Abo

„Aufgedeckt“ im WDRWie Air Berlin Fluggäste austrickst

Lesezeit 4 Minuten
Maschine von Air Berlin: Die Fluggesellschaft betreibt nach WDR-Recherchen gezielt Desinformation von Kunden.

Maschine von Air Berlin: Die Fluggesellschaft betreibt nach WDR-Recherchen gezielt Desinformation von Kunden.

Bewusst an der Nase herum führen, über Rechte im Unklaren lassen, vertrösten und hoffen, dass die Passagiere irgendwann aufgeben. So behandelt die Fluggesellschaft Air Berlin ihre Kunden. Das ist das Ergebnis einer Recherche des Westdeutschen Rundfunks (WDR), die am Montag im Fernsehen unter dem Titel „Die geheimen Tricks von Air Berlin“ ausgestrahlt wurde.

Ein Jahr lang hatte das Reporter-Team des WDR zu dem Thema recherchiert. Anlass waren Hinweise in Internetforen, in denen Air Berlin in Punkto Ticketstornierung, Kundenservice oder Entschädigung wegen Verspätung negativ aufgefallen war. Unabhängigen Experten zufolge hatte Air Berlin in den vergangenen Sommerferien durchschnittlich 180 Minuten Verspätung, mehr als jede andere deutsche Airline. Bis Ende 2013 waren rund 30.000 Beschwerden unbearbeitet.

Airline spart jeden Cent – auch bei Kunden

In der Dokumentation stellt der WDR fest: „Für 2014 droht ein Rekordverlust von 350 Millionen Euro. Flotte und Flugnetz sind auf Schrumpfkurs. Die Airline kämpft ums Überleben. Jeder Euro zählt.“

Dazu gehören dem Anschein nach auch Entschädigungszahlungen, die Passagieren gesetzlich zustehen, denn die Fluggastrechte sind genau geregelt. „Der Anspruch und die Höhe sind im Gesetz festgeschrieben und nicht verhandelbar“, berichtet der Wuppertaler Rechtsanwalt Anestis Nessou. Danach hat ein Passagier ab drei Stunden Verspätung Anspruch auf Entschädigung, die Höhe ist abhängig von der Flugstrecke. Bis 1500 Kilometer gibt es 250 Euro, bis 3500 Kilometer 450 Euro und bei Flugstrecken darüber hinaus stehen einem Passagier 600 Euro rechtmäßig zu.

Die Vermutung der Journalisten: Die Airline spart auf dem Rücken der Fluggäste, indem sie Geld zurückbehält. Um diesem Verdacht nachzugehen, schleuste sich ein Reporter in eine Kundendienstschulung der Airline ein. Dort hat er mit eigenen Augen und Ohren erlebt, wie Mitarbeiter bewusst so geschult werden, Kunden, die die Hotline anrufen, am Telefon in die Irre zu führen.

In der Schulung bekommt der Undercover-Reporter die Ansage: „Laut EU-Recht gilt, wenn ein Flug so und so viel verspätet ist, gibt es auch Kohle. Wie viel, das wollen wir euch auch gar nicht sagen, denn das sollt ihr dem Kunden auch gar nicht sagen.“ Dass dies gängige Praxis ist, bestätigt ein Air-Berlin-Mitarbeiter, der im Film anonym zu Wort kommt: „Fluggastrechte kosten Geld und dieses Geld wird versucht, zu sparen. Deswegen wird der Kunde bewusst ein wenig an der Nase herumgeführt und ihm werden die Fluggastrechte vorenthalten.“

Auch bei der Stornierung von Tickets ist die Masche die gleiche. Viele Kunden wissen nicht, dass sie zwar den Flugpreis nicht zurückbekommen, aber ein Anrecht darauf haben, Steuern und Gebühren zurückerstattet zu bekommen. Diese machen meist den größten Anteil am Gesamtpreis eines Tickets aus. Wie die Reporter selbst verdeckt getestet haben, verschweigt Air Berlin dies systematisch.

Nächste Seite: Warum sich dieses Vorgehen für Air Berlin lohnt und wie der Konzern auf die Konfrontation mit den Vorwürfen reagiert.

Dass sich diese Praxis für Air Berlin lohnt, machen die WDR-Reporter anhand einer Zahl deutlich: 2013 hätte die Airline 39 Millionen Euro an Passagiere auszahlen müssen, hätte sie sich an die Fluggastrechte gehalten.

Allerdings sind unabhängigen Experten zufolge nur drei Prozent der Fluggäste mit verspäteten Flügen bereit, ihre Entschädigungsansprüche notfalls auch einzuklagen. Das weiß auch Air Berlin. Eine Mitarbeiterin der Airline, die der Undercover-Reporter in seiner Schulung trifft, sagt: „Erstmal probieren wir es so. Und deswegen gehen manche Leute vor Gericht. Aber wir vertrauen auf den 90-prozentigen Anteil, der das nicht macht.“

Flyer mit Fluggastrechten extra unleserlich

Mürbe machen und darauf hoffen, dass Passagiere irgendwann aufgeben: Am Flughafen selbst kommt Air Berlin zwar der Pflicht zur Aushändigung der Fluggastrechte nach. Die Informationen sind allerdings auf einem Papierzettel gedruckt, den niemand lesen will: Kleines Format, kleine Schrift, keine Absätze. „Das Formular, das dem Passagier ausgehändigt wird, ist bewusst auf kleinem Papier und auf kleiner Schrift geschrieben, so dass selbst der aufmerksamste Passagier das Interesse am Lesen verliert und das Dokument wegschmeißt“, bestätigt der Mitarbeiter der Airline, der in der Dokumentation anonym zu Wort kommt.

In der Dokumentation wird deutlich: Der Kundenservice reagiert erst dann, wenn Post von einem Rechtsanwalt oder einer Schlichtungsstelle kommt. Vorher werden die Schreiben der Kunden mit nichtssagenden Antworten abgebügelt oder schlichtweg ignoriert.

Auf die von den WDR-Reportern erhobenen Vorwürfe antwortet Air Berlin schriftlich, das Unternehmen optimiere im Sinne des Kunden ständig die Servicequalität: „Für Air Berlin steht die Kundenzufriedenheit ihrer Gäste an erster Stelle.“

Die Fernseh-Reportage „Die geheimen Tricks von Air Berlin“ kann online in der WDR-Mediathek angeguckt werden.

(kkl)

KStA abonnieren