Im Urlaub entführt„Wie ich in den Händen islamistischer Terroristen landete“

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Wahr gewordener Albtraum: Henrike Dielen und ihr Lebensgefährte in den Fängen der Terroristen.

 Es ist der Albtraum eines jeden Reisenden: Im Urlaub in die Fänge von Terroristen zu geraten. Henrike Dielen hat ihn erlebt. Mitten „im Paradies“, wie sie schreibt, werden sie und ihr Lebensgefährte von islamistischen Terroristen entführt.

Vor der philippinischen  Insel Palawan werden die beiden Segler  am 17. April 2014 von Abu-Sayyaf-Terroristen überfallen und gefangen genommen. Erst im Oktober darauf kommen sie frei. Über die sechsmonatige Tortur hat die 49-Jährige nun ein Buch geschrieben. Titel: „Der entführte Traum“.

Aber wie konnte es überhaupt dazu kommen? Dafür muss man ein wenig ausholen. Segeln ist Henrike Dielens große Leidenschaft, sie erlernt es schon als Kind. Die gelernte Hotelfachfrau heuert schließlich sogar auf einer privaten Yacht als Köchin an, um an Bord eine Schiffes leben zu können. 1992 lernt sie ihren Lebensgefährten kennen, Stefan, einen Medizin-Professor im Ruhestand. Mit ihm wird ihr lange gehegter Traum Realität: Sie segeln in einem 16 Meter langen Segelboot, der „Catherine“, um die Welt. Die beiden sind erfahrene Reisende und geübte Segler. „Von Anfang an wünschte ich mir, dass das Leben von Stefan mein Leben werden könnte. Anders gesagt: dass ich nie mehr von Bord gehen musste“, erinnert sich Dielen, die sich sofort in den Kardiologen verliebte, obwohl er 25 Jahre älter ist als die damals 25-Jährige.

Die beiden leben das Leben, von dem andere nur träumen

Die beiden leben das Leben, von dem andere nur träumen. Henrike Dielen beginnt ihren Tag nicht damit, sich einen Kaffe in der Bürokantine zu ziehen, sondern damit, im Pazifik zu schwimmen. Das Paar lebt von seinen Ersparnissen und von Stefans Rente. Henrike Dielen macht die meisten Reparaturen am Boot selbst. Sie sagt über diese Zeit: „Es war ein so großes Glück, mit Stefan um die Welt zu segeln.“ Sie passieren idyllische Buchten und Strände, eine leichte Brise weht ihnen um die Ohren, abends staunen sie jedes Mal wieder, wie die Sonne blutrot im Meer untergeht. Vom Vordeck aus beobachten sie das Naturschauspiel bei einem Sundowner, einem Drink zum Sonnenuntergang – es ist ihre allabendliches Ritual. So ist es auch an diesem 17. April 2014, als die beiden vor Cabugan Island, einer Palawan vorgelagerten Insel, anlegen.

„Keine Angst – wir sind von der Polizei“

Plötzlich hält ein Boot direkt auf das Paar zu und blendet die Segler mit Scheinwerfern. „Keine Angst – wir sind von der Polizei“, erklären die zehn Männer in Polizistenuniformen mit Maschinengewehren und springen sofort an Bord. Sie geben vor, das Boot durchsuchen zu müssen. Die beiden werden misstrauisch. „Irgendwie habe ich ein merkwürdiges Gefühl“, sagt Stefan zu Henrike – und er soll Recht behalten. Die vermeintlichen Entführer fesseln Henrike und Stefan und lassen sie von der Reling der „Catherine“ in ihre Boote fallen, als handele es sich nicht um Menschen. Stefan ist 72 Jahre alt: Henrike erschrickt bei dem Knall, als sein Körper auf dem Boden des kleinen Bootes aufprallen.  

Zusammengekauert und gefesselt  müssen sie 30 Stunden mit ihren Entführern auf hoher See in einem kleinen Boot ausharren.  Viel schlimmer als die Fesseln aber erscheint die Ungewissheit.  Sie wissen nicht, wer die Entführer sind, was sie wollen – geschweige denn, dass ihre Entführung noch  sechs Monate dauern wird. Als wäre das nicht genug, geraten sie auch noch in ein Unwetter, ihre Hoffnung, sie schaukelt so auf und ab wie ihr Kahn.

Als sie sich der Küste nähern und Dielen an Land Hütten sieht, ist sie kurz optimistisch – darauf folgt die Enttäuschung, als niemand sie bemerkt und sie den Entführern immer weiter in den Dschungel folgen müssen. Es wird ein elend langer Marsch durch den Dschungel, der vor allem für ihren damals 72-jährigen Lebensgefährten kaum zu schaffen ist. „Immer weiter weg vom Meer und in den Dschungel hinein. An der Küste, nahe am Wasser, da kannte ich mich aus. Im Landesinneren fühlte ich mich verloren.“

Abu Sayyaf: „Mit einem Mal verlor ich alle Hoffnung"

Sie müssen mitten im tiefsten Urwald in einem Camp mit ihren Entführern leben. Stefan versucht, sie zu bestechen - aber erfolglos. Lange wissen sie nicht, wer ihre Peiniger sind - bis Henrike mit der Deutschen Botschaft telefonieren soll. „Sag einfach Abu Sayyaf“ herrscht der Anführer sie an. „Mit einem Mal verlor ich alle Hoffnung", erinnert sich Dielen. Bis jetzt hatte sie gehofft, dass es sich nicht um islamistische Terroristen handelte. „Bilder gingen mir durch den Kopf, Bildern von Menschen, die von Milizen der Abu Sayyaf entführt und enthauptet worden waren.“

