WeltgesundheitstagDiabetes - Volkskrankheit, Todesgefahr und Milliardengrab

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Insulin aus einer Spritze.

  • Diabetes steht im Zetnrum des diesjährigen Weltgesundheitstages am 07. April.
  • Die Krankheit betrifft mittlerweile 6,7 Millionen Menschen deutschlandweit.
  • Jeder dritte Patient, der in Deutschland einem Herzinfarkt erliegt, ist Diabetiker.
  • Diabetes-Behandlungen kosten die Kassen jährlich 35 Milliarden Euro.

Berlin – Diese Krankheit ist überwältigend. Sie verursacht 50 000 Amputationen, sie führt zu 2000 Erblindungen, 2300 Patienten erleiden ein Nierenversagen, alle 20 Minuten erliegt ihr ein Mensch. Und das jedes Jahr, allein in Deutschland. Diabetes Mellitus ist eine Volkskrankheit ersten Ranges. Das Robert-Koch-Institut (RKI) geht von 6,7 Millionen Erkrankten in Deutschland aus. Ihre Zahl wächst rasant. In der Bundesrepublik kommen nach Angaben der  Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) jedes Jahr  300 000 Patienten hinzu. Der CDU-Gesundheitspolitiker Dietrich Monstadt warnt, im Jahr 2025 könnte es bis zu 20 Millionen Diabeteskranke in Deutschland geben. Das wäre ein Viertel der Bevölkerung. „Da passt der Begriff Tsunami“, findet der Bundestagsabgeordnete.

Diabetes im Zentrum des Weltgesundheitstages

Das gilt nicht nur für Deutschland.  Weltweit leiden nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO 415 Millionen Menschen an Diabetes. Besonders hoch sind die Zuwachsraten in den Industrie-, mittlerweile aber auch in vielen Schwellenländern. Dass der Weltgesundheitstag am 7. April erstmals Diabetes in den Mittelpunkt rückt, erscheint mehr als gerechtfertigt.

Besorgnis erregend ist nach Ansicht der Experten auch der Umstand, dass viele Betroffene gar nichts von „ihrem Zucker“ wissen. Bis zu zwei  der 6,7 Millionen Erkrankten in Deutschland sind nach Abgaben des Vorstandsvorsitzenden der  Deutschen  Diabetes Hilfe,  Thomas Danne, nicht über ihr Leiden im Bilde. Oft vergingen bis zu zehn Jahre nach Beginn der Erkrankung, bis Diabetes korrekt vom Arzt diagnostiziert werde.  DDG-Präsident  Baptist Gallwitz spricht von einer „stillen Epidemie“.

Zwei Drittel der Infarktopfer hatten Diabetes oder Prädiabetes

Das Unwissen und die langen Diagnosezeiten haben gravierende Folgen.  Denn einerseits kann Diabetes Typ II im Frühstadium durch viel Bewegung, gesunde Ernährung und Gewichtsabnahme sehr gut therapiert werden. Bleibt die Erkrankung aber andererseits unerkannt – und der Lebensstil unverändert –, treten oftmals schwere Folgen auf, darunter Nierenschäden, Augenleiden und Durchblutungsstörungen, die zu Amputationen führen können.  Besonders häufig sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So ist statistisch jeder dritte  Patient, der in Deutschland einem Herzinfarkt erliegt, Diabetiker.  Ein weiteres Drittel der Infarktopfer litt an einem Vorstadium (Prädiabetes).

Patienten kosten Kassen jährlich 35 Milliarden Euro

Diabetes fordert aber nicht nur von den Patienten, sondern auch von der Gesellschaft einen hohen Preis. Die direkten Behandlungskosten beziffert Gallwitz auf durchschnittlich 542 Euro pro Jahr und Patient. Träten Begleiterkrankungen und Komplikationen auf, steige der Betrag auf bis zu 3200 Euro an. Insgesamt schätzt Gallwitz die von Diabetes verursachten Kosten für Kranken- und Sozialkassen auf jährlich 35 Milliarden Euro. Das Robert Koch-Institut errechnete für das Jahr 2009 sogar Gesamtausgaben von 48 Milliarden Euro.

Dass aktuellere Zahlen nicht vorliegen, ist Teil des Problems. Denn ein nationales Diabeteszentrum, in dem Fallzahlen, Diagnosehäufigkeiten, Frühverrentungsfälle, Therapieerfolge und regionale Häufungen  gesammelt und ausgewertet werden könnten, fehlt in Deutschland. „Es ist ein absoluter Skandal und ein Armutszeugnis, dass wir diese Daten nicht haben. Skandinavische Länder wie Schweden sind da viel weiter als wir“, kritisiert Danne.

Solche Daten wären zum Beispiel nützlich, um gezielt auf Bevölkerungsgruppen zugehen zu können, die durch Aufklärungskampagnen und bunte Broschüren kaum erreichbar sind.  Eine Untersuchung des RKI und des Helmholtz-Zentrums München aus dem Jahr 2014 zeigte, dass bildungsferne, sozial  benachteiligte Personen um bis zu 20 Prozent häufiger an  Diabetes II erkranken als gut gestellte Menschen. Bei starkem Übergewicht, das als ein Hauptauslöser  von Diabetes gilt, lag der Unterschied sogar bei 30 Prozent.

Forderung nach Sondersteuer für Fett und Zucker

Mit finanziellen Anreizen nach dem Vorbild des Zahnarztbonusheftes könne die Bereitschaft zu Vorsorgeuntersuchungen auch in bildungsfernen Schichten deutlich erhöht werden, glaubt die Vorsitzende des sächsischen Hausärzteverbands  Ingrid Dänschel. Mit der AOK Sachsen werde ein solches Modell bereits erfolgreich erprobt. Dazu zählt auch ein Fragebogen zu Alter, Hüftumfang, Sportaktivitäten und Müslikonsum, der den Versicherten bei der Vorsorgeuntersuchung vorgelegt wird. Denn schon wenige Angaben lassen recht präzise Rückschlüsse auf das Diabetes-Risiko zu.

Danne fordert darüber hinaus drastischere Maßnahmen: Eine Sondersteuer auf Zucker und Fett, eine verpflichtende Sport- oder Bewegungsstunde pro Tag in Schulen und Kitas, verbindliche Qualitätsstandards für Schul- und Kita-Verpflegung , ein Verbot von an Kinder gerichtete Werbung für Süßigkeiten und andere ungesunde Lebensmittel, sowie die Einrichtung eines nationalen Diabetes-Zentrums . 

Vor solchen Schritten schreckt die  Politik allerdings zurück.  Die SPD-Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert verweist auf das Präventionsgesetz, das nach zehnjähriger Vorarbeit in Kraft getreten sei.  Monstadt ergänzt, es stünden auch drei Millionen Euro bereit, um ein nationales Diabetes-Register aufzubauen. Drei Millionen? Na, dann kann ja nichts mehr schief gehen.

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