Neue App „Whaleguide“Ehepaar beobachtet Wale und Delfine

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Bergisch Gladbach – Meistens geschieht es unerwartet. Menschen reißen kollektiv die Augen auf, strecken Arme aus und richten Zeigefinger auf die Wasseroberfläche, wo gerade eine Rückenflosse wieder in den Tiefen des Meeres verschwindet. Um die Faszination von Meeressäugern zu begreifen, reicht es, die Menschen zu beobachten, die sie entdecken. „Die erste Begegnung mit Walen oder Delfinen in freier Wildbahn werden Sie nie vergessen“, sagt Ralf Kiefner. Er und seine Frau Andrea Ramalho filmen und fotografieren seit mehr als 20 Jahren die Giganten der Meere. Nach mehreren Filmen und einem Buch haben die Bergisch Gladbacher ein neues Projekt vorgestellt: „Whaleguide“, eine App für Handys oder Tablets, die durch die Welt der Wale führt.

Wer nimmt schon einen mehrere Zentimeter dicken Papierschmöker mit in den Urlaub, um darin im Falle des Falles nach Schwanzflossenformen oder der Tauchtiefe eines Finnwals zu suchen? Dabei wäre solches Wissen wichtig, finden Kiefner und Ramalho. „Wir haben die App gemacht, um zum Schutz der Tiere beizutragen“, sagt Kiefner. „Wir sind überzeugt, dass die Menschen eher bereit sind etwas zu schützen, wenn sie mehr darüber wissen.“

Mit der App können sie nicht nur Fakten nachlesen, sondern auch die Art finden, die sie selbst gesehen haben. Was sie vermutlich nie selbst sehen werden, teilen Kiefner und Ramalho mit ihnen – durch ihre grandiosen Fotos und Videos aus 20 Jahren über und unter Wasser. Um sich von ihnen bezaubern zu lassen, braucht es kein Boot, das kann man auch in der U-Bahn.

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„Whaleguide“ beschreibt 67 Wal- und Delfin-Arten. Für jede Art gibt es eine Übersicht, ausführliche Beschreibung, Zusatzinformationen zu Verhalten, Nahrung, Reproduktion, ein Glossar sowie mögliche Hot Spots und Verbreitungsgebiete, inklusive GPS Anbindung.

Ein „Finder“ ermöglicht die schnelle Suche nach Arten aufgrund von Beobachtungsmerkmalen und Standort. Die Vollversion enthält rund 500 Fotos und 50 Videos in hoher Qualität. Preis für die Grundversion mit 200 Fotos (Handy/Tablet, iOS und Android): 7,99 Euro. (kgr)

Zweieinhalb Jahre haben die App-Macher recherchiert. Neben Übersichten, Beschreibungen und Verhaltensweisen geben sie auch Geschichten wieder, einfach weil sie schön sind. Wie die von Pelorus Jack, dem Rundkopfdelfin, der 24 Jahre lang in neuseeländischen Gewässern Dampfer entlang der Riffe begleitete. Als ein betrunkener Passagier der SS Penguin 1904 auf ihn schoss, wurde dieser an Bord beinahe gelyncht. Der Sea Fisheries Act stellte den Delfin danach unter Schutz.

„Wir wollten die App so machen, dass Wissenschaftler damit leben können, aber jeder normale Mensch ohne Vorkenntnisse sie verstehen kann“, sagt Kiefner. Wikipedia gehörte nicht zu seinen Quellen, dafür stapelweise wissenschaftliche Literatur und Aufsätze, der älteste von 1693 – in lateinischer Sprache. Auf der ganzen Welt haben Kiefner und Ramalho Menschen ausfindig gemacht und sie um ihr Wissen und ihre Fotos gebeten. „Man kann nicht jede Art selbst gesehen haben“, sagt Kiefner, und die App beschreibt immerhin 67 verschiedene. „Manchmal habe ich Wochen gebraucht, nur um einen bestimmten Wissenschaftler zu finden“, erzählt die Biologin Andrea Ramalho, „aber auch das hat Spaß gemacht.“

Auch sie selbst hätten bei der Recherche unglaublich viel dazugelernt. Doch keine Theorie ersetzt die Erfahrung, den Meeressäugern als Taucher auf Augenhöhe zu begegnen. „Was Sie nach jeder neuen Begegnung mit ihnen wissen, ist, dass Sie eigentlich nichts von ihnen wissen“, sagt Kiefner.

