Drogentherapie in OverathJobcenter kürzt Unterstützung für Drogentherapie-Patienten drastisch

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Overath – „Ich bin der Jüngste, und das schwarze Schaf in der Familie“, sagt Sergal A. (32) über sich. Seit eineinhalb Monaten lebt der sportlich-stämmige Kölner als Patient in der Fachklinik Haus Aggerblick an der Marialindener Straße. „Seit dem 26. Oktober bin ich hier, aus der Haft entlassen, und mache jetzt eine Therapie nach Paragraf 35. Das ist Therapie statt Knast. Ich mache es aber nicht nur für den 35er, sondern auch, um clean zu bleiben und wieder bei meiner Familie gut dazustehen.“ In Haus Aggerblick, einem früheren Ferienheim an einer Hangstraße in Richtung Marialinden, werden seit 1996 vormals Drogenabhängige betreut. 26 Wochen dauert so eine Reha-Therapie, in der die oft direkt aus dem Gefängnis kommenden Patienten medizinisch und sozialarbeiterisch an die Hand genommen werden, um sie in ein bürgerliches und drogenfreies Leben zurückzuführen.

Wer diese 26 Therapie-Wochen geschafft hat, für den kann sich eine weitere zehnwöchige „Adaptionsphase“ anschließen. Dann zieht der bis dahin rund um die Uhr betreute und versorgte Patient hangabwärts eine Straße tiefer in ein anderes Haus: In einer Zehn-Mann-WG landet er auf seinen eigenen Füßen, lernt, sich selbst zu versorgen und macht ein Praktikum in einem nahen Betrieb.

Bedrohte Männer-WG

Laut Adaptions-Chefin Sozialarbeiterin Simone Stute von der Drogenhilfe Köln, hat sich diese Männer-WG am Ende der Straße An der Ringmauer zu einem bemerkenswerten Erfolgsmodell entwickelt. Jetzt sei dieses Modell bedroht, weil das Jobcenter Rhein-Berg den Patienten neuerdings den Geldhahn zudrehe. Nach acht Jahren anderer Verwaltungspraxis habe sich die Behörde plötzlich für unzuständig erklärt, verweigere die Zahlung von Lebensunterhalt und verweise auf die Sozialämter der Kommunen. Damit aber reduzierten sich die verfügbaren Barmittel der Betroffenen von 399 Euro monatlich auf 107,73 Euro; überdies fallen Jobcenter-Zuschüsse an die Arbeitgeber weg.

In das grüngestrichene Adaptions-Haus möchte Sergal A. auch noch, wenn er das halbe Jahr in der Fachklinik geschafft hat. Er will der Drogenszene dauerhaft Adieu sagen, doch leicht wird das nicht. Sergal ist hafterfahren: Zweieinhalb Jahre hat er gesessen, nachdem man ihn 2006 mit mehr als zehn Kilo Marihuana erwischt hatte, 2015 saß er dreieinhalb Monate in U-Haft, weil er Kokain und Gras dabei hatte.

Im Gespräch mit dieser Zeitung macht Sergal einen wachen, klaren, offenen Eindruck. Andere der insgesamt 24 Patienten von Haus Aggerblick sind dagegen ganz unten, wenn sie in Overath ankommen. Martin Rinder, der ärztliche Leiter: „Viele haben keine Wohnung, keine Arbeit und keine funktionierenden Familienbezüge.“ Ein hoher Prozentsatz leide zudem an Depressionen, Persönlichkeitsstörungen oder Schizophrenie. Rinder, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie: „Ziel der Reha ist die Teilhabe an der Gesellschaft und der Arbeit. Wir betreuen Patienten, bei denen das alles verloren ist.“

Nach dem, was Sergal A. von sich preisgibt, gehört er nicht zu den Menschen aus schwierigsten Lebensverhältnissen. Seine Verwandten hätten alle Karriere gemacht, sagt der junge Mann mit dem türkischen Migrationshintergrund freimütig. Ein Computer-Ingenieur sei darunter, ein Chirurg, ein Pilot, eine Anwältin und und und… Der Großteil seiner Familie lebe nahe Kopenhagen. Sergal nicht: „Ich bin Kölner, in Köln geboren.“

Sollte Sergal die Reha und dann den Weg in dieAdaption schaffen, wären seine Chancen auf ein straf- und drogenfreies Leben sehr gut.

