Vor 110 Jahren in LindlarAls Opa dem Hauptmann von Köpenick half

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Stolz präsentiert sich Josef Höller in der Uniform des 1. Garde-Füsilier-Regiments, einer Elite-Einheit. Sein Enkel Walfried Höller aus Lindlar-Schmitzhöhe zeigt das Familienalbum, in dem Fotos seines Großvaters zu sehen sind.

Stolz präsentiert sich Josef Höller in der Uniform des 1. Garde-Füsilier-Regiments, einer Elite-Einheit. Sein Enkel Walfried Höller aus Lindlar-Schmitzhöhe zeigt das Familienalbum, in dem Fotos seines Großvaters zu sehen sind.

Köttingen – Der 16. Oktober 1906 – es war ein Tag, an dem Josef Höller aus Lindlar-Köttingen ein Stück Weltgeschichte schrieb. Der 21-Jährige musste damals, wie alle jungen Männer, seinen Militärdienst ableisten. Weil Höller mit rund 1,80 Meter „Gardemaß“ besaß, tat er das nicht irgendwo, sondern in Berlin, im kaiserlichen 1. Garde-Füsilier-Regiment.

Der Gefreite Josef Höller kam an dem Tag als Kommandeur mit einem Trupp Soldaten vom Schießplatz, als ihnen plötzlich ein Hauptmann des 1. Garde-Regiments gegenübertrat und die insgesamt zehn Soldaten seinem Kommando unterstellte. Was diese nicht wissen konnten: Der vermeintliche preußische Offizier war in Wirklichkeit ein arbeitsloser Schuhmacher und mehrfach vorbestrafter Einbrecher namens Friedrich Wilhelm Voigt, der die Hauptmanns-Uniform im Trödel erstanden hatte.

Die Uniform bei Trödler erstanden

Mit den Soldaten, die in preußischem Gehorsam gedrillt worden waren, ging es in die damals noch selbstständige Stadt Köpenick – heute ein Stadtteil von Berlin. Der Hauptmann ließ das Rathaus besetzen, verhaftete den Bürgermeister in seinem Büro, während die Soldaten darauf zu achten hatten, dass niemand ins Rathaus hinein- und hinauskam und auch niemand telefonieren konnte.

Vogt ließ sich die Stadtkasse mit rund 3500 Mark aushändigen – nach heutiger Währung rund 22 000  Euro – und machte sich aus dem Staub, während die Soldaten nicht ahnten, dass sie unfreiwillig bei einem tolldreisten Gaunerstück mitgeholfen hatten.

Die Köpenickiade schlug hohe Wellen, ganz Deutschland lachte, die ausländischen Zeitungen spotteten über preußischen Untertanengeist und übersteigerten Militarismus. Kaiser Wilhelm II. nannte den falschen Hauptmann einen „genialen Kerl“.

Stolz präsentiert sich Josef Höller in der Uniform des 1. Garde-Füsilier-Regiments, einer Elite-Einheit.

Stolz präsentiert sich Josef Höller in der Uniform des 1. Garde-Füsilier-Regiments, einer Elite-Einheit.

Voigt wurde zehn Tage später verhaftet und „wegen unbefugten Tragens einer Uniform, Vergehens gegen die öffentliche Ordnung, Freiheitsberaubung, Betruges und schwerer Urkundenfälschung“ zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, im August 1908 jedoch begnadigt. Dann tingelte er als Berühmtheit jahrelang durch Zirkuszelte, verteilte Autogramme und starb 1922, völlig verarmt, in Luxemburg.

Die „Köpenickiade“ sorgte auch im fernen Bergischen Land für Schlagzeilen. So schrieb die Zeitschrift „Bergischer Türmer“: „Der Fall von Köpenick gewinnt für unsere Gegend umso mehr an Interesse, als der Gefreite der Garde-Füsiliere, welcher die Mannschaften führte und somit in der Affäre eine Hauptrolle spielte, ein Sohn unserer Berge, nämlich Josef Höller aus Köttingen in der Gemeinde Hohkeppel ist.“

Josef Höller betreute die Sebastianuskapelle in Schmitzhöhe

Walfried Höller, der in Schmitzhöhe lebt, hat sich eingehend mit dem Leben seines Großvaters befasst, auch wenn er ihn selbst nie kennen lernen konnte. „Josef Höller kämpfte im Ersten Weltkrieg in der Hölle von Verdun, erlitt eine Gasvergiftung und kehrte als Kriegsinvalide heim“, erzählt er. Den Spitznamen „Der Köpenick“ sollte er zeitlebens behalten.

Später betreute Josef Höller als Küster und Organist die Sebastianuskapelle in Schmitzhöhe. Als kirchlich engagierter Mann habe sein Großvater Ärger mit den Nazis bekommen, sagt Walfried Höller. „Zweimal wurde er von der Gestapo ins EL-DE-Haus nach Köln vorgeladen, aber beide Male hat ihn Dr. Wilhelm Meinerzhagen, der Chefarzt des Lindlarer Krankenhauses, ,nicht verhandlungsfähig’ geschrieben.“ Am Vorabend einer dritten Ladung, am 29. April 1938, starb Josef Höller an einem Blutsturz als Folge der Kriegsverletzung.

Walfried Höller fuhr im Oktober 2015 selbst nach Köpenick und übergab dem dortigen Rathaus einige Dokumente – Fotos seines Großvaters und mehrere Artikel aus dem „Bergischen Türmer“.

Am Sonntag, 16. Oktober, wird dort die überarbeitete Ausstellung zum Hauptmann von Köpenick eröffnet – und vermutlich erfährt der Besucher dort auch etwas über den Gefreiten Josef Höller aus Köttingen.

Ein Krimineller macht Karriere in den Medien

Ob im Kabarett, als Buch, Theaterstück, Hörspiel oder im Film – es gibt unzählige Fassungen der Geschichte des Hauptmanns von Köpenick. Die Sympathien liegen dabei meist bei Wilhelm Voigt, der als Opfer von Behördenwillkür dargestellt wird.

Ein Bild, dass geprägt wurde durch Carl Zuckmayers Theaterstück „Der Hauptmann von Köpenick“ (Uraufführung 1931) und die Verfilmung des Stoffs durch Regisseur Helmut Käutner mit dem Schauspieler Heinz Rühmann in der Titelrolle (1956).

Doch mit der historischen Realität haben Bühnenstück und Film nur sehr bedingt zu tun. Voigt war mehrfach wegen Diebstahls und Urkundenfälschung verurteilt worden. Von 1890/91 bis 1906 verbüßte er nach einem Raub eine 15-jährige Zuchthausstrafe.

Im Käutner-Film sieht der falsche Hauptmann im Überfall auf das Rathaus die einzige Möglichkeit, einen Pass zu erlangen, eben dies hatte Voigt vor Gericht behauptet.

Tatsächlich wurden Pässe im Landratsamt des Kreises Teltow und nicht im Köpenicker Rathaus ausgestellt. Voigt hatte seine Tat sorgfältig geplant, dies wäre ihm kaum entgangen. In Berlin läuft seit 2015 der Hauptmann sogar als Musical. (cor)

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