BearbeitungsfristenBehinderte müssen monatelang auf Ausweis warten

Lesezeit 4 Minuten
Peter Hillebrand (r.) setzt sich mit einer Petition für kürzere Bearbeitungsfristen ein. Anna-Lena Steinkrüger und Holger Thien warten schon seit Monaten auf ihren Behindertenausweis.

Peter Hillebrand (r.) setzt sich mit einer Petition für kürzere Bearbeitungsfristen ein. Anna-Lena Steinkrüger und Holger Thien warten schon seit Monaten auf ihren Behindertenausweis.

Rhein-Berg – Langes Warten, tiefer Frust: Wer im Kreisgebiet eine Behinderung hat, muss viel Geduld aufbringen. Bis zur Ausstellung eines Behindertenausweises dauert es manchmal ein Jahr und länger. „Das System lässt Menschen allein, die es ohnehin nicht einfach haben“, kritisiert Peter Hillebrand, der seit mehr als 50 Jahren ehrenamtlich in der Behindertenarbeit tätig ist. Mit einer Petition setzt er sich beim NRW-Landtag dafür ein, dass die Fristen verkürzt werden.

„Das kann doch nicht so lange dauern“, sagt Holger Thien aus Bergisch Gladbach. Vor mehr als einem Jahr hat er bei der zuständigen Stelle beim Rheinisch-Bergischen Kreis eine Erhöhung des Grades seiner Behinderung von 80 auf 100 Prozent beantragt: „Es dauerte allein 16 Wochen, bis endlich der Amtsarzt kam.“ Dieses Warten – „das ist ein Spiel mit dem Leben der Menschen“. Er spielt darauf an, dass sich die Sache für die Verwaltung von allein erledige, wenn Antragsteller in der Wartezeit sterben.

Behindertenparkplätze sind tabu

Der 74-Jährige hat eine fortschreitende Nervenerkrankung, durch die Lähmungserscheinungen in Armen und Beinen auftreten. Außerhalb seiner Wohnung ist Thien nur mit dem Auto mobil, wenn seine Frau ihn fährt: zu Ärzten, aber vor allem zu seinen ehrenamtlichen Terminen als Vorstandsmitglied des Gladbacher Inklusionsbeirates sowie des Clubs Behinderter und ihrer Freunde Rheinisch-Bergischer Kreis.

Und genau hier beginnt sein Problem. Auf einem Behindertenparkplatz in der Nähe der Eingänge darf Thiens Ehefrau das Fahrzeug nicht abstellen. Selbst die Behindertenparkplätze der Supermärkte sind tabu, sonst droht ein Knöllchen. Es sei denn, er hätte einen von ihm beantragten sogenannten aG-Vermerk, der für „außergewöhnlich gehbehindert“ steht. Mit dem Schwerbehindertenausweis sind noch andere Vergünstigungen verbunden: Anspruch auf zusätzliche Urlaubstage, Vergünstigungen bei der Steuererklärung, bei Veranstaltungen oder im öffentlichen Nahverkehr.

Rechtsanspruch auf zügige Beratung

Letzteres würde Anna-Lena Steinkrüger gern in Anspruch nehmen. Die 18 Jahre alte Schülerin ist aufgrund einer angeborenen Augenerkrankung mit einem Grad von 30 Prozent behindert. Seit einem Jahr wartet sie auf ihren Bescheid für die Höherstufung auf 50 Prozent. „Das ist ein einziger Kampf“, sagt die junge Frau. Peter Hillebrand kritisiert: „Die Wartezeiten gehen auf Kosten der Schwächsten der Gesellschaft.“

Die Bürger hätten einen Rechtsanspruch auf zügige Beratung. Dabei bezieht sich Hillebrand auf das Sozialgesetzbuch IX. Demnach müssten Entscheidungen innerhalb von drei Wochen nach Eingang des Gutachtens getroffen werden. Vom Land fordert er, mehr Personal zu genehmigen (siehe „Belastungsausgleich für den Kreis“). Eine Antwort hat er noch nicht. Dabei ist es schon mehr als drei Jahre her, dass er seine Petition eingereicht hat.

Stau von 400 unbearbeiteten Fällen

Kreissprecherin Hannah Weisgerber weist auf die Vielzahl der Anträge hin, etwa 100 pro Woche. Inzwischen sei ein Stau von 400 noch nicht bearbeiteten Fällen aufgelaufen: 80 Erstanträge und 320 Änderungsanträge. Weisgerber bittet um Nachsicht, dass die Anträge in den vergangenen beiden Jahren nicht zeitnah hätten erledigt werden können. Der Grund: „Personalmangel aufgrund von Langzeiterkrankungen.“ Die Bearbeitungszeit liege im Schnitt bei vier Monaten für die Erstanträge und 3,6 Monaten für die Änderungsanträge.

Das sind Durchschnittswerte. Im Einzelfall könnten Bearbeitungszeiten von mehr als neun Monaten entstehen. Der Kreis habe bereits organisatorische Maßnahmen ergriffen und überplanmäßige Stellen auf eigene Kosten für die Abarbeitung der Rückstände eingesetzt. Man hoffe, mittelfristig eine Verkürzung der Bearbeitungszeiten zu erreichen. Weisgerber verweist darauf, dass jeder Fall sorgfältig individuell geprüft werden müsse.

Holger Thien möchte nicht länger warten. Stattdessen will er jetzt einen Anwalt einschalten und klagen. Er wolle sich nicht „zum Gefangenen in seiner eigenen Wohnung“ machen lassen: „Ich zähle mich noch nicht zum alten Eisen.“

Belastungsausgleich für den Kreis

Seit im Jahr 2008 die Auflösung der Versorgungsämter beschlossen wurde, müssen die Kreise und kreisfreien Städte die Aufgaben nach dem Schwerbehindertenrecht übernehmen. Dafür erhalten sie einenBelastungsausgleich. Er umfasst Geld- und Sachleistungen sowie eine pauschale Erstattung des Personalaufwands. Sie richtet sich nach der Anzahl der Anträge auf Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises. Sollten von den Kreisen weitere Vereinbarungen getroffen werden, wie im Fall des Rheinisch-Bergischen Kreises, der zusätzliches Personal einsetzt, um den Stau von Anträge abzuarbeiten, müssen die Kommunen dies selbst finanzieren.

Die Anzahl der eingehenden Anträge steige von Jahr zu Jahr, hat Peter Hillebrand, ehemaliger Vorsitzender des Beirats für die Belange von Menschen mit Behinderung, festgestellt. Dies führt er auf die älter werdende Gesellschaft zurück. In seiner Eingabe an den Petitionsausschuss kritisiert er, dass die Wartezeiten von drei Monaten bis über ein Jahr lang dauerten. Auch für die Mitarbeiter der Kreise bedeute die Flut von Anträgen Stress, der zu Krankheiten führen werde. Vom Land fordert er, dass es mehr Personal finanziert. Daher steht er in Kontakt mit den beiden Landtagsabgeordneten Rainer Deppe (CDU) und Helene Hammelrath (SPD). (ub)

KStA abonnieren