Umstrittenes „Begpacking“Rucksack-Touristen betteln in Asien – für ihre Weltreise

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Rucksacktouristin

Rucksacktouristen brechen auf, um die Welt zu sehen. doch manchen geht unterwegs das Geld aus. 

Sie sind jung, sie sind privilegiert, sie wollen die Welt sehen – und betteln in Südostasien auf der Straße um Almosen für ihre Reise. Einige westliche Rucksacktouristen haben eine neue Einnahmequelle für ihren Selbstfindungstrip entdeckt.

So kursieren in sozialen Netzwerken die Hashtags #begpacker und #begpacking – zusammengesetzt aus den Wörtern „begging“, also Betteln, und Backpacker. Auf den geteilten Bildern bei Instagram oder Twitter sind die typischen westlichen Rucksacktouristen zu sehen, denen man in Ländern wie Thailand, Malaysia, Kambodscha, Laos oder Vietnam häufig begegnet. Auch in andere Länder schwappt das Phänomen über, so wurden auch schon Begpacker in Athen gesichtet.

Privilegierte Weiße bitten in unterentwickelten Regionen für ihre Weltreise

Besonders viele sind aber in Südostasien unterwegs: In ihren Yogahosen, Birkenstocks oder Flip-Flops, sitzen sie am Straßenrand, einen Hut mit Kleingeld und ein Schild vor sich, auf dem zum Beispiel steht: „Ich reise ohne Geld durch Asien. Bitte unterstützen Sie meinen Trip.“ Manche von ihnen spielen dazu ein wenig Gitarre oder bieten ihre Urlaubsfotos feil.

Privilegierte Weiße bitten Einheimische in Entwicklungs- oder Schwellenländern um Almosen für ihre Weltreise. Ist das eine neue Form von Neokolonialismus, eine Ausbeutung der Menschen vor Ort? Eine Verhöhnung der einheimischen Bettler? Oder Haben die Backpacker einfach eine innovative analoge Form des Crowdfundings für sich entdeckt? Wird Ihr Reisen so noch „authentischer“?

Immer dieselben Schilder, immer an denselben Plätzen

Der Journalist Raphael Rashid lebt in Südkorea und teilte kürzlich ein Foto auf seinem Twitter-Account, das einen Mann zeigt, der Gitarre spielt und im Umkehrschluss um Reisegeld bittet. Dazu schreibt Rashid: „Endlich hat mal ein alter Großvater diesen schamlosen Begpacker-Drecksack konfrontiert und ihm in gebrochenem Englisch gesagt, er soll nach Hause zurückkehren. Dann brüllte der Typ den alten Mann an mit so was wie: ‚Wenn du es nicht magst, dann hau' ab.‘ Wirklich unfassbar und schamlos. Und keiner greift durch!“ Der Journalist vermutet dahinter sogar eine organisierte Bande von Bettel-Touristen, denn die jeweiligen Schilder der Bettelnden seien nahezu identisch. Außerdem würden sie immer an denselben Bettelplätzen Stellung beziehen.

Gleiches ist auch auf der Insel Bali zu beobachten. Der Chef des Einwanderungsamts, Setyo Budiwardoyo, kündigte laut „Bild“ an, die Namen der bettelnden Touristen der jeweils zuständigen Botschaft oder dem Konsulat seines Herkunftslandes zu melden, damit sich diese um ihre Bürger kümmern könnten und gegebenenfalls ein Flugticket zahlen sollten, wenn die Urlauber selbst kein Geld mehr zur Verfügung haben würden. Besonders häufig würden laut Budiwardoyo in Bali gestrandete Australier, Briten oder Russen beim Betteln auffällig.

