doch so vielfältig die Gründe sind, so gering ist die gesellschaftliche Akzeptanz für dieses Schicksal. „Ich habe Gateway Women ins Leben gerufen, um unsere Isolation zu beenden“, schreibt die 50-jährige Day, „und einen sicheren Ort zu schaffen, an dem wir über unseren Schmerz und unsere Trauer sprechen können“.

Sprüche abwiegeln: „Sei doch froh, dass Du so viel Freiraum hast“

Dass diese Erfahrung tatsächlich in die soziale Isolation führen kann, weiß Dr. Tewes Wischmann, Dozent am Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Heidelberg. Die Situationen, mit denen ungewollt kinderlose Frauen am Arbeitsplatz, im Freundeskreis oder in der Familie konfrontiert würden, seien oft nur schwer auszuhalten, so Wischmann, der sich seit Jahren mit psychologischer Hilfe für ungewollt Kinderlose beschäftigt. Manche würden sich kaum noch auf Familienfeste mit vielen Neffen und Nichten trauen. Wenn die Eltern und Geschwister bei jedem neuen Zähnchen des Neffen aus dem Häuschen sind, aber angesichts des eigenen kinderlosen Lebens kaum Emotionen zeigen, könne das sehr wehtun.

Doch da sind nicht nur die Eltern, die Druck machen, wie viele betroffene kinderlose Frauen berichten, sondern auch die Freunde, die vermeintlich gute Ratschläge geben à la „es ist ja noch Zeit“ oder „was die Medizin nicht alles möglich macht“ über „Kinder sind ja auch anstrengend, sei doch froh, dass Du so viel Freiraum hast“ bis hin zu „wenn Du bislang keine Kinder bekommen hast, wolltest Du unterbewusst bestimmt auch keine“.

Netzwerken: Ungewollt kinderlose Frauen sind keine Exotinnen mehr

Um solche oder ähnliche Kommentare zu vermeiden, suchen Betroffene Wischmann zufolge oft Ausreden: Sie geben also vor, dass sie sich bewusst gegen Kinder entschieden haben. Das erzeugt zusätzlichen Stress, denn vielen Frauen hilft es eigentlich, mit jemandem über ihre Situation zusprechen - nur mit Ratschlägen sollten sich Freunde und Familienangehörige zurückhalten, wie der Diplom-Psychologe erklärt. Betroffene sollten wiederum offen sagen, dass ihnen derartige Kommentare nicht weiterhelfen. Ungewollt kinderlose Frauen sollten sich außerdem unbedingt klarmachen, dass sie keine Exotinnen sind, und sich im Freundeskreis oder in der Familie an Frauen orientieren, denen es ähnlich geht.

Trauerarbeit: Das Kind, das man nie bekommen hat, zu Grabe tragen

Für viele betroffene Frauen komme schließlich der Punkt, an dem es besser sei, mit dem Kinderwunsch abzuschließen und die Situation zu akzeptieren, anstatt sich weiterhin unter Druck zu setzen, so der Psychologe. Hier könne auch das Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland helfen, das Experten vermittelt, die beim Abschied vom Kinderwunsch unterstützend zur Seite stehen. In bestimmten Fällen sei auch eine Psychotherapie sinnvoll, so Wischmann. Wenn Frauen, das Kind, das sie nie bekommen haben, zu Grabe tragen, sei das für die Betroffenen schließlich ähnlich wie der Tod eines nahen Angehörigen. Die Trauer und der Schmerz seien vergleichbar, so der Diplom-Psychologe. Allerdings heiße das auch, dass man diesen durch Trauerarbeit überwinden könne.

Andere Lebensträume: Schon früh an Plan B und Plan C denken

Hilfreich sei es auch, sich nicht erst andere Lebens-Perspektiven zu suchen, wenn klar sei, dass man tatsächlich kinderlos bleiben werde, rät der Experte. Wenn ein Kind der einzige Lebenstraum sei, den man habe, sei es umso schlimmer, wenn er sich nicht erfülle. „Stattdessen sollten Frauen frühzeitig nach Alternativen für ein sinnvolles und erfülltes Leben suchen und einen Plan B oder Plan C entwickeln“, so Wischmann. Manchen Frauen helfe es etwa, sich beruflich neu zu orientieren oder eine Auszeit zu nehmen. Gateway-Women-Gründerin Jody Day hat sich dafür entschlossen, die Energie, die sie andernfalls wohl für eine eigene Familie gebraucht hätte, in ihre Lobby-Arbeit für kinderlose Frauen zu stecken, wie sie im Guardian berichtet. „Es wird Zeit, dass wir eine Stimme bekommen“, so Day. „Schließlich werden wir immer mehr.“

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