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DarmerkrankungMein Leben mit Colitis ulcerosa

Lesezeit 6 Minuten
Elke Rath mit ihrer Tochter Maya

Elke Rath mit ihrer Tochter Maya

Manchmal laufe ich durch die Stadt und denke: Ich bin eine Fremde. Keiner versteht mich. Keiner weiß, wie ich mich fühle. Und dann lese ich in der Zeitung über andere chronisch Kranke und freue mich fast: Schön, so allein bist du doch nicht. Manchmal schäme ich mich für meine Gedanken.

Neben Morbus Crohn ist Colitis ulcerosa die häufigste aller chronischen Darmerkrankungen. Die Schleimhaut des Dickdarms entzündet sich und lässt so Geschwüre entstehen. Betroffene leiden an häufigem Durchfall, Darmblutungen und Koliken. Meist treten die Symptome zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf und verlaufen in Schüben. Die genaue Ursache der Erkrankung ist unbekannt. (chn)

Es gibt dieses Märchen, „Das eiskalte Herz“, in dem der Held sein Herz gegen einen Stein und viel Geld tauscht. Ich denke manchmal, ich würde meine linke Hand hergeben, wenn ich diese Krankheit nicht hätte. Ich tue damit allen unrecht, die ohne linke Hand leben müssen. Aber ohne die Hand könnte ich wieder auf Konzerte gehen, zu den Kölner Lichtern, einen Burger essen, ohne beim letzten Bissen einen nervenden Drang zu verspüren. In die Stadt gehen, ohne vorher zu checken, wo es Toiletten gibt. Ich könnte ein normales Leben führen. Warum ich? Warum diese Krankheit? Klar, geht es vielen viel schlechter als mir. Aber darf man nicht trotzdem einen gewissen Anspruch ans Leben haben?

Durchfälle und Schmerzen

Ich bin 34. Als die ersten Symptome begannen, war ich 27 und schwanger. Ich fühlte mich müde, abgeschlagen. Mein Frauenarzt schob das auf meinen niedrigen Eisenwert – nicht ungewöhnlich bei einer Schwangeren. Parallel dazu hatte ich auch heftige Durchfälle und Schmerzen. Aber wer hinterfragt das in der Schwangerschaft?

Colitis ulcerosa ist neben Morbus Crohn die häufigste chronische entzündliche Darmkrankheit. Von 100 000 Einwohnern haben sie 200. Die Colitis betrifft den Dickdarm (lat. Kolon), daher der Name. Sie beginnt meist schleichend und verläuft in Schüben. Die Patienten haben schmerzhafte, krampfartige Durchfälle, fühlen sich schwach, magern ab. Wenn ich gefragt werde, wie sich ein Colitis-Schub anfühlt, sage ich immer: Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Magen-Darm-Infekt – und das jeden Tag.

Vier Wochen vor der Entbindung war ich wieder bei meinem Frauenarzt. Ich saß apathisch auf dem Stuhl. Der Arzt sah mich nur an und fragte, was mit mir los sei. Dann hat er mich ins Vinzenz-Hospital überwiesen. Natürlich – fatalerweise, wie ich jetzt weiß – auf die Entbindungsstation. Quarantäne, Einzelzimmer. Die Ärzte dachten, ich hätte einen Virus. Ich sollte in einem Protokoll festhalten, wie oft ich Stuhlgang habe. Bei 20 Strichen am Tag habe ich aufgehört zu zählen.

Geboren ist Maya am 29. April 2007, zwei Wochen vor dem errechneten Termin. Am 1. Mai ging es mit mir rapide bergab. Die Entzündungswerte waren vier Mal so hoch wie normal. Die Klinik ließ Blutbeutel einfliegen für Transfusionen. Am Morgen hatten sie mir Maya zum ersten Mal gebracht. Zwei Stunden später kamen zwei Männer im weißen Kittel aus der Kinderklinik und nahmen sie einfach mit. Ich habe sie dann vier Tage lang nicht gesehen. Es hat mir das Herz zerrissen.

Wenn der Darm rebelliert – Was hilft bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen?

Montag, 10. März, 19 Uhr

studio dumont, Breite Str. 72, Köln

Gastroenterologe Professor Wolfgang Kruis erklärt, wie Betroffene trotz ihrer Erkrankung gut leben können, was die Medizin heute dazu beitragen kann. Colitis-Patientin Elke Rath wird Fragen zu ihrer Krankheit beantworten.

