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A1-Ausbau LeverkusenGiftmüll - So gefährlich ist der Eingriff in die Altlast Dhünnaue

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Probebrunnen Deponie Nord

Leverkusen – Wenn die neue Leverkusener Rheinbrücke errichtet und das Autobahnkreuz Leverkusen-West im Zuge des A-1-Ausbaus umgebaut wird, müssen die Straßenbauer auch ein ganz heißes Eisen anfassen: Die Altlast Dhünnaue. Dort wurde seit den 1920er Jahren 40 Jahre lang abgekippt, was so anfiel: Siedlungsabfälle aus der Gemeinde Wiesdorf, dem späteren Stadtteil Leverkusens, aber auch, was die chemische Produktion im Bayer-Werk so zurückließ. Ältere Leverkusener erinnern sich an den Gestank auf der damaligen Kippe in Rhein-Nähe, an farbig schimmernde Pfützen. Von Umweltschutz war in diesen Zeiten keine Rede.

Die Kippe wurde geschlossen, auf ihr Wohnhäuser gebaut, die in den 1990er Jahren wieder abgerissen wurden, weil viele ihrer Bewohner krank wurden. Was heute im Einzelnen im Untergrund lagert, musste jetzt bei der Vorbereitung des Autobahnbaus durch eine Vielzahl von Probebohrungen erkundet werden. 180 Bodenproben wurden schon im Labor analysiert.

Liste festgestellter Stoffe

Lang sind die Listen der dabei festgestellten Stoffe, von A wie Arsen bis Z wie Zink. Als besonders bedenklich haben sich die Schwermetalle, beispielsweise Chrom, Quecksilber oder Arsen erwiesen. Einige der Substanzen können krebserregend sein, einige gen-verändernd wirken.

Das gibt Raum für Spekulationen und Ängste. Schließlich sind bei Bayer zurzeit des Ersten Weltkrieges auch chemische Kampfstoffe produziert worden. Lauern etwa auch Senfgas-Rückstände im Untergrund? „Absoluter Unsinn!“, heißt es dazu von Bayer. Von einer „Büchse der Pandora“ sprechen dagegen Vertreter jener Bürgerinitiativen, die sich „keinen Eingriff in die Deponie“ auf die Plakate geschrieben haben.

Dass diese Deponie versiegelt und nie mehr angerührt werden sollte, war seit den 1980er Jahren abgemacht Sache, als über großen Teilen der Kippe der „Neulandpark“ für die Landesgartenschau 2005 entstand. Das „Niemals-mehr-anrühren“ dauerte gerade mal ein Jahrzehnt. Heute soll genau das Gegenteil geschehen, sprechen die Gutachter im Auftrag des Landesbetriebes Straßen NRW von „beherrschbaren Risiken“. Der Leiter des Chemparks Leverkusen, Ernst Grigat, nennt die Versiegelung unter dem Park einen Fehler, der dem damaligen Denken entsprungen sei. Heute würde man die Altlast lieber herausholen und verbrennen.

Chemiker über den Eingriff

Wie gefährlich aber ist nun der „Eingriff in die Deponie“, um die Autobahn auszubauen? „Wir können davon ausgehen, dass im Laufe der Zeit viele hundert Substanzen gebildet wurden, die ursprünglich nicht vorhanden waren“, sagt der frühere Leverkusener Grünen-Ratspolitiker und ehemalige Bayer-Chemiker Rainer Welte. Angesichts der Gifte, die im Boden vergraben wurden, könne „man ein beliebiges Horrorszenarium entwerfen“: „Wenn ein solcher Deponiekörper innerhalb einer Stadt geöffnet werden soll, dann müssen die Verantwortlichen entweder sehr unwissend oder sehr rücksichtslos sein.“

Straßen NRW hat Gutachter mit einem Sicherheitskonzept beauftragt. Nur an wenigen Stellen habe man gefährliche Stoffe gefunden, so deren Fazit. 19 Prozent des Deponiegutes wird als gering belastet eingestuft, ganze acht Prozent als „höher belastet“.

Das Landesumweltamt teilt diese Ansicht und hat „keine grundsätzlichen Bedenken“. Das Vorhaben sei machbar, da aber letztlich nicht völlig auszuschließen sei, dass bei den Aushubarbeiten „Stoffe angetroffen werden, von denen besondere Gefahren ausgehen“, fordert das Amt einen „Notfallplan, der das Vorgehen in solchen Fällen regelt“. Zudem soll eine zweite Grundwassersperrwand zum Rhein hin verhindern, dass Stoffe aus der Deponie herausgelangen, falls die erste, 38 Meter tief reichende Wand bei den Arbeiten beschädigt werden sollte.

Umfang des Eingriffs

Welchen Umfang der Erdaushub haben wird, darüber gehen die Schätzungen auseinander. Von 230 000 Kubikmetern spricht der Gutachter des Landes. Ein im Auftrag der Bürgerinitiativen eingeschalteter Experte schätzt die Menge auf das Drei- bis Vierfache.

Aber nicht nur die schiere Masse ist eine Herausforderung. Denn es muss unter höchsten Schutzvorkehrungen gearbeitet werden. Auf den höher belasteten Flächen sollen luftdichte Leichtbauhallen eingesetzt werden, die Arbeiter bekommen Atemschutz und der Aushub muss mit sicher geschlossenen Spezialfahrzeugen zur Verbrennung gefahren werden. Zudem wird der Untergrund teilweise vereist, Wasser-Sprühsysteme sollen möglichen Staub aus der Luft holen und darüber hinaus wird das Areal permanent mit Gas- und Geruchsmessgeräten überwacht.

Im Landtag sprach der Grünen-Abgeordnete Arndt Klocke vor 14 Tagen dennoch von der „wahrscheinlich gefährlichsten Sondermülldeponie Deutschlands“.

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