Das Ende einer Institution133 Jahre alter Sülztaler Hof hat geschlossen

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Lydia und Josef Selbach sind die letzten in der Ahnengalerie der Familie, die Immekeppel seit vier Generationen kulinarisch prägte. 1993 entstanden diese Porträts in Öl, die im Gastraum hängen.

Lydia und Josef Selbach sind die letzten in der Ahnengalerie der Familie, die Immekeppel seit vier Generationen kulinarisch prägte. 1993 entstanden diese Porträts in Öl, die im Gastraum hängen.

Overath – Im Gastraum des Sülztaler Hofs hat sich kaum etwas verändert. Die gleiche üppige Dekoration, die schweren Kristallkaraffen auf den Simsen, die Tische eingedeckt. In der Küche baumeln blitzblank geputzt die Kupfertöpfe, Schneebesen und Pfannenwender. Pakete mit frisch gestärkter Wäsche, als ob für den Abend eine große Gesellschaft erwartet würde. Doch alles ist anders.

„Wir haben noch gar nicht richtig realisiert, dass es wirklich vorbei ist“, sagt Lydia Selbach. Am zweiten Weihnachtstag haben sie und ihr Mann Restaurant und Hotel geschlossen. „Wir mussten das Hamsterrad anhalten“, sagt der 70-jährige Küchenchef. „Ich habe diesen Powerjob über 50 Jahre lang gemacht. Ich will nicht mehr kochen.“ Sohn Bernd sollte in seine Fußstapfen treten, doch irgendwann kristallisierte sich heraus: „Wir haben niemanden, der das Restaurant übernehmen kann.“

Liebesbriefe von Stammgästen

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. „In den letzten Tagen haben uns die Gäste überschwemmt“, berichtet Lydia Selbach gerührt. Josef Selbach zeigt „Liebesbriefe“ von Stammgästen und schildert, wie emotional es zugegangen ist und wie dankbar sie dafür sind. „Kein Wunder“, meint er. „Viele Gäste sind seit Generationen zu uns gekommen. Sie konnten es gar nicht fassen und haben immer wieder gesagt: Das kann doch nicht wahr sein.“ Ist es aber, und das hat am Ende eine Reihe von Gründen, die nicht nur persönlich sind.

„Wir waren die Adresse für den besonderen Anlass“, erklärt Lydia Selbach. „Einfach so gut essen gehen, weil man Lust drauf hat, das ist hier eher nicht üblich.“ Auch die Tradition, sich zum runden Geburtstag oder zum Hochzeitstag etwas zu gönnen, schwinde mit den Alten. Den Jungen sei seine klassische Küche mit ihrem hohen Produktanspruch zu hochpreisig, vermutet der Koch.

Kabeljau oder Reh, Rinderfilet oder Hummer, Pfifferlinge oder schlichte Königsberger Klopse: „Das Beste hat halt schon beim Einkauf seinen Preis“, hält der Profi dagegen. Jahrelanges Baustellenchaos vor der Tür, als schikanös empfundene Brandschutzauflagen des Overather Bauamts und immer mehr Bürokratie haben dem Gastronomenpaar den Rest gegeben. „Ambitionierte individualistische Küche wird immer seltener“, fürchtet Josef Selbach. „Der Aufwand ist viel zu teuer. Sterneküche geht nur mit einem Finanzier im Hintergrund.“

Entscheidung gegen Sterne-Ambitionen

Nicht zuletzt deshalb haben sich die Selbachs schon Mitte der 90er-Jahre gegen Sterne-Ambitionen entschieden. „Als wir 1979 den Betrieb von meinen Eltern übernommen haben, kam kurz darauf Klaus Besser, der als herausragende Stimme der deutschen Gastrokritik galt“, erinnert sich Josef Selbach. „Er schrieb einen begeisterten Artikel, und danach ging die Post ab.“ Die Inspektoren von Michelin und Gault Millau, vom Feinschmecker und anderen wurden auf den Landgasthof aufmerksam, Sterne zum Greifen nah.

Der Küchenchef entschied sich dagegen: „Ich wollte nicht dem Trend nachlaufen.“ So hat er die klare, klassische, regionale Linie zur Perfektion gebracht. In Regionen wie Schwarzwald, Pfalz oder Elsass funktionieren solche Landgasthäuser bestens.

Wie es weitergeht, wissen die Selbachs noch gar nicht so richtig. Im Moment wohnen auch im Hotel keine Gäste. „Vielleicht führen wir es als Hotel garni weiter“, kann sich Lydia Selbach vorstellen. Ein Wein- und Antiquitätenhandel wäre für ihren Mann denkbar. Verkaufen ist keine Option, verpachten auch nicht. „Wir müssen jetzt erst einmal runterkommen“, sagt die Hausherrin.

Familie Selbach im Sülztaler Hof

In der vierten Generation führen Josef und Lydia Selbach den 133 Jahre alten Landgasthof Sülztaler Hof in Overath-Immekeppel. Der Vater ist Bäckermeister, Josef Selbach lernt Koch im Ein-Sterne-Restaurant „Zum Walfisch“ in Köln. 1971 heiratet Josef Selbach das kölsche Mädchen Lydia; beide übernehmen den Betrieb 1979 von den Eltern. Am Anfang gibt es Service quasi rund um die Uhr, vom Mittagessen über Kaffee und Kuchen bis zum Abend.

Betrunkenen Kritiker rausgeworfen

Später kommt das Hotel dazu, um das sich Lydia Selbach kümmert, ebenso wie um den Service im Restaurant. Legendär ist ihre „Arbeitskleidung“: Die Chefin trägt stets edle Dirndl – eine Vorliebe, die sie aus ihren Lieblingshotel Bareiss in Baiersbronn mitgebracht hat. Josef kocht, später zusammen mit Sohn Bernd.

Ab 1983 sind Restaurant und Hotel regelmäßig in der Fachpresse präsent, außer im Gault Millau – den Kritiker hat Selbach irgendwann einmal rausgeworfen, „weil er betrunken war“. Mehr als 30 Köche hat Josef Selbach ausgebildet, darunter Jörg Spauke, der heute Küchenchef im „Hasen“ in Köln ist, und Dominik Eck, der im Grandhotel Schloss Bensberg kocht.

Rhein-Bergs Gastronomie-Szene

Lange Jahre war Rhein-Berg mit sieben Sternen gastronomische Hochburg im Rheinland. Dieter Müller trug ab 1997 in Schloss Lerbach drei Michelin-Sterne, Joachim Wissler im Schloss Bensberg seit 2006 ebenfalls.Die Brüder Wilbrand in der Post in Odenthal haben einen Stern.

2009 hörte Dieter Müller auf, sein Nachfolger Nils Henkel verlor einen Stern, und Ende 2014 schloss die Althoff-Gruppe Hotel Lerbach ganz. Damit war auch die Brasserie Coq au vin (Zweitlokal von Lerbach) passé.

Fast gleichzeitig schloss das angesehene Fachwerkhaus der Familie Richertzhagen in Bensberg, und Guido Fritz musste letztes Jahr sein ambitioniertes Landgasthaus Zur guten Quelle in Kürten aufgeben.

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