HobbyEin Leben für das Vinyl

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Zwei Tonnen Gewicht im Wohnzimmer, eine Rarität in der Hand: Plattensammler Kurt Zander sitzt vor seinen 14 000 Schätzchen.

Zwei Tonnen Gewicht im Wohnzimmer, eine Rarität in der Hand: Plattensammler Kurt Zander sitzt vor seinen 14 000 Schätzchen.

Rheindorf – Hätte sein Haus einen Keller, wäre es längst eingestürzt: Gut zwei Tonnen Gewicht drücken nämlich auf den Boden in Kurt Zanders Wohnzimmer. „Das würde keine Kellerdecke aushalten“, sagt er. Dem Fundament aus Beton und Rheindorfer Erde machen die 14 000 Schallplatten, die hier im Regal stehen, dagegen nichts aus.

Und somit ist das Schlimmste, was Kurt Zander passieren könnte, dass er weitersammelt und irgendwann der Platz ausgeht. Dann müsste er entweder das Sofa entsorgen oder das Schlafzimmer ausräumen, um anzubauen. Vinyl hat bei ihm immer Vorrang. Es bestimmt sein Leben.

Die Maße, auf denen die zur Jugendzeit geweckte Leidenschaft gründet, lauten achtmal zweieinhalb Meter: Acht Meter lang ist das Regal, in dem die Vinyl-Scheiben des 62-Jährigen Frontseite an Rückseite stehen. Und zweieinhalb Meter hoch. Das macht sieben Reihen vertikal mit je siebzehn quadratischen Fächern horizontal. Eine Sammlung von der Küchentür bis zum Terrassenfenster.

Unterteilt nach Platten mit Popmusik in deutscher, englischer, französischer und spanischer Sprache. Und klar umrissen: vom Urschleim (Elvis) über den Beat zur Disco-Phase Ende der 70er. „Ab da wurde es musikalisch schlimm“, sagt Kurt Zander. Und wie steht es mit Klassik? „Interessiert mich nicht.“ Wer sammelt, der braucht eben Regeln, damit es nicht aus dem Ruder läuft. „Ich bin ja schließlich kein Messie.“ Natürlich ist er das nicht, die sammeln ja auch Müll. Kurt Zander dagegen sammelt die Alben der Beatles, Stones, Who, Hollies oder Kinks. Manche besitzt er nur einmal, manche drei- bis vierfach. Und dann gibt es bei ihm noch all das Exotische und Absonderliche – wie etwa „Liverpool Beat“, das erste und einzige Album der Essener Band The German Blue Flames. Die traten 1965 als eine von ganz wenigen deutschen Beat-Combos gleich zweimal im legendären „Beat Club“ auf, ehe sie sich auflösten und zur Fußnote der Pophistorie wurden. „Diese Platte wird heutzutage auf Flohmärkten oder bei Internetauktionen mit bis zu 500 Euro gehandelt“, sagt der 62-Jährige.

Aber weil er geduldig ist und sich als selbstständiger Informatiker seine Zeit frei einteilen kann, bekommt er Platten wie „Liverpool Beat“ häufig für ein paar läppische Euro.

Kurt Zander wühlt, blättert und sucht sich kreuz und quer durch die Flohmärkte und Schallplattenbörsen im Umkreis von 300 Kilometern, um seine Schnäppchen auszugraben. Hat er eins gefunden und erzählt davon, dann bekommt er diesen Gesichtsausdruck, den nur Sammler bekommen können: ein Lächeln zwischen verschmitzt und entrückt. Weit aufgerissene Augen. Hoch gezogene Augenbraue.

Kurt Zander sieht recht häufig so aus, denn mit leeren Händen kehrt er nie heim. Bei ihm droht eher ein Achsbruch: „Wenn es auf die ganz großen Börsen – etwa in Utrecht – geht, liegen am Ende des Tages im Kofferraum meines Autos meist ein paar hundert Platten.“ Und nicht nur LPs wohlgemerkt, sondern auch Singles. Die sammelt er schließlich auch. Die kleinen Dinger sind zwar nicht so schwer und er kann sie problemlos im Obergeschoss seines Hauses horten, ohne Sorge haben zu müssen, dass die Decke irgendwann runterkracht. Dafür aber beläuft sich dieser Teil seiner Sammlung auf noch mehr Exemplare: Über 41 000 Stück – alphabetisch sortiert in Pappkartons, die er sich aus Supermärkten holt und in denen vorher Milchtüten lagerten. Zum Vergleich: Dem 2004 verstorbenen, englischen Star-DJ und Popmusik-Oberexperten John Peel wird nachgesagt, dass er der Nachwelt eine Sammlung von knapp 60 000 Vinyl-Platten hinterließ. Der gebürtige Greifswalder Kurt Zander, der seit 1953 in Leverkusen lebt, ist heute knapp dran an Peel – weil er seine Passion generalstabsmäßig organisiert.

Erstens: „Ich sammele so richtig und dass es sich lohnt erst, seit ich mir das finanziell auch leisten kann, also seit knapp 15 Jahren.“

Zweitens: Sämtliche Platten, die er besitzt, erfasst er in einer penibel gepflegten Liste in seinem Computer, „weil ich sonst den Überblick verlieren würde“.

Drittens: Kurt Zander beobachtet regelmäßig Internetauktionen und wälzt Kataloge, in denen Schallplatten bewertet werden – und nimmt auf Einkaufstouren stets seine in die Materie eingeweihte Frau mit. Vier Augen sehen mehr als zwei. Vier Arme können mehr tragen mehr als zwei. Sie schaut hier, er dort. Und zwischendurch wird telefoniert und potenzielle Funde von Interesse mit der Computer-Sammelliste abgeglichen.

Und viertens schließlich: „Daheim waschen wir alle Platten mit Spüli-Wasser und hören rein, um zu sehen, ob sie auch laufen.“

Erst dann geht es ans Einsortieren ins Regal. Dass Kurt Zander dabei eine Armada von kleinen Hummel-Porzellanfigürchen zuschaut, die an der gegenüberliegenden Längswand in Vitrinen stehen, ist der Ehefrau geschuldet. „Bei uns“, sagt Kurt Zander, „sammelt eben jeder etwas.“

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