Abo

HilfsprojektEuskirchener Arzt in Kolumbien – die Casa Hogar bietet Mädchen Schutz

Lesezeit 6 Minuten

Euskirchen/Istmina – „Ich wollte einmal aus dem Elfenbeinturm ausbrechen“, erzählt Dr. Theodor Rüber. 2012 besuchte der heute 29-Jährige erstmals Kolumbien.

„Es hätte auch ein anderes Land sein können, aber meine Salsa-Lehrerin war Kolumbianerin“, erinnert er sich. Außerdem kam dem Euskirchener zugute, dass er am Emil-Fischer-Gymnasium Spanisch, die kolumbianische Amtssprache, gelernt hatte.

Da er in Bonn Medizin studierte, arbeitete er in Cali, der zweitgrößten Stadt des Landes, zwei Monate lang im Schockraum eines Armenkrankenhauses – obwohl er zuvor noch nie in Kolumbien war.

Als „Medizinstudent im praktischen Jahr“ wiederholte er seine Tätigkeit. Die Verhältnisse waren mit denen in deutschen Krankenhäusern nicht zu vergleichen. „Jede Nacht kamen fünf bis sechs Menschen mit Schussverletzungen“, berichtet er. Auch Verletzungen durch Folter und sexuelle Gewalt seien häufig gewesen.

„Ich habe teilweise so oft bei der Reanimation geholfen, dass ich Muskelkater in den Armen und Rückenschmerzen hatte“, veranschaulicht er seine Arbeit. Mit den Erlebnissen habe er aber gut umgehen können. „Wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, weiß man schließlich, dass wir hier in Deutschland sehr gut leben“, erklärt er.

Außerdem stehe man als Arzt ja an der Stelle, ab der es den Menschen besser gehe. „Meine Vorgängerin sagte: »Theo, hier lernst du, dass es böse Menschen gibt«“, erzählt er. Diesen Eindruck habe er selbst jedoch nicht gewonnen. Vielmehr seien Kinder, die Gewalt ausübten, Opfer der Umstände – auch wenn ihr Handeln natürlich falsch sei. Sie seien mit der Gewalt groß geworden.

Unsicher habe er sich nicht gefühlt. „Das Krankenhaus ist gut gesichert. Aber draußen guckt man häufiger über seine Schulter und überlegt sich, ob das sicher ist, was man gerade macht“, so Theodor Rüber.

Viele soziale Projekte für die Menschen im Chocó (siehe „Istmina“) werden von der Kirche organisiert. „Ich hatte großes Interesse zu sehen, wie das unter den Bedingungen funktioniert“, erzählt der junge Arzt, der selbst kirchlich aktiv ist. So schrieb er dem Bischof Julio Garcia, der dort großes Engagement zeigt.

Zunächst sei seine Bitte abgelehnt worden: zu gefährlich. Rüber nutzte seine Kontakte zum Bistum Aachen, dem Partnerbistum des Landes Kolumbien. „Die haben gesagt, das ist ein netter Typ, nehmt den mal mit“, berichtet Rüber schmunzelnd. Was er sah, hinterließ Spuren ihn: „Mich hat beeindruckt, dass sich Menschen in solch einer Situation mit Hingabe für andere Menschen einsetzen.“

Benefizkonzert

Am Sonntag, 25. September, findet um 18 Uhr in der Kirche St. Agnes in Köln ein Benefizkonzert zu Gunsten von Casa Hogar statt. Unter dem Titel „Perspectivas – Vision und Klang von Casa Hogar“ haben die Komponisten Luis Reichars und Ludger Vollmer eigens Werke dafür geschrieben. Das Chorensemble Fiat Ars, die Violinistin Saschka-Laura Haberl und die Harfenistin Magdalena Hoffmann interpretieren die Stücke. Bischof Julio Hernando Garcia Pelaez stellt den Chocó, die Schule und die Initiative Casa Hogar vor. Angelika Huber zeigt Videoimpressionen. (mjo)

Auch er wollte helfen. Wem seine Hilfe gelten soll, wurde ihm nach einem Erlebnis klar: „Ich saß auf einer Bank. Da kam ein etwa achtjähriges Mädchen und fragte, ob ich ein Bündel Reis habe. Sie würde dafür auch mit mir schlafen.“ So entstand die Idee eines Wohnhauses für Mädchen, das an eine Schule angegliedert ist.

