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Zwölfjähriger mit SchädelverletzungenEuskirchener Schüler schon vorher gewalttätig?

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Der Schulhof der Gesamtschule Euskirchen

Der Schulhof der Gesamtschule Euskirchen

Euskirchen – Die Mordkommission der Bonner Polizei ermittelt weiter unter Hochdruck. Noch immer steht nicht hundertprozentig fest, was genau am Donnerstagnachmittag auf dem Gelände der Euskirchener Gesamtschule passiert ist.

Partie Yu-Gi-Oh

Allerdings verdichten sich die Anzeichen, dass der zwölfjährige Eric, Schüler der Klasse 7f, von einem gleichaltrigen Mitschüler verprügelt worden ist – über das Tatmotiv gibt es weiter nur Gerüchte, aber womöglich gerieten Täter und Opfer während eine Partie Yu-Gi-Oh in Streit. Das ist ein bei Kindern dieses Alters beliebtes japanisches Kartenspiel.

Oberstaatsanwalt Robin Faßbender bestätigte eine Prügelattacke, nachdem ein tatverdächtiger Mitschüler am Samstag in der Kreispolizeibehörde Euskirchen im Beisein seiner Eltern vernommen wurde. „Die Ermittlung hat ergeben, dass offenbar ein strafunmündiger Mitschüler dem Eric diese Verletzungen zugefügt hat“, so Faßbender.

Auf dem Schulgelände

Wo genau sich das Verbrechen abgespielt haben soll, verriet der Oberstaatsanwalt aus ermittlungstechnischen Gründen nicht. Er bestätigte aber, dass das Ganze auf dem Schulgelände passiert sei.

Faßbender gab nur wenige Details preis, da sich die Ermittler erhoffen, so der Oberstaatsanwalt, weitere Zeugen zu finden, die die Geschehnisse beobachtet haben könnten. Diese Zeugen scheint es zu geben.

„Wir haben Hinweise darauf erhalten, dass andere Kinder und Schüler den Vorfall beobachtet haben könnten und bitten diese dringend, sich mit ihren Eltern mit der Polizei in Verbindung zu setzen, um den Sachverhalt noch weiter aufzuklären“, so Faßbender weiter.

Nicht sichtbare Schädelverletzungen

Der zwölfjährige Eric, der unter anderem schwerste, aber wohl nicht sichtbare Schädelverletzungen erlitten hatte, wurde nach einer ersten Untersuchung im Euskirchener Marien-Hospital in die Neurologische Spezialklinik nach Köln-Merheim geflogen. Dort wird der Siebtklässler nach Auskunft von Faßbender weiter intensivmedizinisch behandelt.

Ob immer noch Lebensgefahr besteht, ist unklar. Der "Express" berichtet davon, dass es erste positive Zeichen gebe und das Kind Arme und Beine bewegen könne. Der Mitschüler von Eric, so ist jedenfalls aus dem Umfeld der Schule zu erfahren, war „ein ganz normaler Schüler, der bislang nicht negativ aufgefallen ist“. Hingegen berichtet der „Express“, dass der Gesamtschüler als gewaltbereit gelten soll.

Früher schon gewaltbereit?

In der „Bild“ berichtet eine Mutter, ihr Sohn habe den Streit beobachtet und gesehen, dass Eric einen heftigen Schlag gegen den Nacken bekommen habe. Sie weiß von früheren Aggressionen des tatverdächtigen Mitschülers, über die die Schulleitung sogar informiert worden sei. Passiert sei daraufhin aber nichts.

Exzesse mit Vorlauf

Für Frank C. Waldschmidt steht fest, dass solche Gewaltexzesse nicht ohne Vorankündigung passieren. Der Sozialwissenschaftler, Theologe und Traumatherapie-Experte aus Bad Münstereifel wird bei Krisensituationen in Schulen um Rat gefragt. Im aktuellen Fall der Euskirchener Gesamtschule ist er nicht eingebunden.

