Online-PetitionNachbarn kämpfen für Familie Hosseini – Familie droht Abschiebung

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Ekhlas Hosseini und seine Familie sind sehr dankbar für die Unterstützung von Nachbarn und Freunden.

Ekhlas Hosseini und seine Familie sind sehr dankbar für die Unterstützung von Nachbarn und Freunden.

Bergisch Gladbach – Auf den Tisch passt so langsam nichts mehr, weil Sara Hosseini noch weitere Teller mit Bosragh und Kolocha hereinträgt, Festtagskekse, gebacken für die deutschen Gäste. Dazu Obst, Tee, Wasser und Apfelsaft. Ihr Mann Ekhlas Hosseini sitzt still und sichtlich bewegt auf dem Sofa.

Den Brief vom Amt dreht er immer wieder in den Händen: Die Familie mit drei Kindern soll nach Afghanistan abgeschoben werden. Gegen die Entscheidung wehren sich Nachbarn, ehrenamtliche Helfer, Lehrer und Freunde – mit Zuneigung, Mitgefühl, deutlichen Worten und einer Online-Petition.

Jeden Tag ums Leben gebangt

Anfang November bekamen die Hosseinis die Nachricht, dass ihr Asylantrag abgelehnt wurde und die Familie innerhalb von 30 Tagen ausreisen soll. Ein Schock: „In Afghanistan haben wir jede Minute um unser Leben gebangt“, sagt Ekhlas Hosseini, hier habe die Familie gehofft, zur Ruhe zu kommen und etwas aus ihrem Leben machen zu können. Er seufzt, bricht ab. „Die Rückkehr bedeutet für uns Lebensgefahr.“ Die Taliban würden ihn und seine Familie überall finden. Da ist sich der 48-Jährige sicher. Dieses Land könne er niemals seinen Kindern zumuten: den beiden Töchtern Mahjabin (14) und Farzana (9) sowie Sohn Mahdi (11). Zumindest ist die Abschiebung aufgeschoben, weil die Anwältin Widerspruch eingelegt hat. Das Geld dafür haben Nachbarn gesammelt.

Die Familie Hosseini stammt aus einem Dorf in der Nähe von Baghran in der Provinz Helmand im Süden von Afghanistan und gehört der schiitischen Minderheit der Hazara an, die seit vielen Jahren unter den Attacken der sunnitischen radikal-islamistischen Taliban leidet. Das erzählt Omar Wassa, ein Landsmann und Freund, der an diesem Nachmittag als Übersetzer hilft. „Ich habe sieben Körper ohne Kopf gesehen, die auf dem Boden lagen“, erzählt Sara Hosseini und fährt sich dabei mit der Hand über die Kehle.

Wenn es um sie geht, um ihre Gefühle, ihre Erlebnisse, ringt die 45-Jährige um jedes Wort: Ihr Blick ist traurig, sie schließt immer wieder die Augen und sagt Sätze wie: „Sie werden uns dort definitiv töten.“ Oft bricht sie ab. Sie habe erlebt, wie ihr Vater von den Taliban erschossen wurde. Es ist eine Last, die sie mit sich trägt. Es ist fast so, als würde man es ihrer Haltung anmerken. Sie sitzt gebeugt, mit dem Blick nach unten. Ihr Kopf schmerze immerzu, sie könne nachts nicht schlafen. Sie leide unter erheblichen psychischen Problemen, glauben Freunde und suchen nach einem Platz für eine Trauma-Therapie. Nach dem Tod des Vaters und nachdem Ekhlas und Sara Hosseini selbst von bewaffneten Taliban bedroht wurden, traf die Familie im September 2015 die Entscheidung, verkaufte ihr bisschen Vieh und flüchtete mitten in der Nacht mit ein paar Taschen. Seit Dezember 2015 lebt Familie Hosseini in Bergisch Gladbach, erst in einem Flüchtlingsheim in Frankenforst, jetzt in einer Wohnung im Stadtteil Hand.

„Wir sind alle wie vor den Kopf geschlagen“, sagt Nicole Pahl, deren Sohn Karim zusammen mit Mahdi die Realschule besucht. „Alle drei Kinder sind in ihren Schulklassen bestens integriert und haben schnell die deutsche Sprache gelernt.“ Der Vater, in seinem Heimatland hat er als Fliesenleger gearbeitet, nimmt an Qualifizierungsmaßnahmen der Agentur für Arbeit teil. Damit erfülle die Familie genau das, was man immer von den hier lebenden Ausländern erwartet, betont Nicole Pahl: „einen wirklichen Willen zur Integration“.

Aus schulischer Sicht habe Mahjabin, die ein Gymnasium in Bergisch Gladbach besucht, die Perspektive auf einen höheren Abschluss, sagt ihr Lehrer Tobias Bänsch. Innerhalb von nur einem Jahr habe die 14-Jährige sogar schon das B 1 Niveau des gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens erreicht. In Afghanistan hat Bildung für Frauen keine Tradition. In den meisten Gebieten gibt es bis heute keine weiterführenden Schulen für Mädchen.

Gegen die drohende Abschiebung hat Bänsch als Privatmann die Online-Petition „Wir fordern das Bleiberecht für Mahjabin und ihre Familie!“ gestartet. Inzwischen haben mehr als 64 100 Menschen unterschrieben. Bänsch hofft, dass die Petition der Klage gegen die Abschiebung ein größeres Gewicht verleiht. Wie es weitergeht, wissen die Hosseinis nicht. Die Wartezeit werden sie in Angst verbringen. Aber Mahjabin hat ein Ziel: „Ich möchte Ärztin werden“, sagt sie, als habe ihre Zukunft schon begonnen.

www.change.org/mahjabin

Die Rechtslage

Die Abschiebungen nach Afghanistan sind umstritten, weil sich der Konflikt zwischen Regierung und radikal-islamistischer Taliban verschärft und es landesweit Gefechte und Anschläge gibt.

Seit Ende 2016 sind deutschlandweit bereits 107 abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan zurückgeflogen worden. Als einziges Bundesland hat Schleswig Holstein einen mehrmonatigen Abschiebestopp für afghanische Flüchtlinge beschlossen.

Die Ablehnung der Asylanträge der Familie Hosseini beruht nach Meinung von Omar Wassa, einem Freund, auf Übersetzungsfehlern und falschen Fakten. Bei der Anhörung sei ein persisch sprechender Übersetzer dabei gewesen, das Ehepaar Hosseini spreche jedoch Farsi. Das Bundesamt für Migration geht in seinem Bescheid davon aus, dass die Familie aus der als relativ sicher eingestuften Stadt Baghlan im Nordosten Afghanistans geflüchtet sei.

Tatsächlich stammen die Hosseinis aber aus dem Dorf Nawmesh, gehörend zu der Stadt Baghran in Südafghanistan. Diese Gebiete seien hauptsächlich von Paschtunen bevölkert, zu denen mehrheitlich die sunnitischen Taliban gehörten, erklärt Wassa. Die Hazaras seien Schiiten, die eine liberale Form des Islam praktizierten.

Literarisch ist die Diskriminierung der Hazara in dem Bestseller-Roman „Drachenläufer“ von Khaled Husseini thematisiert worden. (ub)

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