Kreativität und PsycheWie Genie und Wahnsinn zusammenhängen

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Klaus Kinski

Bekannt für seine cholerischen Anfälle: Der Schauspieler Klaus Kinski (links) mit Romy Schneider.

Robert Schumann war ein ungewöhnlicher Komponist. „In einem zweiwöchigen Ausbruch von Inspiration, fast ohne zu schlafen, komponierte er drei Streichquartette“, schreibt der Psychiater und Musiker Richard Kogan. „Diesem kreativen Ausbruch konnten dann aber sechs Monate phlegmatischen Seins folgen.“ Schumann konnte auf eine Partitur die Aufforderung „so schnell wie möglich“ schreiben – um dann ein paar Takte später „jetzt schneller“ zu fordern.

Schumanns Wechsel zwischen extremem Schaffen und trostlosester Schaffenskrise haben zahllose Biografen und Mediziner den Stempel einer bipolaren Störung aufgedrückt – einem regelmäßigen Wechsel zwischen extremer Niedergeschlagenheit und Besessenheit.

Krankheit als Teil der Kunst?

Die Diagnose ist plausibel, ob sie richtig ist, wird sich nie beweisen lassen. Denn die medizinischen Beschreibungen seiner behandelnden Ärzte sind weit von heutigen diagnostischen Standards entfernt. So schreibt Geheimrat Franz Richarz, Chefarzt der tatsächlich sogenannten „Irrenanstalt“ in Bonn-Endenich, in der Schumann die letzten zwei Jahre seines Lebens verbringen musste, über die Ursache dessen Krankheit: So „bildet geistige Überanstrengung, überhaupt psychische Tätigkeit im allgemeinen, geistige Ausschweifung eine der vorzüglichsten äußeren Ursachen dieser Krankheit; eine Gefahr, welcher das künstlerische Schaffen sehr leicht ausgesetzt ist.“ Und dann folgt auch noch eine abenteuerliche physiologische Erklärung: „Kein Zweifel, dass solche Exzesse auch bei Schumann bestanden und die Krankheit herbeigeführt haben. Dem Gehirn strömt dabei... eine der übermäßigen Tätigkeit entsprechend vermehrte Blutmenge zu.“

Schumann hätte sich also schlicht überarbeitet. Aber ein Burnout war wohl kaum die Ursache seiner Beschwerden – auch weil viele Biografen von schizophrenen Symptomen berichten. Oder litt Robert Schumann in Wirklichkeit unter einer Neurosyphilis? Oder ist das alles Unsinn, und Schumann hatte mehrere Alkoholentzugsdelirien als Folge einer Alkoholabhängigkeit, wie es im Deutschen Ärzteblatt hieß? Schumann war krank, das zumindest ist unbestritten. Aber war die Krankheit auch Teil seiner Kunst?

Genie und Wahnsinn

Schon Aristoteles sah einen Zusammenhang zwischen Genie und Wahn. Aber können neurologische Störungen tatsächlich Quelle künstlerischer Leistungen sein? Hätte ein ausgeglichener, in sich ruhender Geist die Gedichte Friedrich Hölderlins schreiben oder die Bilder Vincent van Goghs malen können? Wäre die schauspielerische Genialität eines Klaus Kinski, die mathematische Genialität eines John Forbes Nash (der aus dem Kinofilm „A Beautiful Mind – Genie und Wahnsinn“) bei stabilen Persönlichkeiten denkbar?

Auffällig ist: Hölderlin, van Gogh, Kinski und Nash sind keine Ausnahmen. Zwei große Studien konnten eindeutig nachweisen, dass große Schauspieler, Maler und auch Wissenschaftler häufiger unter psychischen Krankheiten leiden als der Durchschnitt der Bevölkerung. Allerdings wäre der Umkehrschluss falsch: Nicht alle großen Geister sind psychisch krank.

Diese Studien leiden allerdings unter der Unzuverlässigkeit von Ferndiagnosen (wie auch die vielen Spekulationen um Robert Schumann zeigen). Deshalb gingen schwedische Wissenschaftler vor kurzem genau umgekehrt vor: Sie untersuchten die Akten von 300 000 psychisch Kranken – deren Diagnosen waren sehr viel zuverlässiger und differenzierter als die eher anekdotischen Beschreibungen aus den Biografien von Künstlern.

Dann analysierten die Schweden, wie viele von den psychisch Kranken Künstler oder Wissenschaftler geworden waren. Das Ergebnis: Es hängt von der Art der Krankheit ab. Nicht alle psychischen Krankheiten gehen mit häufigeren künstlerischen Begabungen einher. Menschen mit Depressionen etwa werden so oft zu Künstlern wie der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung.

Manische Phasen erlauben kreative Schübe

Ganz anders aber Menschen mit einer bipolaren Erkrankung, dem Wechsel zwischen Depression und Manie: Sie werden häufiger zu Künstlern oder Wissenschaftlern. Offenbar ist es die manische Phase, die einen kreativen Schub erlaubt – oder es ist der regelmäßige Wechsel der Phasen. Wie bei Schumann, der für die Komposition dreier Streichquartette nur zwei Wochen gebraucht haben soll. Bei dem hochproduktive Phasen durch Phasen kompletter Agonie abgelöst wurden – wie bei einer bipolaren Störung. Auch bei Schizophrenen ist das Bild differenzierter: Hier zeigten sich die Unterschiede nicht nach Art der Krankheit, sondern im ergriffenen Beruf: Schizophrene Menschen werden nicht häufiger Wissenschaftler als der Bevölkerungsdurchschnitt, aber sie werden häufiger bildende Künstler! Ganz offenbar gibt es ihn wirklich, den schon von Aristoteles vor 2500 Jahren vermuteten Zusammenhang zwischen Genie und Wahn. Aber warum?