„Man kann eine solche Tat nicht komplett verhindern. Allerdings gibt es meist Vorboten. Es gibt Situationen, die auf einen Ausbruch hindeuten. Meist sickert im Vorfeld etwas durch“, so Waldschmidt.

Die Täter haben nach Angaben des Experten häufig eine „Impulskontrollstörung“. „In Situationen, in denen sie sich gedemütigt oder ungerecht behandelt fühlen, staut sich das Aggressionspotenzial immer weiter auf. Eine Kleinigkeit kann das Fass dann zum Überlaufen bringen“, sagt der Bad Münstereifeler.

Krisenmanagement

Zu solchen Taten gehöre ein entsprechendes Persönlichkeits- und Verhaltensprofil dazu. „So ein Ausbruch passiert nicht einfach so“, sagt er. Wichtig sei es, nach solchen Ereignissen schnellstmöglich wieder ein Gefühl der Sicherheit herzustellen.

„Dann läuft ein regelrechtes Krisenmanagement an, denn die Geschehnisse berühren Schüler, Lehrer und natürlich auch Eltern. Ihnen muss man jetzt zur Seite stehen und ein Gefühl der Geborgenheit vermitteln“, erklärt Waldschmidt, der unter anderem nach der Love-Parade-Katastrophe in Duisburg 2010 oder auch bei den Amokläufen in Erfurt 2002 und Winnenden 2009 im Einsatz war.

Kein Einzelfall

„So ein Fall wie in Euskirchen ist grundsätzlich kein Einzelfall. Erst vor kurzem war ich in einem Krisenteam, in dessen Zusammenhang es um einen Grundschüler ging, der seine Lehrerin hinterrücks mit einem Brecheisen verletzen wollte“, sagt Waldschmidt. Fest steht im Euskirchener Fall: Aufgrund seines Alters ist der Tatverdächtige strafunmündig. Das heißt: Er hat keinerlei strafrechtliche Konsequenzen zu befürchten.

Bürger empfinden Ratlosigkeit

In der Euskirchener Innenstadt und auf dem Wochenmarkt gab es am Samstagmorgen nur ein Thema: die Geschehnisse an der Gesamtschule. „Furchtbar. Wie können Kinder dazu nur in der Lage sein?“, fragt die Euskirchenerin Ursula Schmitz und drückte damit die Ratlosigkeit aus, die viele Bürger jetzt empfinden.

Auch auf den Fußballplätzen im Kreis Euskirchen beherrschte das Thema die Gespräche am Spielfeldrand. „Ich hoffe, dass der Junge es schafft und überlebt“, sagt ein Vater, während er seinem Sohn, einem Jungen etwa im Alter des Opfers, für das Spiel die Daumen drückt.

Informationssperre der Schule

Die Informationssperre seitens der Gesamtschule und der Stadt Euskirchen als Schulträger bleibt aufrecht. Auf ihrer Homepage bittet die Schulleitung Schüler, Eltern und Freunde um Verständnis dafür, „dass wir weiterhin keine Aussagen zu dem Geschehen machen können und dürfen“.

Neben einem Foto von Kinderhänden, die übereinander liegen, wie um sich gegenseitig Schutz und Unterstützung zu geben, heißt es, man sei zutiefst erschrocken und betroffen von dem schlimmen Vorfall und hoffe, dass es dem lebensgefährlich verletzten Schüler bald wieder bessergehe. Man unterstütze die Eltern des Jungen in jeder Hinsicht – „sie haben unser vollstes Mitgefühl“.

Man erhoffe sich „schnellstmögliche Klarheit“ durch die laufenden Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei. „Um die Sorgen und Ängste unserer Schülerinnen und Schüler aufzufangen, beginnen wir am Montag in allen Klassen mit Tutorenunterricht“, kündigt die Schulleitung an.

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