Zwischen Manie und DepressionMit einer bipolaren Störung leben

Lesezeit 4 Minuten
Anna Damert vor einer Kirche in Hennef. In das Gotteshaus zog sich die 35-Jährige in den Phasen der Krankheit oft zurück, um Ruhe zu finden.

Anna Damert vor einer Kirche in Hennef. In das Gotteshaus zog sich die 35-Jährige in den Phasen der Krankheit oft zurück, um Ruhe zu finden.

Köln – Eigentlich sollte die Hochzeit ja einer der schönsten Tage im Leben einer Frau sein. Anna Damert beschreibt ihn als den schlimmsten. Nach der Trauung ist sie so unglücklich, dass sie ihre Hochzeitsgäste wegschickt. Keiner soll ihre Tränen und ihre Trauer sehen. Sie flieht in die eigenen vier Wände. Ihre Frau feiert noch die Eheschließung mit einer kleinen, übrig gebliebenen Gruppe.

Anna Damert leidet an einer bipolaren Störung. Früher war die Krankheit als manisch-depressive Erkrankung bekannt (siehe Infokasten). Die Patienten erfahren einerseits Wellen der Manie, sogenannte Kreativ- und Hochphasen, andererseits verfallen sie in starke Depressionen, die sogar zum Suizid führen können. „Selbstmord habe ich nie in Betracht gezogen“, sagt die heute 35-jährige Damert. „Wahrscheinlich hatte ich immer zu große Angst, dass es schiefgeht und ich Schmerzen haben werde.“

Chronische Erkrankungen haben sich stark ausgebreitet. Sie verändern den Alltag sehr und ihre Behandlung verlangt viel Eigeninitiative. In einer Serie porträtieren wir Menschen, die sich von ihrer chronischen Krankheit nicht die Lust am Leben nehmen lassen. Schreiben Sie uns: magazin@ksta.de

„Ich dachte, es wäre Liebeskummer“

Wir sitzen in einer katholischen Kirche in Hennef. Ein Ort der Ruhe, in den sich Damert in den Jahren ihrer Krankheit oft zurückzog. Ihre Leidensgeschichte beginnt, als sie 17 Jahre alt ist. Kurz vor dem Abitur hat sie depressive Phasen, fühlt sich einsam. „Ich dachte, es wäre Liebeskummer, und habe mich mit trauriger Musik getröstet“, erinnert sie sich. In dieser Zeit plagen sie Schuldgefühle. Wenn sie ihre Ziele nicht erreicht, setzt sie sich immer stärker unter Druck. Als dann noch ihr Traum von der Musikhochschule platzt, bricht sie zusammen.

Damert lässt sich behandeln, geht für acht Wochen in eine psychosomatische Klinik in den Odenwald. Doch die Therapie schlägt nicht an. Die Ärzte missdeuten eine Hypomanie – die Vorstufe einer manischen Phase – als schnellen Behandlungserfolg. Wieder zu Hause, fühlt sich Anna Damert kaum müde und dauerhaft unter Strom, typische Anzeichen einer Manie. Sie leidet weiter.

Richtige Diagnose kommt per Zufall

Erst 2007 bekommt sie durch Zufall die richtige Diagnose. Eine Ärztin verschreibt ihr versehentlich ein Medikament, das eine Manie bei ihr auslöst. Daraufhin kommt ihr eine wirre Idee nach der anderen: Erst will sie einen Laden eröffnen und sich selbstständig machen, dann zieht sie mit Fremden um die Häuser. Irgendwann glaubt Damert, die Uno würde sie anwerben wollen. Sie begeistert sich immer mehr für ihre „Erleuchtungen“, wie sie das heute nennt. Aber das richtige Medikament und die Dosierung kann auch die Ärztin der damals 27-Jährigen nicht bieten. In dieser Phase kommt sie sogar mit Schlafmitteln nicht zur Ruhe.

Immerhin lernt sie jetzt immer mehr über die Krankheit. Zum Beispiel, dass sie die Ursache wohl schon in ihren Genen findet: Bereits die Mutter ihres Vaters litt an derselben Erkrankung.

Medikamente bringen die Normalität zurück

Den entscheidenden Tipp gibt ihr schließlich eine Freundin, die selbst an einer bipolaren Störung leidet. Sie rät Damert, sich in der Psychiatrie der Uniklinik Bonn behandeln zu lassen. Tatsächlich hat ihre Leidensgeschichte dort ein Ende. Im Jahr 2013 bekommt sie endlich Medikamente, die anschlagen. Die Phasen von Manie und Depression sind vorbei. „Irgendwann hatte ich mein normales Leben zurück“, sagt die 35-Jährige im Rückblick.

Die neue Anna Damert ist voller Tatendrang. Neben ihrem Job in der Buchhaltung einer Maschinenfabrik leitet sie die Selbsthilfegruppe „Täler und Höhen“, in der sich einmal im Monat Menschen mit bipolarer Störung treffen. Ihr selbst hat vor allem eine Ausbildung in Gewaltfreier Kommunikation dazu verholfen, dass sie Selbstvorwürfe und -verurteilungen verarbeiten und in neue Perspektiven umformulieren konnte. Dies beschleunigte ihren Heilungsprozess, wie sie sagt.

Ab August will Anna Damert sich zur „Experienced Involvement“-Begleiterin ausbilden lassen, zur Expertin aus Erfahrung. So heißen Betroffene, die anderen dabei helfen, mit einer psychischen Krankheit umzugehen, die für Außenstehende oft so schwer zu begreifen ist.

Den eigenen Körper kennenlernen

Was sie durch die Erkrankung gelernt habe? „Ich habe meine Körper- und Selbstwahrnehmung zu schätzen gelernt“, sagt Damert. Dabei bekommt sie vor allem viel Unterstützung aus ihrem Umfeld. Ihr Vater zeigte ihr Qi Gong in gemeinsamen Mittagspausen. Ihre Mutter gab ihr kleine Aufgaben in Garten und Haus während der Depressionsphasen, um sie in der schwierigen Zeit mit sinnvollen Tätigkeiten abzulenken. Auch der Gesangsunterricht gibt ihr Selbstvertrauen zurück. Durch die Aktivitäten bekommt sie ein besseres Verständnis für ihren Körper, was bei einer bipolaren Störung sehr wichtig ist.

Phasen der Manie oder Depression können wiederkehren, wenn Anna Damert sich überlastet. „Deshalb ist es so wichtig, auf Warnzeichen des Körpers zu achten.“ Sich nicht verstecken, offen über die Störung reden, Hilfe annehmen – diese drei Tipps will sie anderen Betroffenen weitergeben. Und Mut machen: „Es gibt gute Aussichten, mit der Krankheit klarzukommen.“

Jetzt, da sie einen Weg gefunden hat, mit der Krankheit umzugehen, würde sie gern noch mal Hochzeit feiern, sagt Damert. Und diesmal den Tag in vollen Zügen genießen.

KStA abonnieren