Pitchback-Tonstudio in LeverkusenKraftvoller Punk kommt aus Manfort

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Toningenieur Aljoscha Sieg arbeitet mit modernstem Equipment – das Wichtigste ist für ihn aber, dass die Bands sich wohl und aufgehoben fühlen.

Toningenieur Aljoscha Sieg arbeitet mit modernstem Equipment – das Wichtigste ist für ihn aber, dass die Bands sich wohl und aufgehoben fühlen.

Leverkusen – Auf älteren Stadtplänen taucht die Friedrich-Sertüner-Straße in Manfort noch gar nicht auf. Da ist nur Brachland. Mittlerweile aber schlägt hier, auf dem Gelände des Innovationsparks zwischen der Gustav-Heinemann-Straße im Süden, der Bahntrasse im Westen, den Wäldern Schlebuschraths im Osten und der A1 im Norden, ein Stück des Leverkusener Musikherzens. Und an diesem verregneten Abend im Februar schlägt es in rasendem Takt: In Aljoscha Siegs Pitchback-Tonstudio sind die Jungs von Marathonmann zu Gast.

Die Münchener Punkrockband nimmt ihr neues Album auf. Zwischen zwei Konzerten – gestern Hamburg, morgen Köln – machen sie einen kurzen Abstecher nach Leverkusen. Wobei Marathonmann nicht die einzigen sind, die wissen, dass an dieser Stelle in Manfort mehr als Felder und Wiesen und Industriegebäude sind. Denn Aljoscha Sieg hat sich einen Namen gemacht: Er ist ein Experte in Sachen Punk und Hardcore-Musik – so heißt die besonders schnelle und harte Gangart des Genres. Zu seiner Stammkundschaft zählt ein gutes Dutzend Bands aus dem ganzen Land. Zwischendurch schaut auch immer wieder mal Roman Lob – der 2012 „Unser Star für Baku“ beim Eurovision-Song-Contest im aserbaidschanischen Baku war – mit seiner Punkband Rooftop Kingdom vorbei. Und: Aljoscha Sieg hat einen guten Draht zu dem einen oder anderen Produzentenkollegen aus den USA, der in der Szene als Ikone gilt.

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Marathonmann sind jedoch die bekanntesten Künstler, die derzeit regelmäßig in Leverkusen Station machen: Sie touren mit Popsängerin Jennifer Rostock durch die großen Hallen der Republik, spielten bereits bei mehreren großen Festivals und sorgten mit ihrem Debütalbum „Holzschwert“ vor einem guten Jahr für ordentlich Furore – aufgenommen natürlich in Manfort. „Wir fühlen uns hier rundum wohl und gut aufgehoben“, sagt Sänger Michael „Michi“ Lettner. Zudem liege Leverkusen ja strategisch sehr günstig im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen und somit nah dran an den meisten Hallen, in denen hierzulande die Musik spielt. Es sei klar gewesen, hier aufzuschlagen.

Für Aljoscha Sieg war es eher Zufall: Der 29-Jährige stammt aus dem Frankfurter Raum. Das Studium zum Toningenieur und Musikproduzenten absolvierte er in Köln. In Flittard hatte er sein erstes kleines Studio. Er zog nach Wiesdorf, wo er seitdem lebt. Und dann entdeckte er eben vor gut eineinhalb Jahren das Souterrain in diesem alten Backsteingebäude in Manfort – und stattete es mit Mischpulten, Lautsprecherboxen, Mikrofonen und allem anderen musiktechnischem Kram aus. Der Umzug raus aus Flittard und hinaus aufs ehemalige Brachland – es sei die beste Entscheidung seines Lebens gewesen, sagt er heute.

Entsprechend liebevoll richtete er das Studio ein: „Music Lounge“ steht über einer großen, weißen Ledercouch im Foyer des Studios. Die Kaffeemaschine ist nah. Die Aufnahmeräume nebenan sind mit maximal aktuellen Gerätschaften ausgestattet. Die Musiker, die hierher kommen, sollen sich wohl und ernst genommen fühlen.“ Das sei schon die halbe Miete bei der Produzententätigkeit. Und sich wohlfühlen – das gehe eben nur, wenn die Liebe zum Detail da sei. Bis hin zu den Räucherstäbchen der Firma „Nag Champa“, die sich Aljoscha Sieg von seinem vergangenen Amerika- Aufenthalt mitgebracht hat und die er stets anzündet, wenn Marathonmann und Co. in Aufnahmeraum stehen und loslegen. Der Tipp sei ihm von Jason Livermore gegeben worden. „Das entspannt.“

Livermore ist Inhaber der Blasting Room Studios im US-Staat Colorado. Hier nahmen bereits Punkhelden wie NOFX, Rise Against, Descendents, Hot Water Music und The All ihre Platten auf. Und hier schaute sich Aljoscha Sieg während eines Trips über den großen Teich einmal genauer um. Mehr noch: Livermore war so begeistert über den Enthusiasmus und den Ehrgeiz seines Gastes, dass er ihm bei einigen Platten bereits zur Seite stand und sie abmischte, sprich: ihnen den letzten Schliff verpasste, ehe es für die Musik hinausging in die große, weite Tonträgerwelt.

Aljoscha Sieg hat in den vergangenen Jahren jede Menge Erfahrung gesammelt und das Credo seiner Arbeit entwickelt: „Ich frage die Künstler, was sie wollen und wie sie sich ihr Album vorstellen – und gebe dann Tipps und helfe dabei, diese Idee umzusetzen.“ Das eigene Ego müsse draußen bleiben. „Die Band diktiert den Sound.“ Nur ab und zu müsse er strenger eingreifen: „Es kommt schon vor, dass es zugeht wie in der Kabine von Fußballern“, sagt er und lächelt. „Dann muss ich mich durchsetzen – und es geht weiter.“

Bei seinen aktuellen Kunden, von Marathonmann bleibt dir ordnende Hand indes in der Tasche – beziehungsweise am Regler. Denn die Münchner sind diszipliniert und während ihrer Tournee ohnehin nicht scharf auf irgendwelche Exzesse abseits der Bühne. Frontmann Michi macht sich sogar einen Tee an der Bar im Foyer, ehe er mit den anderen in ein paar Demoaufnahmen neuer Songs reinhört. Alle sind froh, mit Aljoscha Sieg einen Gleichgesinnten gefunden zu haben, der zudem auch noch weiß, wie Punkmusik klingen muss, um zu begeistern. Außerdem lautet eine seiner Maximen: „Die Musiker haben immer das letzte Wort.“ Schließlich sei jedes Album auch das „Baby“ einer Band. Und diese Babys sind bei einem wie Aljoscha Sieg in besten Pflegehänden.

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