StadtgeschichteSo sah Leverkusen in den Boom- und Baujahren der 1960er Jahre aus

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Den Bau der heute Europaring heißenden Stadtautobahn dokumentierte Karlheinz Beeres als stolzer Besitzer einer Spiegelreflexkamera mit zahlreichen Aufnahmen. Zeitweise war er als Schüler bei der Firma Kufus in den Ferien auch selbst im Straßenbau tätig.

Den Bau der heute Europaring heißenden Stadtautobahn dokumentierte Karlheinz Beeres als stolzer Besitzer einer Spiegelreflexkamera mit zahlreichen Aufnahmen. Zeitweise war er als Schüler bei der Firma Kufus in den Ferien auch selbst im Straßenbau tätig.

Leverkusen – Das Geknatter nicht funkentstörter Zündkerzenstecker, das seinen Radioempfang ruinierte, hat Wolfgang Duisberg heute noch im Ohr. Genauso lebhaft erinnerte er sich am Dienstagabend in der Stadtbücherei daran, dass es damals, im Jahr 1966, in Wiesdorf genau vier Neger gab, wobei es sich bei zwei davon um „Nick-Neger“ handelte. In diese Welt vor 50 Jahren, als an solch inzwischen politisch völlig inkorrekten Bezeichnungen noch niemand Anstoß nahm, tauchten in der Reihe „Zeitzeugen erzählen“ rund zwei Dutzend Erzählerinnen, Erzähler und Zuhörer ein.

Moby Dick im Rhein

Neben Duisberg öffneten dabei Barbara Schäfer, Sigrid Oehmig, Gertrud Heck, Rolf Wohlgemuth und Karlheinz Beeres die Schatzkisten ihrer Jugendjahre, in denen es noch „mehr Haare und weniger Falten“ gab, wie Duisberg es ausdrückte. Ralph Junker von der Stadtbücherei, der den kurzweiligen Abend moderierte, steuerte dazu ein paar allgemeine Informationen bei. Wie etwa die, dass 1966 ein „Moby Dick“ genannter weißer Wal im Rhein schwamm, der durchschnittliche Monatslohn 620 D-Mark betrug und der Deutsche Fußballmeister 1860 München hieß, während ein Aufsteiger namens Bayern München gleich mal den DFB-Pokal gewann.

In einem launigen Vortrag, in dem er bewusst auch die Sprache von damals benutzte, tauchte Wolfgang Duisberg tief in die 60er-Jahre und die Gefühlswelt seiner Altersgenossen ein.

In einem launigen Vortrag, in dem er bewusst auch die Sprache von damals benutzte, tauchte Wolfgang Duisberg tief in die 60er-Jahre und die Gefühlswelt seiner Altersgenossen ein.

Rolf Wohlgemuth kickte zu dieser Zeit mit den Bayer-04-Amateuren in der Verbandsliga und bandelte in der berühmt-berüchtigten Rheindorfer Kellerbar Blaue Grotte mit einer jungen Dame an, die heute seine Frau ist. Barbara Schäfer hingegen wurde am 1. Dezember 1966 an der Eulengasse in Rheindorf-Süd gerade einmal eingeschult. 1. Dezember? Stimmt, da war doch was mit Kurzschuljahren, weil die Versetzungszeugnisse statt zu Ostern künftig zum Beginn der Sommerferien ausgegeben werden sollten.

Gleichzeitig wurde Sigrid Oehmig wiederum die Mittlere Reife genau dort erteilt, wo sie rund 17 Jahre zuvor auch zur Welt gekommen war: In der Realschule Am Stadtpark, die von 1945 bis 1956 als Ersatz für das im Krieg zerstörte St.-Josef- Krankenhaus diente. Ihr erhalten gebliebener Stundenplan beweist übrigens, dass der Samstag damals ein ganz normaler Unterrichtstag war. Heute kaum mehr vorstellbar, gab es das Fach „Chemie für Mädchen“, und wenn die Jungen Sport hatten, gab es für die Mädchen „Nadelarbeiten“. Hatten allerdings die Mädchen Sport, genossen die Jungen selbstverständlich eine Freistunde.

Die hätte Karlheinz Beeres beispielsweise nutzen können, um stolz wie Oskar mit druckfrischem Führerschein und dem 1200er Käfer seines großen Bruders die Straßen unsicher zu machen. An deren Bau er sich als Hilfsarbeiter in den Ferien immerhin auch beteiligte. Der Ferienjob führte außer zum Führerschein auch zum Erwerb einer Spiegelreflexkamera, mit der er den Bau der Stadtautobahn, heute Europaring, in ungezählten Aufnahmen dokumentierte.

In der Realschule Am Stadtpark wurde Sigrid Oehmig nicht nur geboren, dort erwarb sie auch die Mittlere Reife.

In der Realschule Am Stadtpark wurde Sigrid Oehmig nicht nur geboren, dort erwarb sie auch die Mittlere Reife.

Im Land der Beatles

Wolfgang Duisberg, der schon damals mit Beeres befreundet war, schwärmte unter anderem von den gemeinsamen England-Reisen. Das Land der Beatles ist ihm aus dieser Zeit als beinahe schockierend bunt im Gedächtnis geblieben, während er sich an Deutschland im allgemeinen und Leverkusen im besonderen nur noch in schwarz-weiß erinnert.

Duisberg benutzte in seinem kleinen Vortrag bewusst auch die Sprache von damals, als es nun einmal noch Neger statt Farbiger oder Schwarzer hieß. Und ein Nick-Neger hatte nichts mit Unterwürfigkeit zu tun, sondern bezeichnete eine Sammeldose für Kinder in Afrika, auf der ein schwarzer Krauskopf artig nickte, wenn er eine Münze bekam.

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