MisophonieWenn das Atmen oder Kauen des Partners einen wahnsinnig macht

Lesezeit 3 Minuten
Misophobie_Frau_imago

Wer unter Misophonie leitet, den stören Alltagsgeräusche wie Kauen, Trinken oder Atmen.

Der Kollege klickt mit dem Kulli, wenn er nachdenkt; der Partner kaut so laut, wenn er isst und auf vor dem Büro stampft eine Dame in hohen Absätzen unerträglich laut über den Flur. Wer diese Geräusche im Alltag als extrem störend empfindet, der leidet unter verminderter Geräuschintoleranz, auch Misophonie genannt. Betroffene können Alltagsgeräusche gar nicht oder nur schwer ertragen. Sie reagieren mit unterschiedlichen Strategien: die einen werden aggressiv, andere erzeugen bewusst selbst Krach und wiederum andere vermeiden es, sich dem verhassten Geräusch auszusetzen.

Über das Phänomen Misophonie ist bislang nur wenig bekannt, doch nun hat sich nun der Neurowissenschaftler Sukhbinder Kumar von der Universität Newcastle in England in einer Studie damit auseinandergesetzt und seine Ergebnisse im Magazin „Current Biology“ veröffentlicht.

So reagierten Testpersonen auf Schreien, Kauen und Atmen

In der Studie spielten Kumar und seine Kollegen Freiwilligen Geräusche wie Schreien, Atem- und Essgeräusche (allesamt „Trigger Geräusche“) vor. Dabei machten sie Gehirnscans der Freiwilligen. Außerdem überwachten sie Herzschlag und die Leitfähigkeit der Haut der Testpersonen.

Das fanden sie heraus: Keine Testperson hörte den abgespielten Geräuschen gerne zu. Trotzdem fiel den Wissenschaftlern auf, dass diejenigen Testpersonen, die unter Misophonie leiden – das waren 20 der Testpersonen –, auch körperlich auf die Geräusche reagierten. Sie schwitzten vermehrt und ihre Herzfrequenz erhöhte sich.

Das zeigte die Auswertung der Hirnscans

Die Forscher wiesen durch die Hirnscans nach, dass die Geräusche bei Menschen mit Misophonie zu einer Aktivierung der vorderen Inselrinde (AIC) führen. In dieser Region werden die Sinneseindrücke mit Emotionen verknüpft. Die vermehrte AIC-Aktivität zeigte sich sichtbar in den Hirnscans. Außerdem stellten die Wissenschaftler fest, dass Regionen im Gehirn aktiver waren, als ohne Geräusche. So zeigten sich Aktivitäten im Amygdala, in denen Gefühle verarbeitet werden, in der hintere Gyrus cinguli, der die Verbindung zum Gedächtnis herstellt, sowie im Hippocampus. Kumar stellt die Vermutung auf, dass eventuell traumatische Kindheitserlebnisse zu einer gestörten Verarbeitung der Geräusche führen könnten.

Das Phänomen Misophonie wurde erstmals in den 90ern von den amerikanischen Neurowissenschaftler Pawel und Margaret Jastreboff beschrieben. Das Forscher-Ehepaar vermute, dass der Misophonie eine selektive Geräuschintoleranz zugrunde liegt, die nichts mit der Lautstärke oder Frequenz zu tun hat – sondern mit individuellen Erfahrungen, die irgendwann einmal Frust, Ekel oder Wut ausgelöst haben.

Bislang ist Misophonie keine anerkannte Krankheit 

Bislang ist die Misophonie keine „anerkannte“ Erkrankung, da sie nicht im psychiatrischen Manuale (DSM-V und ICD-10) erwähnen werde, so das „Ärtzeblatt“. Die meisten Psychiater würden bei den Patienten eher an eine Phobie, eine post-traumatische Belastungsstörung oder eine Zwangsstörung denken. Die aktuelle Studie der britischen Wissenschaftler könnte jedoch dazu führen, dass der Nachweis von Veränderungen im Hirn auch von anderen Forschern untersucht werde und so von der Fachwelt ernster genommen werde. (sar)

Das könnte Sie auch interessieren:

KStA abonnieren