Asiatin: „Wir finden es extrem befremdlich“

Die Empörung bei einer jungen Frau aus Singapur ist jedenfalls groß: „Wir finden es extrem befremdlich, andere Menschen um Geld zu bitten, um sich eine Reise zu finanzieren. Dinge auf der Straße zu verkaufen oder zu betteln ist nicht anständig“, wird Maisarah Abu Samah im englisch-französichen Medium „Observers.France24.com“ zitiert. „Menschen, die betteln, sind wirklich in Not: Sie betteln, um Lebensmittel zu kaufen, um das Schulgeld für ihre Kinder zu bezahlen oder Schulden zurückzuzahlen. Aber nicht um etwas so Luxuriöses zu tun.“

Auch andere westliche Asien-Reisende regen sich über die Begpacker auf: „Reisen ist so ein Luxus“, schreibt etwa die Bloggerin Amy Poulton auf Twitter. „Es ist so respektlos, diejenigen, die diesen Luxus nicht kennen, um Unterstützung zu bitten.“

„Begpacker sollten sich schämen“

Die meisten der Einheimischen dürften schließlich noch nie in ihrem Leben in den Urlaub gefahren sein – und auch in Zukunft kaum die Möglichkeit dazu haben. „Man kann seine Zeit nicht in einer der am stärksten vernachlässigten Regionen der Erde verbringen und nicht erkennen, dass es einen Unterschied gibt, ob einem nur das Smartphone geklaut wurde oder ob man nichts zu essen hat“, schreibt Radhika Sanghani im englischen Telegraph. Rucksackreisende könnten immer noch ihr iPad verkaufen, oder in einem Hostel anheuern, wenn ihnen das Geld ausgehe, schlägt Sanghani vor. Sie findet: „Die Begpacker sollten sich schämen.“

Verschmelzung mit dem Alltag der Einheimischen?

„Begpacking kann man sicher verwerflich finden“, sagt der Soziologe Dr. Robert Schäfer auf Anfrage. Als Wissenschaftler wolle er das Phänomen jedoch nicht moralisch werten. Aber wie kommt man überhaupt darauf, sich neben einen hungernden Bettler auf die Straße zu setzen, um um Almosen für das Flugticket nach Neuseeland zu bitten? Dahinter steckt das, was die meisten jungen Reisenden antreibt: Die Suche nach dem Unverfälschten, Echten, Authentischen.

„Authentizität ist das zentrale Thema des modernen Tourismus“, wie der Soziologie-Dozent an der Schweizer Universität Fribourg erklärt. Dabei gehe es in der Regel um den Ausbruch aus den Routinen des gewöhnlichen Alltags. Hierzu werde beispielsweise ein Urlaubs-Erlebnis als „Abenteuer“ dargestellt.  „Eine andere Möglichkeit besteht im Versuch, aus dem eigenen Alltag durch die Verschmelzung mit dem Alltag der Einheimischen zu fliehen“, erklärt Schäfer, der das Buch „Tourismus und Authentizität“ veröffentlicht hat.

„Ein extremer Schritt auf der Suche nach Authentizität“

„Begpacking ist sozusagen ein sehr extremer Schritt auf der Suche nach Authentizität auf Reisen“, so Schäfer. „Es ist der Versuch, sich mit den Menschen vor Ort gleichzusetzen, der aber natürlich misslingt.“ Schließlich seien die Begpacker in der Regel eindeutig als westliche Reisende zu erkennen.

Das sei das ewige Dilemma des Touristen, so Schäfer, wie schon der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger in den sechziger Jahren festgestellt habe: „Der Tourist zerstört das, was er sucht, in dem Moment, indem er es findet.“

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Inzwischen seien auch die alternativen Touren, die der Lonely Planet empfiehlt, ausgetretene Pfade, so der Experte. Und auch Angebote wie „Airbnb“ seien zum Massenphänomen avanciert. „Begpacking ist eine Steigerung des Favela- oder Township-Tourismus, bei dem Reisegruppen durch Elendsviertel geführt werden.“ Der Bettler ist also nicht mehr nur Sightseeing-Objekt. Der Tourist wird selbst zum Bettler.

Der Pseudo-Bettler kehrt zurück in seinen Alltag voller Flachbildfernseher

Mit dem Unterschied, dass der Pseudo-Bettler danach zurückkehrt, in seinen Alltag voller Flachbildfernseher, Lastenräder und Kaffee-Vollautomaten. Eine Welt, in die der asiatische Bettler sicher auch gerne einmal ganz authentisch eintauchen würde. Wenn auch nur für eine kurze Reise. Dazu müsste der Tourist ihn allerdings einladen – aber dafür hat ein Backpacker ja kein Geld.

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