Ralf Kiefner taucht seit mehr als 40 Jahren und arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Autor, Tier- und Unterwasser-Fotograf, Unterwasser-Kameramann und Produzent für Fernseh-Produktionen. Seine Arbeiten werden weltweit in Magazinen veröffentlicht und bei TV-Sendern ausgestrahlt. Der Film „Beyond Fear“ über den weißen Hai wurde von National Geographic weltweit gesendet.

Andrea Ramalho wurde in Rio de Janeiro geboren. Die Biologin taucht seit mehr als 18 Jahren und arbeitet mehr als zehn Jahre mit Ralf Kiefner zusammen. Sie war an diversen Dokumentationen wie etwa „Das große Fressen“ oder „Beyond Fear“ als Unterwasser-Kamerafrau mit spektakulären Bildern von Haien, Walen und Delfinen maßgeblich beteiligt. (kgr)

Zusammentreffen könnten anhand bekannter Verhaltensmuster zwar geplant werden, aber die Entscheidung liege stets beim Tier. „Sie können im Wasser alles besser als wir. Wenn sie nicht wollen, sind sie in zwei Sekunden weit weg.“ Man brauche Zeit, Geduld und Respekt. Irgendwann komme das Glück dazu. Zum Beispiel für die Filmaufnahmen mit dem Wal-Kalb. „Die Mutter lag zehn Meter unter uns und sagte wohl zu ihrem Baby: Spiel mal mit dem Typen“, erzählt Kiefner. Das Kalb „spielte“. Stundenlang. „Es hat uns gut durchs Wasser gehagelt“, sagt der Fotograf, denn seiner paar Tonnen Lebendgewicht war sich das Tier wohl kaum bewusst. „Aber es war ein unglaublicher Vertrauensbeweis.“ Ramalho ruft ein weiteres Video auf. Schäumende Gischt, eine Gruppe Buckelwale auf engstem Raum, Kolosse in Bewegung. „Wenn Sie da mittendrin sind“, sagt Kiefner und sucht nach Worten. „Da schmeißen Sie sich weg“, sagt er schließlich. „Und wenn Sie dann wissen, dass die Art immer noch gejagt und abgeschlachtet wird...“

Organisierte Whale-Watching-Touren findet er gut, „solange sie sich an die Guidelines halten“. Dazu gehöre etwa, dass das Boot genügend Abstand zum Tier halte und dieses sich jederzeit zurückziehen könne. Das Wichtige sei aber das Erlebnis, die Tiere selbst zu sehen. „Schutz durch Information. Das ist das, woran wir glauben“, sagt Kiefner. Delfine und Wale in Gefangenschaft zu halten lehnt er strikt ab. „Sie kommunizieren und orientieren sich akustisch“, erklärt er. „Glaswände geben den Schall zurück. Allein das muss sie raderdoll machen. Es gibt kein einziges Argument, das dies rechtfertigen würde.“

Das nächste Update der App wird Tipps enthalten, worauf man bei der Buchung einer Whale-Watching-Tour achten sollte, welche Ausrüstung sinnvoll ist und vor allem, wann welche Arten wo zu sehen sind. „Man muss nicht um die halbe Welt reisen“, sagt Kiefner. Im Mittelmeer gebe es Finn- und Pottwale, und selbst bei Sylt bestehe die Chance, Schweinswalen zu begegnen – auch wenn sie eher gering sei. Aber Faszination entsteht auch dadurch, dass sie eben nicht an jeder Ecke zu kaufen ist. Bei aller notwendigen Information braucht es auch ein wenig Geheimnis, ein wenig Mythos, um den Zauber zu bewahren.

Übrigens hatte der betrunkene Passagier Pelorus Jack im Jahr 1904 nur angeschossen. Das Tier kam wieder und begleitete weitere Jahre die Dampfer als Glücksbringer übers Meer. Nur an der SS Penguin wurde er nie mehr gesichtet. Sie sank nach einer Kollision mit einem Riff.

Weitere Informationen und Möglichkeiten zum Download der App finden Sie unter www.ocean-pix.de/whaleguide

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