Neue InternetseiteProjekt soll Blindenreportagen von Bayer-04-Spielen verbessern

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Leverkusen – Gerhard Stoll fiebert nicht nur bei Heim-, sondern auch bei Auswärtsspielen von Bayer 04 mit. Spiele, die er in den letzten Jahren verpasst hat, lassen sich an einer Hand abzählen. Gerhard Stoll ist Klubmitglied und Fan mit Leib und Seele. Eigentlich nichts Besonderes in Leverkusen, und irgendwie dann doch. Denn Gerhard Stoll ist blind.

Als erster Fußballverein hat Bayer 04 Leverkusen 1999 die Blindenreportage beim Spiel gegen den SSV Ulm 1846 eingeführt. Heute bieten 34 Vereine in der Ersten und Zweiten Bundesliga die speziellen Reportagen an. Das 2014 von der Arbeiterwohlfahrt (Awo), Aktion Mensch und der Deutschen Fußball Liga (DFL) entwickelte Kompetenzzentrum für Sehbehinderten- und Blindenreportage übernimmt eine beratende Funktion für die Vereine, hilft bei der Ausschreibung und bildet die Reporter in fünfzehn Lerneinheiten aus und weiter. Am letzten Seminar haben 94 Teilnehmer aus 24 Vereinen teilgenommen – so viele wie noch nie.

Qualitätshandbuch

„Mit dem Projekt wollen wir die Qualität der Blindenreportagen verbessern und einen Maßstab entwickeln“, erklärt Björn Naß, Leiter des Kompetenzzentrums. Lange Zeit wurden Blindenreporter kaum wahrgenommen und mussten unter erschwerten Arbeitsbedingungen die Spiele kommentieren. „Häufig wurde ihnen nicht mal die Benzinkosten erstattet oder sie durften keine Getränke mit ins Stadion nehmen, haben dort aber auch nichts gestellt bekommen. Berichten Sie mal 90 Minuten lang über ein Spiel ohne etwas trinken zu können“, empört sich Klaus Theißen, Abteilungsleiter bei der Awo. Ein Qualitätshandbuch soll noch dieses Jahr konzipiert werden. Darüber hinaus ist langfristig die Ausweitung der Blindenreportage auf internationale Fußballspiele geplant, aber auch über den Fußball hinaus auf andere Sektoren.

„Der typische Blindenreporter ist Ende 20, männlich, kommt aus der Journalismusbranche oder möchte einmal in den Journalismus“, erklärt Naß. Philip Heuser ist einer von sechs Blindenreportern in der BayArena. Er ist durch eine Stadionführung zu seinem Geburtstag auf die ehrenamtliche Tätigkeit aufmerksam geworden, hat Sport studiert und möchte mal live im Rundfunk Fußballspiele kommentieren. Ballkontakte, Spielzüge, oder ein Flitzer: Das Wichtigste bei einer Blindenreportage sei eine detailgetreue Beschreibung von allem, was auf dem Spielfeld passiert.

Online zum Nachhören

„Im Hörfunk baut man noch Geschichten um das Spiel herum und ordnet die Geschehnisse ein. Als Blindenreporter ist man 90 Minuten am Ball“, erklärt Heuser. „Am Anfang habe ich das auf meiner Spielkonsole geübt, das ist aber noch schwieriger, weil dort alles schneller ist“, fügt der 23-Jährige hinzu. Im Durchschnitt gibt es 20 Plätze speziell für Sehbehinderte bei den Vereinen der Ersten Bundesliga und zehn Plätze bei den Vereinen in der Zweiten Bundesliga, die sind zu 90 Prozent ausgelastet. In der BayArena gibt es sogar 25 Plätze.

Seit Mittwoch ist die Homepage des Kompetenzzentrums freigeschaltet, auf der auch einzelne Blindenreportagen von Spielen der Ersten und Zweiten Bundesliga im Nachgang online zu hören sind. „Sport ist ein idealer Treiber für Inklusion – da wird Behinderung zur Nebensache“, erklärt der Vorstand der Aktion Mensch Armin von Butlar die Bedeutung von Blindenreportagen. Journalistische Arbeit, die es Gerhard Stoll ermöglichen jeden Freistoß und jeden Pass seiner Mannschaft zu erleben, wann immer er Zeit und Lust hat. So wie jeder andere auch.

www.blindenreportage.de

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