Unheilbare KrankheitSophie ist 16 - und hat Kinderdemenz

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familienfotokinderdemenz

Sophie (16, li.) mit ihrer Familie.

Wenn wir an Demenz denken, denken wir an alte Menschen. Dass auch Kinder dement werden, wissen viele nicht. Auch Karen wusste darüber wenig. Bis ihre Tochter Sophie an juveniler NCL erkrankte. Sie ist 16 und kann immer weniger.

NCL, das ist die Abkürzung für Neuronale Ceroid Lipofuszinose, eine Stoffwechselkrankheit, die das zunehmende Absterben von Nervenzellen zur Folge hat. NCL ist die häufigste Form von Kinderdemenz. JNCL wird durch einen Fehler im Erbmaterial verursacht, der rezessiv vererbt wird. Die Zerstörung der Neuronen führt bei den Betroffenen zu Erblindung, geistigem Abbau, motorischen Störungen, Epilepsie und einem vorzeitigen Tod.

Sie war von Anfang an recht langsam in ihrem Denken

Sophie ist eines von rund 700 betroffenen Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Sie war von Anfang an recht langsam in ihrem Denken. Mit vier bekam sie ihre erste Brille, aber sie kam nicht richtig damit klar. Sie sah einfach trotzdem nicht besser, hatte Probleme mit den Stufen der Treppe. Sie besuchten diverse Augenärzte, viele sagten, die Eltern sollten nicht überbesorgt sein. Das Kind habe ja schließlich 50 Prozent Sehkraft. 50 Prozent! „Wir sollten mal nicht den Teufel an die Wand malen, sagten sie, manchmal seien Kinder halt langsamer“, erinnert sich Sophies Mutter. Doch sie blieb dran.

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Sophie ist eines von rund 700 Kindern und Jugendlichen in Deutschland, die an Kinderdemenz leiden.

Karen besuchte mit Sophie die Neuropädiatrie an der Medizinischen Hochschule Hannover, beim ersten Besuch tappte man diagnostisch noch im Dunkeln, beim zweiten Besuch zeigte Sophie als Symptom ein für JNCL typisches Schielen und der Arzt wusste nun, in welcher Richtung er suchen musste und schickte ihr Blut ans Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. Sie blieb so lange dran, bis festgestellt wurde: Sophie hat juvenile NCL.

Kinderdemenz ist unheilbar und wird rein palliativ behandelt

Die Diagnose war ein Schock für ihre Mutter. Aber gleichzeitig auch eine Erleichterung. Endlich musste sie nicht weiter suchen, was mit ihrem Kind los war. Trotzdem rechnete sie nicht mit sowas – Kinderdemenz.

NCL ist eine Krankheit, die rein palliativ behandelt wird. Bei der juvenilen Form kann man nichts tun, um die Kinder zu heilen. Trotzdem ist die Lebenserwartung unterschiedlich. Manche Betroffene sterben mit 20, andere mit 30. Um weiter zu forschen und die Krankheit verstehen zu können, gibt es die NCL-Stiftung, die sich hauptsächlich mit der juvenilen Form (JNCL) beschäftigt, welche am häufigsten auftritt.

Sophies Verschlechterungen kommen in Schüben

Sophie ist jetzt 16. Sie sieht nicht mehr, kann nur noch hell und dunkel unterscheiden. Ihre Sprachfähigkeit lässt nach, man versteht sie immer schlechter. „Das hält Sophie nicht davon ab, den ganzen Tag zu reden“, lächelt die Mutter. „Aber man versteht sie eben nicht mehr wirklich gut“. Ihr Gang wird schlechter, ihre Schritte langsamer, die Beine formen sich zu einem X. Die Verschlechterungen kommen in Schüben.

Sophie selbst soll so lange wie möglich nichts davon erfahren, wie ihre Krankheit ausgehen wird. Sie soll leben. Weiter Spaß haben auf ihrer Blindenschule und sich an ihrem vierjährigen Bruder freuen – der gesund ist.

Warum wissen so wenige Menschen, dass es Kinderdemenz gibt?

DREI FRAGEN AN DEN VORSTAND DER NCL-STIFTUNG, FRANK STEHR

Ist der Krankheitsverlauf von Sophie ein typischer?

Ja, es handelt sich hier um den typischen Verlauf der juvenilen NCL. Die Kinder entwickeln sich bis zum Einschulalter ganz normal. Es treten keine Auffälligkeiten auf. Wobei Sophie relativ früh schon Sehprobleme hatte. In der Regel beginnen die im Alter von fünf bis acht Jahren. Die betroffenen Kinder erblinden dann innerhalb kürzester Zeit. Hier müssten dann die Augenärzte hellhörig werden. Parallel fangen dann die schulischen Probleme an aufgrund der einsetzenden Demenz. Mit circa zehn bis zwölf Jahren treten dann epileptische Anfälle auf. Auch die Motorik und die Sprache leiden unter der Krankheit. Die jungen Erwachsenen werden dann schwere Pflegefälle und kein Patient wird selten älter als 30 Jahre.

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Dr. Frank Stehr, Vorstand der NCL-Stiftung

Welche Hilfen gibt es für Familien wie die von Sophie?

Hier wäre an erster Stelle die NCL-Gruppe Deutschland zu nennen, eine ehrenamtlich geführte Selbsthilfegruppe. Es haben sich betroffene Familien organisiert, die einander helfen. Wichtige Themen, wie zum Beispiel die Trauerbegleitung, die Betreuung der gesunden Geschwisterkinder, der Umgang mit den epileptischen Anfällen, werden im Rahmen von Jahres- und Regionalgruppentreffen besprochen.

Die Unikliniken in Hamburg und Göttingen sind die klinischen NCL-Zentren in Deutschland. Außerdem können Kinderhospize die Familien entlasten.

Die gemeinnützige NCL-Stiftung setzt sich indirekt für die NCL-Familien ein. Die Stiftung setzt Forschungsimpulse, fördert internationale Wissenschaftskooperationen und informiert Augen- und Kinderärzte, um eine frühe Diagnose zu ermöglichen und den Eltern eine jahrelange Odyssee durch Warte- und Sprechzimmer zu ersparen. Außerdem werden bereits SchülerInnen der Biologie-Oberstufe im Rahmen von Lernpartnerschaften für seltene Krankheiten sensibilisiert.

Warum wissen so wenige Menschen, dass es Kinderdemenz gibt?

Bei Kinderdemenz beziehungsweise NCL handelt es sich um eine seltene Krankheit. Man geht davon aus, dass es 5000 bis 8000 verschiedene seltene Erkrankungen gibt. Die kann nicht jeder kennen, selbst die Fachleute nicht. Daher liegt es an uns, die NCL-Stiftung, Kinderdemenz bekannter zu machen und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit darauf zu lenken. Denn Kinderdemenz birgt auch ein großes Forschungspotential. Medikamente, die für NCL entwickelt werden, könnten möglicherweise auch bei den wesentlich häufiger vorkommenden Demenzen des Alters, wie Alzheimer, helfen. Hier geht es darum, über den Tellerrand zu schauen und auch die seltenen Erkrankungen nicht zu vernachlässigen.

Dieser Text erschien ursprünglich auf dem Familien-Blog „Stadt-Land-Mama“.

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