Dank „Widerrufsjoker“So kommen Sie raus aus Ihrem teuren Kreditvertrag

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Wer einen Baukredit abgeschlossen hat, hängt oft jahrelang auf einem bestimmten Zinsniveau fest. In Zeiten niedriger Zinsen können Verbraucher mit einem Widerruf und günstigeren Darlehen viel Geld sparen.

Wer einen Baukredit abgeschlossen hat, hängt oft jahrelang auf einem bestimmten Zinsniveau fest. In Zeiten niedriger Zinsen können Verbraucher mit einem Widerruf und günstigeren Darlehen viel Geld sparen.

Haben Sie zwischen dem 1. November 2002 und dem 10. Juni 2010 eine Immobilienfinanzierung abgeschlossen? Dann können Sie Ihren teuren Darlehensvertrag vielleicht widerrufen – wenn er eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung enthält.

In acht von zehn Kreditverträgen soll es solche Fehler geben, sagt Dr. Jochen Strohmeyer, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht der Kanzlei mzs Rechtsanwälte. Und ist die Widerrufsbelehrung falsch, gilt keine vertragliche Frist mehr: „Der Widerruf des Darlehensvertrages kann dann jederzeit erklärt werden“, erläutert Annabel Oelmann von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

Das bedeutet: Kreditnehmer können mit dem sogenannten „Widerrufsjoker“ aus einer Baufinanzierung mit unattraktiven Konditionen herauskommen. Sie haben die Möglichkeit, den Darlehensvertrag auch noch Jahre später zu widerrufen – selbst dann, wenn das Darlehen bereits zurückbezahlt wurde. Und sie müssen dabei nicht für die teure Vorfälligkeitsentschädigung aufkommen, die anfällt, wenn Kunden das Darlehen kündigen.

So haben kürzlich zwei kleine Fußnoten dafür gesorgt, dass die Sparkasse Neuss ein Darlehen über 100.000 Euro rückabwickeln muss. Entsprechend urteilte das Landgericht Düsseldorf (Az.: 10 O 131/14). In dem Dokument waren zwei Fußnoten ergänzt worden, darunter eine mit dem Text „Bitte Frist im Einzelfall prüfen“.

Laut Landgericht Düsseldorf sei hier unklar, wer genau die Widerrufsfrist prüfen müssen. Die Widerrufsbelehrung sei nicht eindeutig und führe zu Irritationen auf Seiten des Kreditnehmers, was nach aktueller Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes einen deutlichen Mangel darstellt.

Allerdings endet nicht jedes Urteil zugunsten der Kunden: „Die Rechtsprechung zu den in deutschen Sparkassen verwendeten Formularen ist sehr unterschiedlich“, heißt es seitens des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands. Gerade aus den bei Sparkassen verwendeten Formularen seien Rechte und Pflichten der Vertragsparteien klar erkennbar. „Eventuelle minimale Ergänzungen der Texte sind rein formaler Natur und unterstreichen dies.“ Nichtsdestotrotz gibt es die Rechtslücke – und sie wird von Kreditnehmern und Anwälten ausgenutzt.

Kann auch ich meinen Vertrag anfechten?

Diese Frage treibt viele Kreditnehmer um. Ein Fehler liegt beispielsweise dann vor, wenn es keine Hinweise zu den Rechtsfolgen eines Widerrufs gibt. In einigen Fällen fehlen die korrekten Anschriften oder es werden Telefonnummern aufgeführt, obwohl früher ein telefonischer Widerruf gar nicht rechtens war.

„Zum einen geht es um inhaltliche Fehler, also zum Beispiel um fehlerhafte oder widersprüchliche Formulierungen. Zum anderen muss die Widerrufsbelehrung aber auch ein deutlich hervorgehobenes Erscheinungsbild wahren und damit für den Verbraucher klar im Darlehensvertrag erkennbar sein“, sagt Helmut Weigt, Finanzierungsberater und Vorsitzender des Verbands Wohneigentum Rheinland-Pfalz.

„Wenn beide Vertragsparteien – also hier Bank und Kunde – mit einer Änderung einverstanden sind, kann ein Vertrag grundsätzlich immer geändert werden“, sagt Tanja Beller, Sprecherin des Bundesverbands deutscher Banken. Allerdings sind nach Angaben verschiedener Anwaltskanzleien allein in Nordrhein-Westfalen schon mehrere hundert Kunden vor Gericht gezogen, weil eine Einigung anders nicht möglich war.