Dabei geht es den Terroristen auch um Geld: Sie fordern 4,5 Milionen Euro für die Freilassung der Geiseln. In den Nachrichten klang das damals so: „Die islamistischen Entführer von zwei Deutschen auf den Philippinen haben mit der Ermordung der Geiseln gedroht, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden.“ Stefan und Henrike leben zu der Zeit weiter in ständiger Angst. „Ich bin mir sicher, dass wir nicht lebend aus dieser Sache herauskommen“, sagt Stefan einmal zu Henrike, die nicht glauben kann, was ihr Partner da gerade sagt. Er sucht nach etwas Scharfen und findet im Camp eine Glasflasche. „Wozu brauchst Du das?“, fragt sie ihn. „Ich lasse mich von denen nicht foltern, das gönne ich diesen Leuten nicht.“ Und rät ihr: ‚Wenn Du einmal keinen anderen Ausweg siehst, als dich umzubringen, dann vergiss nicht: Du darfst nicht quer übers Handgelenk schneiden, sondern längs.“

Stefan wirft sich vor, dass er Henrike nicht schützen konnte, auch wenn sie ihn immer wieder beruhigt, dass das niemand gekonnt hätte – gegen zehn Terroristen mit Maschinengewehren. „Nun begann er, sich abzukapseln. Diese Wandlung gefiel mir nicht“, erinnert sie sich. „ Ich musste aufpassen, dass unsere tiefe Bindung durch das, was die Kidnapper uns angetan hatten, keinen Riss bekam.“

„Das konnte nur eines bedeuten: Sie wollten Stefan umbringen.“

Doch es kommt noch schlimmer für die beiden. „Die Entführer haben uns getrennt. Als sie mich von Stefan wegführten, hatte ich das Schlimmste vermutet. Und das nicht von ungefähr. Sie hatten zu mir gesagt: ‚Wir wollen nicht, dass du siehst, was wir ihm antun werden – we don’t want you to see what we do with him.‘ Das konnte nur eines bedeuten: Sie wollten Stefan umbringen. Und ich sollte nicht Zeuge ihrer grausamen Tat werden. Ich war mit dem Gefühl gegangen, Stefan niemals wieder zu sehen.“ Immer wieder werden die beiden getrennt, einmal sogar für einen Monat. Trotzdem sagt Dielen ihrem Partner jedes Mal, wenn die Entführer ihn wegbringen: „Wir sehen uns wieder“.

„Das ist Dein Grab“

Ihr Lebensgefährte, er wird geschlagen, mit Gewehrkolben und Knüppeln verprügelt. Die Entführer stoßen ihn in eine Grube und prophezeien: „Das ist Dein Grab“. Mehrfach halten die Terroristen ihm eine Waffe an den Kopf – und drücken ab. So inszenieren sie eine Scheinhinrichtung. Diese Scheinerschießungen werden irgendwann für Henrike und Stefan zu einem Teil ihres Alltags. 

Dielen wird gemaßregelt, wenn sie im Camp nach Meinung des Anführers ihren Körper nicht ausreichend bedeckt oder in den Büschen ihre Notdurft verrichtet – das sei „haram“, wift er ihr vor – Dielen wird wütend: „Der spinnt doch“, sagt sie zu Stefan. „Es ist Sünde, dass ich in de Büsche muss, wo ich doch keine andere Wahl habe, aber jemand seiner Freiheit zu berauben, das ist anscheinend keine Sünde.“

Nach einer gefühlten Ewigkeit – genau nach einem halben Jahr – werden die beiden von einer „Anti-Kidnapping Group“ der philippinischen Behörden gerettet. „Das philippinische Militär hatte gewaltigen Druck auf die Rebellen ausgeübt, Lösegeld war deshalb nicht geflossen." Auf deutscher Seite hatte ein Krisenstab die ganze Zeit um das Leben der beiden gekämpft. 

Ist die Rettungsaktion nur eine Falle?

Zu Beginn sieht Dielen in der Rettungsaktion eine Falle– so misstrauisch ist die sonst so optimistische und starke Frau geworden. Doch dann sagt einer der Männer zu ihr: „'Ich bin hier um Sie in Sicherheit zu bringen. Lassen Sie mich Ihr Gepäck tragen.' Ich sah den Mann sekundenlang an, einen Filipino er war in Zivil, und ich glaubte ihm. 'Das ist das Schönste, was ich seit einem halben Jahr gehört habe.' Tränen schwammen in meinen Augen. Stefan und ich waren gerettet. “

Lange hofft Dielen, dass sie mit ihrem Partner wieder in ihr altes Leben zurückkehren kann, dass sie wieder zusammen an Bord der „Catherine“ leben. Doch Stefan ist nicht nur physisch sondern auch mental nicht mehr in der Lage dazu. Die Entführer hätten ihm jegliche Lebensfreude geraubt, sagt Dielen. „Die Kidnapper  haben uns unser Leben gelassen – unseren Traum haben sie uns jedoch genommen“, sagt Dielen. „Unsere gemeinsame Zukunft müssen wir uns erst noch suchen.“ Die beiden sind bis heute nicht mehr auf ihr Schiff zurückgekehrt.  (rer)

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Dielen, Henrike: Der entführte Traum. In der Gewalt islamistischer Terroristen. Rowohlt Taschenbuch Verlag, 267 Seiten, 10,99 Euro.

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