Denn die Adaptionsphase hat nach Darstellung der Fachklinik hervorragende Erfolgsquoten: 50 Prozent der Betreuten hätten den Weg zurück in ein Arbeitsverhältnis, eine Ausbildung oder Umschulung gefunden, sagt Leiterin Stute und gibt stolz das Urteil einer Kollegin wieder: „Das sind traumhafte Ergebnisse für Langzeitarbeitslose.“ Der Fachkräftemangel wirke sich dabei positiv auf die Chancen der Betroffenen aus.

Stute kann auf einen Pool von 60 Betrieben in der Umgebung zurückgreifen: „ Das sind Handwerksbetriebe, die gerne Praktikanten von uns nehmen.“ Die Bewohner müssen sich selbst bewerben, sich vorstellen, zu ihrer Drogen-Vorgeschichte stehen. Stute: „Die wenigsten haben Nachweise, Zeugnisse. Praktikumsbescheinigungen. Sie fangen hier bei null an, sind aber möglicherweise schon 32.“ Diese Menschen bekämen die Chance, „sich in der Arbeit zu zeigen“ – dabei gebe es gelegentlich die schönsten Erfolgsgeschichten.

Stute: „Ein junger Mann, der noch nie mit der Altenpflege in Kontakt war, hat gesagt: Ich will die Adaption dazu nutzen, mal etwas anderes auszuprobieren.“ Das Heim habe dann begeistert angerufen: „Grandios. Warum bleibt er nicht in der Gegend? Wir würden ihn gerne in Ausbildung nehmen.“

Kritik an Arbeitsverwaltung

Die Früchte ihrer Adaptionsarbeit sehen Stute und Rinder durch die rigide Haltung des Jobcenters bedroht. Rinder: „Ich finde, es ist eine ganz fatale Fehlentscheidung.“ Stute ergänzt sarkastisch, die Haltung der rheinisch-bergischen Sozialverwalter sei ein „Alleinstellungsmerkmal“; andere Ämter entschieden anders. Nun müssten die Sozialgerichte entscheiden. Das Jobcenter weist die Vorwürfe zurück und beruft sich auf eine geänderte Rechtsprechung des Bundessozialgerichtsdes Bundessozialgerichtes.

Angst vor dem Rückfall

Ex-Dealer Sergal gewährt im Gespräch mit dieser Zeitung einen Einblick in sein Innenleben. Ob er gedealt habe, um seinen eigenen Drogenkonsum zu finanzieren? Ja, das habe er dem Richter erzählt, „aber das war Pillepalle. Ich habe pro Woche fast 6000 Euro gemacht, das waren im Monat über 20 Mille.“

Seine Mutter habe ihm früher immer seine erfolgreichen Cousins aus Dänemark vorgehalten. Sie habe ihm aber nie Mut gemacht, dass auch er es zu etwas bringen könne. „Da habe ich mir gedacht: Wenn die das so machen, mache ich das mit der Dealerei und verdiene das Doppelte. Ein Professor verdient nicht das, was ich verdient habe.“

So aufschneiderisch, wie diese Sätze klingen mögen, wirkt Sergal im Gespräch aber nicht. Ja, er sorge sich, dass er es mit der Abstinenz vielleicht doch nicht schaffen werde, gibt er zu. Eine Furcht, die jeder Ex-Raucher kennt – mit dem Unterschied, dass der Absturz eines rückfälligen Rauchers weitaus weniger tief ist. Eine Sorge, die jeder frühere Raucher kennt – allerdings ist der Sturz eines Nikotinabhängigen bei einem Rückfall bei weitem nicht so tief wie er bei Sergal A. wäre.

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