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Gummersbach im AusnahmezustandVor 50 Jahren holte der VfL Gummersbach den Europapokal

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Gummersbach – Es war eine Stadt im Ausnahmezustand: „Hast Du eine Karte“, erzählt Dieter Lange, sei die Begrüßung gewesen, wenn sich in der Woche vor dem Finale um den Europapokal der Landesmeister Menschen in Gummersbach begegneten. Vor den Vorverkaufsstellen bildeten sich Menschentrauben, Telefonleitungen brachen zusammen bei dem Versuch, Karten telefonisch zu ordern. Die Handballer hatten das Halbfinale gegen Moskau gewonnen und standen am heutigen Freitag vor 50 Jahren im Endspiel in der Dortmunder Westfalenhalle gegen die übermächtige Mannschaft von Dukla Prag.

Vor 12.500 Zuschauern sah es lange nach einem Sieg des Favoriten aus, der in der 40. Minute noch mit 10:8 führte. Dann setzten sich die VfL-Handballer in einer dramatischen Schlussphase durch und gewannen mit 17:13 (6:7). Als sie in die Kreisstadt zurückkehrten, säumten 25 000 Menschen die Straßen, um ihre Helden zu feiern.

Helmut Steickmann war mit dem Fotoapparat wie schon zuvor in der Westfalenhalle mittendrin. Die Zeitungen druckten mehrseitige Sonderausgaben. „Ich sehe heute noch an den Fotos, dass es schnell gehen musste: Sie sind ganz gelb, weil ich keine Zeit hatte, sie auszufixieren“, erzählt der Fotoredakteur.

„Wir waren plötzlich überall bekannt“, berichtet Bernd Podak. Im Fernsehen wurde das Europapokalfinale live übertragen. Anschließend waren der Torhüter und sein Mannschaftskollege Hansi Schmidt ins Aktuelle Sportstudio eingeladen, wo Harry Valerien sie interviewte. „Das Silberne Lorbeerblatt, die höchste deutsche Auszeichnung für Sportler, das war schon was“, erinnert sich Podak. In Gummersbach überreichte der damalige Innenminister Paul Lücke der Mannschaft die Auszeichnung. Als Podak kurz danach in seine Heimatstadt Berlin fuhr und der Zöllner im Kofferraum die große weiße Sporttasche mit dem VfL-Gummersbach-Schriftzug sah, hatte er freie Fahrt durch die DDR – und die Schranke vor Berlin öffnete sich bereits, als er mit dem Auto darauf zufuhr.

„Die große Handballeuphorie hatte aber schon vorher begonnen“, erinnert sich Dieter Lange. Der VfL hatte in der ersten Runde um den Europapokal mit 39:15 gegen Göta Helsingborg gewonnen. „Das war für damalige Verhältnisse ein unglaubliches Ergebnis“, so Lange. Über den niederländische Vertreter Sittard und Zagreb erreichte der VfL, der mittlerweile zum zweiten Mal in Folge Deutscher Meister geworden war, das Halbfinale gegen Moskau. Nach Russland begleiteten 450 Fans ihren Verein. In Gummersbach erwarteten 5000 Fans das Team und träumten von Karten fürs Finale in Dortmund.

Gegen Prag war der VfL krasser Außenseiter. Die Gäste waren fast identisch mit der CSSR-Nationalmannschaft, die vorher in Schweden Weltmeister geworden war. „Es waren alles Staatsamateure“, erklärt der Torhüter. Die Mannschaften aus dem Ostblock hätten immer sehr statisch gespielt, erzählt Podak. Sie seien für die Abwehr berechenbar gewesen – und die war das Paradestück des VfL. „Damals hieß es, im Angriff ruht man sich für die Abwehr aus“, fügt Lange hinzu. „Wir waren eine Mannschaft, die ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl hatte“, nennt Podak einen weiteren Schlüssel zum Erfolg. Zweimal die Woche wurde trainiert, im Wettbewerb kam eine weitere Einheit hinzu. Aus Anlass des Jubiläums hat Mannschaftskapitän Klaus Brand die noch lebenden Spieler von damals, für heute in Gummersbach zusammengetrommelt.

Auch wenn er vor 50 Jahren die tschechische Torwartlegende Jiri Vicha in den Schatten stellte, etwas ärgert Bernd Podak auch noch nach Jahrzehnten: „Ich habe keinen der vier Siebenmeter von Jiri Kavan gehalten.“

Vor 50 Jahren in der Zeitung

. . war vor 50 Jahren Thema in der Zeitung: „In Dortmund wurde eine neue Ära des Hallenhandballs geboren. Zugleich hat der Deutsche Meister VfL Gummersbach mit seinem Europapokalsieg über Dukla Prag den absoluten Höhepunkt seiner Vereinsgeschichte erreicht. 12.000 Zuschauer, darunter rund 8000 aus dem Oberbergischen, sahen in der bis auf den letzten Platz gefüllten Dortmunder Westfalenhalle den Sieg des VfL. In der Westfalenhalle spielten sich unbeschreibliche Szenen ab, als die Schlußsirene ertönte. Der Anhang des Meisters stürmte das Spielfeld und schien es nicht wieder freigeben zu wollen. Blauweiße Fahnen wirbelten über den Köpfen der Menge, die Spieler wurden auf die Schultern gehoben, die Siegerehrung durch den Präsidenten der internationalen Handballsoldaten gefährdet. Aber dann kam der goldene Pokal doch zum Vorschein. Auf den Rängen wurde der Gummersbacher Triumphgesang angestimmt.“

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