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Gedenken in HellenthalStolpersteine zur Erinnerung an verfolgte Juden gelegt

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Es gibt Sätze, die dürfen nur Überlebende sagen. „Eigentlich ist es ein Witz: Ein Ofen hat meinen Vater getötet, ein Ofen hat mir und meiner Schwester das Leben gerettet“, sinnierte Alfred Kaufmann am Freitag im Rathaus in Hellenthal. Kurz vorher durfte er mit seiner Schwester Angela Stoffels und ihrem Mann Zeuge sein, wie vor dem ehemaligen Wohnhaus in Ramscheid Stolpersteine für die gesamte Familie verlegt wurden, um an das Schicksal der Getöteten zu erinnern und vor Wiederholung zu warnen. Sie waren eigens aus Belgien angereist.

Wenn in diesen Tagen wieder Tausende Opfer von Terror, Krieg und Gewalt nach Deutschland kommen, um hier um Asyl zu bitten, bekommt es eine besondere Bedeutung, wenn in unserer Region derer gedacht wird, die vor bald 80 Jahren aus Deutschland fliehen mussten oder hier von einem unmenschlichen Regime ermordet wurden. Das wurde am Freitagnachmittag deutlich, als in Hellenthal an drei verschiedenen Orten Stolpersteine für jüdische Mitbürger verlegt wurden, die von den Nazis verjagt, gequält und ermordet wurden.

Zu verdanken ist die Kenntnis über das Schicksal der Opfer vor allem der akribischen Aufarbeitung durch den Lokalhistoriker Walter Hanf, der in seinem Buch „Juden im Oberen Oleftal“, herausgegeben vom Arbeitskreis „Judit.H“ (Juden im Tal Hellenthal), ihre Spuren aufgezeichnet hat. Nicht immer ist viel bekannt.

Rund 30 Gäste fuhren von Blumenthal über Hellenthal nach Ramscheid, um zu verfolgen, wie der Künstler Gunter Demnig insgesamt neun Stolpersteine verlegte. Organisiert worden war die Aktion wieder von dem immer noch sehr aktiven Arbeitskreis Judit.H. Auch Angehörige waren angereist. Neben den Kindern von Franz und Anna Katharina Kaufmann war dies der aus den USA angereiste Egon Fromm, der Zeuge der Ehrung seines Großvaters Samuel Heumann sein wollte. Dieser hatte einst in der Kölner Straße im Herzen von Hellenthal gelebt.

Als siebenjähriger Junge, der in Euskirchen lebte, sei er oft bei seinem Großvater gewesen, erzählte Egon Fromm. „Er hat mit mir immer Sechsundsechzig und Herzblättchen gespielt“, erinnerte er sich. Fromm unterstützt seit langem die Aufarbeitung der Geschichte der Judenvertreibung und war schon häufig bei offiziellen Ereignissen Gast in der Eifelgemeinde. Auch Angela Stoffels und Alfred Kaufmann sind häufig in Hellenthal. Anja Becker, die mit ihrer Gitarre von Bürgermeister Rudolf Westerburg mit einem Regenschirm vor dem dichten Nieselregen geschützt wurde, sang berührend von dem Schicksal der Flüchtlinge einst und heute, nachdem Demnig die messingbezogenen Steine in der Auffahrt des Wohnhauses der Kaufmanns in Ramscheid eingesetzt hatte. Der Abschluss fand im Rathaus in Hellenthal statt, wo die Gäste aus den Vereinigten Staaten und Belgien Geschenke erhielten und sich in das Gästebuch der Gemeinde eintrugen. Die Geschichte der Kaufmanns zeigt in besonderer Weise, wie eine gerade Linie von Unrecht über Vertreibung bis zum Mord führen kann und wie die Willkürherrschaft der Nazis immer extremer wurde. Anna Katharina Frauenkron aus Ramscheid war in den frühen 30er Jahren bei den jüdischen Kaufmanns in Hellenthal als Hausangestellte tätig. Sohn Ferdinand, genannt Franz, und sie verliebten sich. Versuche, in Hellenthal zu heiraten, wurden bereits 1934 von Bürgermeister Fischer wegen „Rassenschande“ sabotiert.

„Es ist gut, dass jetzt im Alter viele Zeitzeugen über ihre Erinnerungen sprechen“

Das Paar zog nach Ramscheid, wo es von Polizei und SA ständig terrorisiert wurde. Als im Sommer 1935 Tochter Angela geboren wurde, wurde Franz festgenommen und nach drei Monaten im Spritzenhaus in Ramscheid in das KZ Hümmling-Esterwegen gebracht, wo er ein halbes Jahr gequält und gefoltert wurde. Nach der Entlassung im Januar 1936 flüchtete er schließlich im August 1936 nach Xhoffraix in Belgien. 1937 folgte Anna ihm nach. 1938 heirateten sie und ein Jahr später wurde Sohn Alfred geboren.

Bis zur Besetzung Belgiens durch die Deutschen, die am 10. Mai 1940 erfolgte, konnte das Paar sorgenfrei leben. Doch nun setzte die Verfolgung wieder ein. Bereits 1938 hatte ein Gericht in Aachen die im Ausland geschlossene Ehe für ungültig erklärt. Am 26. Juni wurde Franz Kaufmann verhaftet und über mehrere Stationen bis in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo er ermordet wurde. Seine Frau wurde am 11. Mai 1941 zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten verurteilt.

„Bevor meine Mutter verhaftet wurde, hat sie uns in ein Kinderheim in Spa gebracht, keine Ahnung, wie sie von Xhoffraix dorthin gekommen ist“, berichtete Alfred Kaufmann im Gespräch mit dieser Zeitung. Dort war er mit seiner Schwester in Sicherheit. Als das Kinderheim durchsucht wurde, um jüdische oder halbjüdische Kinder zu deportieren, wurden sie von den Schwestern in den riesigen Brotbackofen gesteckt. „Das war der einzige Ort, der sicher war“, so Kaufmann.

Als seine Mutter 1942 wieder zurückkam, sei das Verhältnis schwierig gewesen. „Wir haben kein Deutsch mehr gesprochen, nur noch Französisch, und das verstand sie nicht“, erinnerte er sich. Er widmet sich intensiv der Aufarbeitung der Geschichte seiner Eltern. „Es ist gut, dass jetzt im Alter viele Zeitzeugen über ihre Erinnerungen sprechen“, sagte er. Seine Mutter habe sich zeitlebens geweigert, über ihre im Zuchthaus gemachten Erfahrungen zu sprechen

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