Die Verbraucherzentrale NRW verzeichnet zum Thema Widerruf von Darlehensverträgen eine hohe Nachfrage seitens der Verbraucher. Diese beziehe sich sowohl auf die Prüfung der Widerufsbelehrung, als auch auf die Gegenwehr der Banken und Sparkassen. Konkrete Zahlen zu bisher widerrufenen und fehlerhaften Verträgen kann der Bankenverband selbst nicht nennen: „Wir führen keine Statistik über Kreditverträge, die unserer Mitgliedsinstitute mit ihren Kunden abschließen oder beenden“, sagt Tanja Beller. Gleiches gilt für die Sparkassen.

Wie gehen Betroffene am besten vor, wo gibt es Hilfe, und wer spart Geld? Antworten gibt es auf der nächsten Seite.

Am besten einen Fachanwalt fragen

Kreditnehmern bleibt der Gang zum Anwalt meist nicht erspart, denn einem Laien ist es kaum möglich zu entscheiden, ob ein Vertrag anfechtbar ist oder nicht. Schon ein einzelnes Wort kann den Sachverhalt erheblich beeinflussen. „Da eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung in der Regel für einen Laien nur sehr schwer erkennbar ist, sollten Verbraucher, die ab dem 2.11.2002 einen neuen Darlehensvertrag abgeschlossen haben, diese Baufinanzierung von einem spezialisierten Fachanwalt prüfen lassen“, empfiehlt daher Finanzierungsberater Helmut Weigt.

Der Verbandsvorsitzende warnt zudem vor langwierigen Verhandlungen: „Es ist sehr leicht behauptet, dass eine Widerrufsbelehrung fehlerhaft ist. Selbst wenn Fachanwälte diese Auffassung begründet darlegen, heißt das noch lange nicht, dass eine Bank den Widerruf ohne weiteres akzeptiert.“

Auch die Sparkassen warnen vor einer „erheblichen Rechtsunsicherheit“ für den Kunden, der „im Ernstfall“ teuer werden könne. Letztenendes muss jeder Kreditnehmer selbst entscheiden, ob er sich rechtliche Hilfe leisten kann und den Baunfinanzierungsvertrag anfechten will.

Mehr Geld für die Kredit-Tilgung

Ein Kreditnehmer kann von einem Widerruf profitieren, wenn die von ihm zu zahlenden Zinsen nicht mehr dem aktuell niedrigen Zinsniveau entsprechen. Er darf dann mit einem Widerruf in ein günstigeres Darlehen wechseln. „Das lohnt sich vor allem deshalb, weil die meisten älteren Verträge zu deutlich höheren Zinsen abgeschlossen wurden als dies bei heutigen Verträgen möglich ist“, erläutert Dr. Jochen Strohmeyer, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht der Kanzlei mzs Rechtsanwälte.

Ein Beispiel: Eine Familie hat vor fünf Jahren einen Kreditvertrag über 220.000 Euro unterzeichnet. Der Zinssatz beträgt 4,25 Prozent. Bei einer monatlichen Rate von 1145 Euro beträgt die Restschuld noch 195.000 Euro. Bis zum Laufzeitende in fünf Jahren würden 38.000 Euro an Zinsen anfallen.

Die Familie widerruft erfolgreich und der neue Kreditzins beträgt 2,5 Prozent. Bei gleicher Rate müsste die Beispielfamilie lediglich 22.000 Euro zahlen – 16.000 Euro gespart. Geld, das ohne weiteres für die Tilgung aufgewendet werden kann, und das Ganze ohne Vorfälligkeitsentschädigung zahlen zu müssen.

Vorher die Anschlussfinanzierung sichern

Vor dem Widerruf steht die Sicherstellung der Anschlussfinanzierung. Denn mit dem Widerruf muss die Kreditsumme aus der Baufinanzierung getilgt werden. „Da kaum jemand einen größeren Betrag 'auf der hohen Kante' hat, muss also die Anschlussfinanzierung bereits geklärt sein. Widerrufen Sie also erst, wenn Sie eine verbindliche Finanzierungszusage der neuen Bank haben“, sagt Verbraucherschützerin Annabel Oelmann. (mit Material von Biallo)

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