WirtschaftsethikBWL jenseits von Profitgier

Lesezeit 6 Minuten
Profitgier ist eine Eigenschaft von Dagobert Duck. Im Fachbereich Wirtschaftsethik lernen Studenten, wie Unternehmen auch im moralischen Sinne gut handeln können - jenseits von Renditezielen.

Profitgier ist eine Eigenschaft von Dagobert Duck. Im Fachbereich Wirtschaftsethik lernen Studenten, wie Unternehmen auch im moralischen Sinne gut handeln können - jenseits von Renditezielen.

Köln – Gutes Geld verdienen: Das ist für viele Erstsemester ein Grund, sich für ein Studium der Betriebswirtschaft zu entscheiden. „Gut“ verstehen die meisten dabei wohl zunächst im Sinne von „viel“. Wenn sie wissen wollen, wie Unternehmen auch abseits aller Renditeziele im moralischen Sinne gut handeln können, sollten sie ein Seminar bei Bernd Irlenbusch belegen. Der 46-Jährige ist Professor für Wirtschaftsethik und Verhaltensökonomie, einem Bereich der Betriebswirtschaftslehre (BWL), den es an der Universität Köln erst seit zwei Jahren gibt. Der Forscher untersucht Fragen der Wirtschaftswissenschaft mit Methoden der Ethik und der Verhaltensforschung. „Eine ganz neue Kombination, die es sonst nirgendwo gibt in Deutschland“, sagt Irlenbusch.

Dass die Universität im April 2010 diesen Fachbereich aus der Taufe hob, hat viel mit ihm zu tun – und mit einer Initiative engagierter Wirtschaftsstudenten. Die hatten sich 2009 unter dem Eindruck der sich zuspitzenden Bankenkrise an den Dekan gewandt. Ihre Forderung: Wer BWL studiert, solle auch Ethik lernen – wie es ausgehe, wenn Menschen das eine ohne das andere anwenden, zeige die aktuelle Krise hinreichend.

Ethische Fragen in der Ökonomie

Damals verhandelte Bernd Irlenbusch gerade mit der Universitätsleitung über einen Wechsel nach Köln. „Der Dekan erzählte mir von der Anregung der Studierenden“, sagt er. „Zusammen haben wir uns überlegt, meinem zukünftigen Lehrstuhl auch eine Ausrichtung in Wirtschaftsethik zu geben.“ Ein Grund mehr für den Ökonomen nach Köln zu gehen: „Ethische Fragen in der Ökonomie interessieren mich seit langem.“

Alles zum Thema Universität zu Köln

Zum einen kann er nun mithelfen, Pionierarbeit auf einem noch jungen Forschungsgebiet zu leisten. Zum anderen ist der gebürtige Bergisch Gladbacher zurück in der Heimat. Für Köln ließ er eine Stelle sausen, um die ihn manch anderer Kollege beneidet haben dürfte: Irlenbusch war Dozent an der London School of Economics, in Europa wohl die renommierteste Adresse für Wirtschaftsforscher.

Die Forschungsfragen gehen dem studierten Ökonomen, der gern über den Tellerrand seines Fachs blickt, auch am Rhein nicht aus. Im Gegenteil: Weil sich sein neues Forschungsmenü der Zutaten dreier Disziplinen – Wirtschaftswissenschaften, Philosophie und Verhaltenspsychologie – bedient, darf er zugleich in mehreren Töpfen rühren. Vom Klimawandel über Korruption bis zu Jean-Paul Sartre – alles kann Thema werden an diesem Lehrstuhl.

Jenseits von Renditezielen

„Wir bringen den Studenten Ansätze bei, wie sich wirtschaftliches Handeln jenseits von Renditezielen bewerten lässt“, sagt Irlenbusch. Kürzlich habe er beispielsweise in einer Vorlesung den französischen Philosophen Emmanuel Levinas vorgestellt. „Dessen Leitspruch ist: »Der Andere kommt zuerst.« Solch einen Satz bekommen BWL-Studierende normalerweise nicht zu hören. Meist geht es ja darum, wie man effizient agiert und Profite für sein Unternehmen macht.“

Die künftigen Manager in ihrem Studium mit anderen Sichtweisen und Werten zu konfrontieren, sei eines der Hauptziele des neuen Studienangebots, sagt Irlenbusch. Bislang können die Studierenden das jedoch elegant umgehen – Wirtschaftsethik ist nur Wahlfach im BWL-Studium. Man arbeite aber daran, den Ethikunterricht verpflichtend zu machen. Schließlich gebe es heute in vielen Konzernen einen Bedarf an philosophisch geschulten Mitarbeitern.

Zwei Gründe seien dafür ausschlaggebend, hat Irlenbusch beobachtet: Zum einen riskierten Unternehmen, die unethisch handeln, Skandale und damit Umsatzverluste. Zum anderen spiele neben einem Image als verantwortungsvoller Arbeitgeber heute auch der Kampf um die besten Köpfe eine wichtige Rolle. Neben philosophischen Fragen geht es in dem neuen Fach aber vor allem um Verhaltensforschung. In Experimenten versuchen Irlenbusch und sein Team zu klären, welche Gründe – jenseits vom rationalen Verhalten – wirtschaftliches Handeln steuern.