Auf den Dörfern gibt es kaum Schulen und das Schulgeld ist für die meisten Menschen nicht bezahlbar. Für viele Mädchen ist laut Rüber die kostenreduzierte bischöfliche Schule in Istmina, das Collegio Diocesano San José, mit 160 Schülern die einzige Chance auf Bildung. Dafür kommen die Mädchen vom Land bei Familien in der Stadt unter.

Oft jedoch würden sie dort missbraucht oder wieder rausgeschmissen. Acht- und neunjährige Mädchen sei gezwungen, sich zu prostituieren, um zu überleben. Der Wert der Frau sei nicht sehr hoch.

Istmina

Istmina ist sowohl eine Stadt als auch ein Verwaltungsbezirk, der im Departamento Chocó liegt und rund 2480 Quadratkilometer groß ist – doppelt so groß ist wie der Kreis Euskirchen. Bewohnt wird der Chocó zu 80 Prozent von Nachfahren versklavter und eingeschleppter Schwarzafrikaner. Der Chocó ist reich an Gold. „Es herrscht ein Goldrausch. Das Gold wird allerdings mit zweifelhaften Methoden abgebaut“, weiß Dr. Theodor Rüber. Denn dafür werde Quecksilber eingesetzt, das das Grundwasser vergifte.

„Kolumbien hat in den vergangenen Jahren einen Aufschwung erlebt, aber die Menschen im Chocó haben daran kaum teilgehabt“, sagt er. Zudem wird der Chocó von paramilitärischen Rebellengruppen kontrolliert. „Staatliche Institutionen haben keinen Einfluss“, so Rüber. Krankenwagen und Polizei gebe es nicht.

Im einzigen Krankenhaus des Verwaltungsbezirks arbeiten lediglich vier Ärzte. Auch Hilfsorganisationen wagen sich kaum in das Gebiet. (mjo)

„Die gesellschaftlichen Normen sind andere als hier“, weiß Rüber aus Erfahrung. In den ungebildeten Teilen der afrokolumbianischen Bevölkerung im Chocó sei es nicht ungewöhnlich, dass neunjährige Mädchen mit 20 Jahre älteren Männern zusammen seien.

Rüber gelang es, in Deutschland einige Freunde von seinem Vorhaben zu überzeugen. Das Wohnhaus, dessen erster Teilabschnitt etwa 20 sieben- bis zwölfjährige Mädchen beherbergen soll, soll ihnen Schutz bieten und den Zugang zur Bildung ermöglichen. Bildung ist der Schlüssel zu einem besseren Leben, ist Rüber sicher. Er gründete die Initiative „Casa Hogar“. Wörtlich bedeutet dies „Haus Herd“ und ist in Kolumbien ein Begriff für Heim oder Heimat.

Rund 30 ehrenamtliche Mitstreiter sind für den Verein in Deutschland tätig. In Kolumbien setzt er auf zehn Helfer. „Wir sind ganz nah am Projekt, weil wir die Telefonnummern des Bischofs, der Bauarbeiter und der Mädchen haben und mit ihnen in Kontakt stehen“, erklärt Rüber. Dass der Verein im Chocó unbehelligt agieren könne, liege an Bischof Julio Garcia und dessen Engagement: „Er kennt sich dort aus und die Kirche hat aufgrund ihres Engagements überall einen hohen Stellenwert.“

Mittlerweile hat der Verein rund 100 000 Euro an Spenden gesammelt. So spendeten der Rotary Club Euskirchen 10 000 Euro und das Erzbistum Köln 20 000 Euro. Besonders freute sich Theodor Rüber darüber, dass er sein Projekt an einem Adventswochenende in den Gottesdiensten der Euskirchener Pfarrei St. Martin vorstellen und Geld sammeln durfte. „Insgesamt sind 10 000 Euro zusammengekommen. Das war eine gigantische Welle der Solidarität, die mich berührt und dankbar gemacht hat“, erzählt der Mediziner: „Und 95 Prozent aller Spenden überweisen wir direkt nach Kolumbien.“

Im Februar konnte der Verein mit dem Bau des Hauses beginnen. Im Januar sollen die ersten Mädchen einziehen. Rund 43 000 Euro wird der Bau kosten. Doch das ist nur der erste Schritt. Denn später will der Verein die Schule für rund 120 000 Euro ausbauen. Die Schule besitzt zwar die staatliche Lizenz, ihre Schüler bis zur Hochschulreife zu unterrichten, doch fehlen ihr dazu die Mittel. Doch das möchte Casa Hogar in Zukunft ändern.

www.casa-hogar.de

KStA abonnieren