Beim Mähen übersehenJäger musste verletztes Kitz erlösen

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Mit getupftem Fell kommen die Kitze im Frühsommer zur Welt.

Mit getupftem Fell kommen die Kitze im Frühsommer zur Welt.

Mechernich – Das Rehkitz muss entsetzlich gelitten haben. Ein Bein war komplett abgetrennt, zwei weitere aufs Übelste zugerichtet. Hans Hawig war nach diesem Anblick "mit den Nerven fertig".

Das Kitz lebte noch und hechelte vor Schmerzen: "Ich bin in dieser Hinsicht ein Weichei und konnte es nicht töten." Ein von Hawig alarmierter Jäger erlöste das Tier von seinen Qualen.

Fluchtmöglichkeit abgeschnitten

Der 53-Jährige ist empört. Er ist der Eigentümer des Grundstücks in einem Außenort Mechernichs, auf dem das Kitz so fürchterlich zugerichtet wurde. Für die Bewirtschaftung ist er aber nicht zuständig. Seit 21 Jahren ist der Landwirt wegen schwerer Bandscheibenschäden berufsunfähig.

Als Hawig notgedrungen in Frührente gehen musste, verpachtete er seine Ländereien an einen Bauern aus einer Nachbarkommune. Der wiederum lässt die Mäharbeiten von einem Kollegen erledigen. Und auf den ist Hawig alles andere als gut zu sprechen. Er hat bei der Polizei in Mechernich Strafanzeige gegen den Fahrer der Mähmaschine wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz erstattet.

„Über die Wiese gebrettert“

Denn das nun getötete Rehkitz sei, wie Hawig sagt, nicht dessen erstes Opfer. Schon vor acht Wochen seien zwei Jungtiere auf derselben Futtergrasfläche zerstückelt worden. Hawig hatte die Mähaktion damals von der Terrasse seines Wohnhauses verfolgt. Nach dem Motto "Zeit ist Geld" sei der Traktor mit der Höchstgeschwindigkeit von 20 Stundenkilometern über die Wiese gebrettert.

Der Fahrer habe außen angefangen und den Tieren damit jede Fluchtmöglichkeit abgeschnitten. Auch seien die Halme nur Millimeter über dem Boden gekappt worden, Kitze hätten da keine Überlebenschance. Mit den beiden, insgesamt etwa sechs Meter breiten Messerbalken habe der Mann nicht einmal eine Stunde für das Abmähen der fünf Hektar großen Wiese gebraucht. Dass bei dieser Ramboaktion auch am Rand gepflanzte Büsche und kleine Bäume "zu Silage wurden" , kann Hawig verschmerzen. Das Leid der Tiere geht ihm aber an die Nieren.

Hawig: "Mir war aufgefallen, dass anschließend zwei Ricken ganz aufgeregt um die abgemähte Wiese rannten." Hawigs Vermutung, dass die beiden Muttertiere mit ihren Lauten ihre Kitze herbeirufen wollten, wurde zur bitteren Wahrheit.

Die Jungtiere konnten aber nicht mehr zu ihren Müttern zurückkehren. Hawig fand ihre zerstückelten Kadaver.

Kündigung angedroht

Der 53-Jährige informierte sofort seinen Pächter und sprach Klartext. Sollte dessen Auftragnehmer noch einmal ohne Rücksicht auf Leib und Leben der Tiere über die Wiese donnern, werde der Pachtvertrag fristlos gekündigt. Der jüngste Vorfall brachte nun das Fass zum Überlaufen.

Von einer fristlosen Kündigung hat Hawig zwar auf eindringliche Bitte seines Pächters abgesehen: "Aber ich werde den Vertrag, der in vier Jahren ausläuft, nicht verlängern."

Die Kreisjägerschaft Euskirchen empfiehlt den Bauern, die anstehenden Grünschnitttermine rechtzeitig mit den Jagdpächtern abzustimmen. Dann könne durch das Absuchen der Wiesen, den Einsatz von Wildrettern oder durch Vergrämung (Vertreibung) dafür gesorgt werden, dass die Ricke ihr Kitz aus dem gefährdeten Wiesenabschnitt wegführt.

Kostengünstig und zugleich hilfreich sei das rechtzeitige Aufstellen von Knistertüten, Flatterbändern oder Kofferradios. Bereits eine Aktion zur Vertreibung pro Hektar Anbaufläche wirke. Tun die Landwirte das nicht, kommen sie laut Kreisjägerschaft ihren tierschutzrechtlichen Verpflichtungen nicht nach.

Neben der Vergrämung sei die wirkungsvollste Maßnahme zum Schutz des Wildes das "Mähen des Feldes von innen nach außen". So erhalten auch Feldhasen oder Fasane noch die Möglichkeit zur Flucht. Bei der Ernte der Ganzpflanzensilage verspreche die Begrenzung der Schnitthöhe auf etwa 15 bis 20 Zentimeter zusätzlichen Erfolg - gerade für Rehkitze, die sich instinktiv ducken.

Wenn Kadaver von Wildtieren mit in die Ernte geraten, können sie darin das für Mensch und Tier hochgiftige Botulinum-Toxin bilden. In der üblichen Fütterung verabreicht, führt dies meist bei einer größeren Zahl des Viehbestandes zu Vergiftungen. (jsp)

Nach den Beobachtungen Hawigs hatte der Fahrer sich die Ermahnungen nicht zu Herzen genommen, die Aktion sei genauso abgelaufen wie vor acht Wochen. Nicht nur das: "Der Fahrer hat mehrmals auf die Stelle geguckt, auf der ich später das schwer verletzte Kitz gefunden habe."

Der beschuldigte Fahrer bestreitet indes vehement, das Kitz wissentlich überfahren zu haben. Hätte er das verletzte Tier bemerkt, so hätte er es von seinen Leiden erlöst.

Dennoch beharrt Hawig darauf: "Hier sind immer Rehe. Ich will gar nicht darüber nachdenken, was passiert wäre, wenn Kinder in dem hohen Gras Verstecken gespielt hätten."

Die aufgestellten Knistertüten böten offenkundig keinen 100-prozentigen Schutz. Der gelernte Landmaschinenmechaniker fordert daher Wärmesensoren an Mähmaschinen vorzuschreiben, die im Fall der Fälle schlagartig die Motoren abschalten: "Das ist technisch kein Problem."

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