Nicht immer mit dem Verstand entscheiden

„Die Idee ist, dass Menschen Entscheidungen nicht immer mit dem Verstand und auch nur eingeschränkt ethisch treffen“, erklärt Irlenbusch. „Oder man will vielleicht ethisch handeln, aber das ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen nur schwer möglich.“ Um solche Verhaltensmuster zu erkennen, ersinnen die Kölner Forscher Tests, die sie mit Probanden – meist eigenen Studierenden – im sogenannten Labor durchführen. Einem Raum mit vielen PCs, die in abgetrennten Kabinen stehen. Jeder Proband hat seinen Bildschirm und muss im von den Forschern erdachten Spiel Entscheidungen treffen.

Experimentelle Verhaltensforschung ist in der Wirtschaftswissenschaft ein relativ junges Feld. Köln hat die einzige Universität in Deutschland, die sich einen eigenen Fachbereich Verhaltensökonomie leistet.

An der Universität findet in dieser Woche der internationale Kongress des Verbands der experimentell forschenden Ökonomen (Economic Science Association, kurz ESA) statt. Der Verband feiert zudem das 30-jährige Bestehen des Ultimatum-Spiels, einer Anwendung der Spieltheorie für die Wirtschafts- und Verhaltensforschung. Es wurde in Köln entwickelt.

Rund 200 Verhaltensökonomen diskutieren vom 12. bis 15. September ihre neuesten Studien. Bei der European Conference Cologne 2012 reichen die Themen von „Wie beeinflusst Humor unsere moralischen Entscheidungen?“ bis zur Frage, ob Teams rationaler als Einzelpersonen entscheiden. Reden wird auch Max Bazerman von der Harvard Business School in Boston, Begründer der Verhaltensökonomie. (ma)

Der Klassiker eines solchen Entscheidungsspiels ist das sogenannte Ultimatum-Spiel. Es wurde vor genau 30 Jahren an der Kölner Universität ersonnen, vom damaligen Ökonomieprofessor Werner Güth. Mit diesem Spiel lässt sich zeigen, dass Wirtschaft gar nicht so rational abläuft, wie man immer denkt. Es geht so: Ein Proband muss einem anderen vorschlagen, wie man zehn Euro unter sich aufteilen soll. Zu dem Vorschlag kann der andere nur „Ja“ oder „Nein“ sagen. Lehnt er ab, bekommt keiner der beiden das Geld. Stimmt er zu, kriegt jeder den vorgeschlagenen Anteil. „Rational würde man sagen, der erste sollte dem zweiten einen Cent anbieten – und der würde ihn nehmen, weil er sonst gar nichts bekommt“, sagt Irlenbusch. Im Experiment aber vergleichen die Kontrahenten ihre Anteile miteinander, deshalb kommt das Ein-Cent-Angebot tatsächlich fast nie. „Daran sieht man, dass es nicht nur darauf ankommt, was man selbst erhält, sondern wie man im Vergleich zu anderen dasteht.“

Bernd Irlenbusch arbeitete schon früh im Supermarkt seiner Eltern in Kürten mit und absolvierte eine Ausbildung als Kaufmann im Lebensmitteleinzelhandel. Als eine langjährige Mitarbeiterin Geld unterschlagen hatte, fragte er sich, warum man so etwas riskiert. Später ging er in einer Studie über Korruption und Unterschlagung dieser Frage nach. Reinhard Selten war sein erster Lehrer als Wirtschaftsstudent an der Universität Bonn. Selten ist einziger deutscher Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften. Nach der Promotion ging Irlenbusch nach Erfurt und habilitierte sich 2004.

Als Dozent forschte er sechs Jahre im Management Department der London School of Economics. Seit 2010 leitet er den Fachbereich Unternehmensentwicklung und Wirtschaftsethik an die Universität Köln. Die Studien des Instituts werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen einer Forschergruppe und durch die Exzellenz-Initiative gefördert. (ma)

In einer eigenen Studie konnte Irlenbusch nun zeigen, dass der viel gerühmte Konkurrenzkampf in Unternehmen unter Umständen zu schlechteren Ergebnissen führt: „In Teams, in denen der eine auf die Hilfe der anderen angewiesen ist, sollten Chefs nicht unbedingt Konkurrenz schüren.“ Wenn nur das beste Teammitglied einen Bonus erhält, neigen die anderen nämlich dazu, den Konkurrenten zu sabotieren – und damit die eigene Leistung im Vergleich zu erhöhen. Unternehmern im Experiment solche Fallstricke aufzuzeigen, auch das sei ein Ziel des neuen Fachbereichs. Schließlich gehe es in der Wirtschaft vor allem um Menschen. Und nur in zweiter Linie ums Geld.

KStA abonnieren