InterviewDer Heiligenschein ist weg

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Zwei Jahre Recherche: Maren Gottschalk suchte nach Spuren Sophie Scholls, am Ende steht jetzt eine beeindruckende Biografie.

Zwei Jahre Recherche: Maren Gottschalk suchte nach Spuren Sophie Scholls, am Ende steht jetzt eine beeindruckende Biografie.

Leverkusen – Frau Gottschalk, Sie sind nicht die erste Autorin, die über Sophie Scholl geschrieben hat.

MAREN GOTTSCHALK: Das ist richtig. Aber es gibt seit geraumer Zeit - und erstmals seit dem Tod von Sophies Schwester Inge Scholl im Jahr 1998 - die Möglichkeit, Quellen wie Tagebücher und Briefe im Institut für Zeitgeschichte in München direkt einzusehen. Diese Möglichkeit hatten die Autoren zuvor nicht. Früher stand Inge Scholl immer zwischen ihrer Schwester und dem Rest der Welt und hat stark am "Mythos Sophie Scholl" mitgestrickt.

Was bedeutet das?

GOTTSCHALK: Inge Scholl hat ein bestimmtes, idealisiertes Bild ihrer Schwester darstellen wollen, das inzwischen überholt ist und an dem die Historiker ohnehin immer schon gezweifelt haben. Das ist durchaus verständlich - immerhin war sie die Schwester. Aber aus diesem Grund durften Autoren damals eben nur Abzüge, keine Originale einsehen. Es wurden nur Auszüge aus Briefen und Tagebüchern gedruckt. Jetzt kann man weiterlesen. Auf diese Weise wollte ich aus dem Mythos einen Menschen ohne Heiligenschein machen. Und dabei kamen ganz andere Seiten Sophie Scholls, auch Abgründe, zum Vorschein.

Was sind das für Abgründe?

GOTTSCHALK: Ihre Zickigkeit zum Beispiel, die sie ihrem Freund Fritz Hartnagel gegenüber an den Tag legte. Oder auch die Tatsache, dass sie anfangs sogar euphorisch in den Jugendorganisationen der Nationalsozialisten tätig war. Der Mythos von der frühen Abkehr der Geschwister Scholl vom Nationalsozialismus ist tatsächlich ein Mythos.

Haben Sie sehr lange in Archiven zugebracht?

GOTTSCHALK: Oh ja. Ich habe insgesamt zwei Jahre an dem Buch gesessen. Und es war sehr aufwendig, die Informationen sinnvoll zusammenzusetzen und zu deuten. Kein Mensch schreibt schließlich einen Brief, um der Nachwelt zu erklären: Dies und das war damals mein Problem. Entsprechend lange hat es auch gedauert, herauszufinden, wie viele Personen wirklich an der Widerstandsorganisation der "Weißen Rose" beteiligt waren. Das waren ja nicht nur Sophie und Hans Scholl.

Hatten Sie direkten Kontakt zur Familie Scholl und zu deren Freunden?

GOTTSCHALK: Ja, zu Elisabeth Scholl, die ja als einzige der Geschwister noch lebt und mit Fritz Hartnagel verheiratet ist. Und zum jüngeren Bruder von Sophie Scholls Freundin Sabine Hirzel.

Was war das für ein Gefühl, mit solchen Personen der Zeitgeschichte zusammenzusitzen?

GOTTSCHALK: Das war sehr bewegend. Vor allem der Besuch bei Elisabeth, die ja heute Hartnagel heißt, hat mich sehr gerührt. Sie wohnt in einer sehr einfachen Wohnung in Stuttgart. Und ich habe mir bei ihr immer vorgestellt, dass Sophie Scholl heute wohl so ähnlich aussehen würde. Diese Begegnungen haben mich bewegt, weil ich als Deutsche unheimlich froh darüber bin, dass es solche Menschen gegeben hat. Schließlich bedeutet ihre Existenz, dass es in jedem Buch über das Dritte Reich auch ein Kapitel zum Widerstand gibt.

Haben Sie im Rahmen der Recherche denn auch überraschende Momente erlebt?

GOTTSCHALK: Ja, zwei auf jeden Fall. Das erste war, zu sehen, was für Probleme Sophie Scholl mit ihrem Freund Fritz Hartnagel hatte, wie sie mit ihm in ihren Briefen manchmal umging. In dieser Zickigkeit, dieser menschlichen Schwäche habe auch ich mich wiederentdeckt als ich jung war. Das andere war die Antwort auf die Frage: Wann hat sich Sophie Scholl vom Nationalsozialismus abgekehrt? Es gibt ja keinen Satz, der diesen Moment fixiert. Da habe ich sehr lange gesucht.

Wenn man ihr Buch liest, sieht man: Sie wurden fündig.

GOTTSCHALK: Ja. Ich glaube, es passierte, als Sophie Scholl vor dem Studium in den Reichsarbeitsdienst kam. Da hat sie die Zwangsjacke des Systems erstmals richtig gespürt, dieses Leben in der Baracke mit Fahnenappell und Propaganda von morgens bis abends, fernab vom intellektuellen Umfeld ihrer Familie. Von da an konnte sie keinen inneren Frieden mehr erlangen und sich sagen: Da komme ich auch so irgendwie durch. In diesem Moment musste sie etwas tun.

Das Gespräch führte Frank Weiffen

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