Die naheliegende Erklärung: Ein Mensch in einer manischen Phase oder in einer Schizophrenie funktioniert unkontrollierter, ungehemmter. Während die Kreativität von psychisch gesunden Menschen vom Großhirn kontrolliert, gleichsam gefiltert, wird, könnte der Filter bei entsprechenden psychischen Krankheiten ganz oder teilweise ausfallen – und zu einem hohen Grad von unkontrollierter Kreativität führen.

Ein anderer Ansatz, der diesem nicht widerspricht, sondern ihn eher ergänzt: Genie und Wahnsinn könnten dieselbe Ursache haben – eine bestimmte Veränderung in den Genen. Eine isländische Gen-technik-Firma in Reykjavik hatte zunächst in der DNA von mehr als 150 000 Menschen nach Merkmalen gesucht, die bei Patienten mit Schizophrenie häufiger auftreten. Und gefunden. Die Träger dieser Eigenschaft erkranken doppelt so oft an Schizophrenie wie der Bevölkerungsdurchschnitt. Und auch häufiger an einer manisch-depressiven Störung (aber: ausdrücklich nicht alle Genträger erkranken an diesen Krankheit!). Nun machten die Forscher einen zweiten, überraschenden Schritt: Sie untersuchten die Gene von Mitgliedern verschiedener isländischer Künstlervereinigungen. Und tatsächlich: Diese Gen-Eigenschaft trat auch unter Künstlern häufiger auf.

Man muss nicht psychisch krank sein, um Künstler zu werden

Offenbar gibt es einen Zusammenhang zwischen den Genen und psychischen Krankheiten, zwischen Genen und künstlerischer Produktivität – und damit auch zwischen Genie und psychischer Krankheit. Aber dieser Zusammenhang trifft eben nur für einen Teil der Künstler zu: Man muss nicht psychisch krank sein, um ein großer Künstler zu werden.

Bei Schumann lohnt ein Blick in die umfangreiche Krankenakte – und es lohnt, seine Musik dieser Zeit zu hören. Ein Vortrag über „Genie und Wahn“ leitet die neue Hirnwelten-Reihe im studio dumont ein – ein Konzert in Kooperation mit der Philharmonie führt in die Musik Schumanns.

Neue-Vortragsreihe mit Magnus Heier

Genie und Wahnsinn – Ist ein kranker Geist der bessere Künstler? Montag, 5. September, 19 Uhr studio dumont, Breite Str. 72, 50667 Köln Große Genies und ihre Krankheiten: Robert Schumann litt unter Depressionen und Wahnvorstellungen. Steht sein in diesen Jahren komponiertes Violinkonzert erkennbar unter dem Schatten seiner Krankheit? Sind die überragenden Bilder Vincent van Goghs, die Gedichte Friedrich Hölderlins oder die schauspielerische Genialität Klaus Kinskis ohne deren psychische Krankheiten denkbar? Neurologe Dr. Magnus Heier  gibt Antworten – mit Musikbeispielen, mit Bildern und Gedichten. Und mit Einblicken in die aktuelle Kreativitätsforschung.

Eine Kooperation mit der Philharmonie Köln  im Rahmen ihrer  „Blickwechsel“-Reihe Der Vortrag ist nur als Paket mit dem Philharmonie-Konzert am 21. September, 20 Uhr, buchbar. Robert Schumann: „Märchenbilder“, „Märchenerzählungen“ und „Bunte Blätter“ sowie Werke von György Kurtág Mittwoch, 21.  September, 20 Uhr Kölner Philharmonie Bischofsgartenstr. 1, Köln Mit Mark Simpson (Klarinette), Antoine Tamestit (Viola), Pierre-Laurent Aimard (Klavier) Paketpreis: 39 Euro (Vortrag und Konzert) Tickets über ☎ 0221/280280 oder www.koelner-philharmonie.de/blickwechsel/

Die Teilnehmenden des „Blickwechsels Musik und Neurologie“ erhalten auf drei weitere Schumann-Konzerte in der Kölner Philharmonie einen Rabatt von 20 Prozent – vorbehaltlich Verfügbarkeit. Buchung gegen Vorlage des Blickwechsel-Tickets bei Kölnmusik  am Neumarkt (in der Mayerschen Buchhandlung) und am Roncalliplatz oder telefonisch unter  ☎ 0221/20408204 (mit Kreditkarte).

Die Termine: Donnerstag, 29. Sept., 20 Uhr Kölner Philharmonie Robert Schumann: Klavierkonzert a-Moll und Sinfonie Nr. 2 C-Dur u.a. Mittwoch, 15. Feb. 2017, 20 Uhr Kölner Philharmonie Johannes Brahms: „Variationen über ein Thema von Robert Schumann“ für Klavier zu vier Händen u.a. Vorverkaufsbeginn: 15. Oktober Mittwoch, 31. Mai 2017,   20 Uhr Kölner Philharmonie Das Schumann-Quartett spielt u.a. Aribert Reimann: „Adagio – zum Gedenken an Robert Schumann (2006) für Streichquartett“ Vorverkaufsbeginn: 31. Januar 2017 Weitergehende  Infos zu den Konzerten finden Sie unter: www.koelner-philharmonie.de

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