Tickets: 12,55 Euro (Abocard 10,55 Euro), erhältlich im Servicecenter, Breite Str. und über Kölnticket, Tel. 0221/ 2801

www.koelnticket.de

www.abocard.de

Am nächsten Tag wurde ich einem Arzt der Inneren Medizin vorgestellt. Nach dem Ultraschall schlug er die Hände über dem Kopf zusammen. Ich wurde direkt in den OP geschoben. Und hörte zum ersten Mal das Wort Colitis ulcerosa.

Der Arzt von der Inneren erklärte: Wir müssen Ihren Darm ruhigstellen. Zwei Wochen lang wurde ich künstlich ernährt. Ich wollte keinen hören, keinen sehen, auch Maya nicht. Nachts bin ich jede Stunde auf die Toilette gegangen, trotz Schlafmittel.Den Infusionsständer habe ich mitgeschleift. Ich bin fast wahnsinnig geworden vor Schmerzen. Sieben Wochen lag ich in der Klinik. Diese schlimme Zeit werde ich nie vergessen. Danach in der Reha saß ich einmal mit lauter alten Frauen im Stuhlkreis. Wir sollten mit den Zehen ein Taschentuch aufheben. Ich war so schwach, ich konnte es nicht.

Als ich wieder zu Hause war, war Maya drei Monate alt. Ich wusste nicht, wie viel sie trinkt, wann sie schläft, wie ich sie halten soll. Schlimmer noch: Wenn Maya anfing zu weinen, bekam ich Panik. Durch den eindringlichen Ton rebellierte mein Darm. Ständig habe ich mich gefragt, ob ich alles richtig mache. Andererseits: Wenn Maya nicht gewesen wäre, ich wäre wohl gar nicht aufgestanden.

Als mein Mann nach der Elternzeit wieder arbeiten musste, sind wir zuerst nur im Haus geblieben. Ich wusste nicht: Wo soll ich mit ihr hin, wenn ich muss? Ein Kinderwagen passt in keine Kaufhaustoilette. Nachts habe ich Maya nicht gehört, mein Mann ist aufgestanden. Kein Mutterinstinkt kann diese Erschöpfung ausgleichen.

Mein Hausarzt hat damals gesagt: Wenn das so weitergeht, müssen wir Sie frühberenten mit 31. Ich habe gerufen: Auf keinen Fall! Im Frühjahr 2010 war ich mit der Kleinen dann auf dem Weg zur Akupunktur. Auch so ein Therapie-Strohhalm, nach dem ich gegriffen habe. Wir sind in die Straßenbahn und an der nächsten Haltestelle wieder raus. Ich bin in die Tankstelle gehetzt, habe mir an der Kasse den Schlüssel besorgt, und gerade als ich die Toilette aufgeschlossen hatte, war es schon zu spät. Zuhause habe ich mich später im Badezimmer eingeschlossen und Rotz und Wasser geheult. Ein paar Tage danach habe ich den Arzt gefragt: Wann ist der nächste Termin für die Operation?

Die sogenannte Proktokolektomie fand im Juni 2010 statt. Mir wurde der Dickdarm entfernt, und damit die Krankheit – ohne Kolon keine Colitis. Neun Wochen lang hatte ich einen künstlichen Darmausgang, dann wurde er rückverlegt. Seither habe ich einen Ileoanalen Pouch: Mein Dünndarm (Ileo) ist über ein Reservoir (einen Pouch) direkt mit dem Anus verbunden. Nach dem Eingriff durfte ich lange nur Brühe trinken und Joghurt essen. Ich wog 48 Kilo, bei 1,70 cm Körpergröße. Heute bin ich froh, dass ich den Pouch habe: Ich muss nur noch sechs bis achtmal Mal am Tag auf die Toilette, kann es besser steuern. Und die Schmerzen sind auszuhalten.

Was mir Mut gemacht hat? Freunde, die gesagt haben: Melde dich, wenn es dir schlecht geht. Man traut sich das erst nicht. Aber wenn man dann den Hörer in die Hand nimmt, passiert etwas. Ich habe so viel Hilfsbereitschaft gespürt. Allein das Zuhören hilft. Vor allem meine Schwester gibt mir Kraft. Und natürlich Maya. Sie kann an jedem noch so dunklem Tag die Sonne aufgehen lassen.

Und ich weiß jetzt, was Genuss ist. Ich muss sehr auf meine Ernährung achten, trinke nur Tee, esse kaum Fett und Zucker. Manchmal sauge ich an einem halben Stück Schokolade, obwohl ich weiß, dass ich das später bereue. Was für ein Genuss! Wenn ich heute mit Maya auf den Spielplatz gehe und mich auf eine Bank setze, weil ich wieder k.o. bin, denke ich: Schön, dass du wenigstens das machen kannst.

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