Abo

VerschuldungRheinisch-Bergische Kommunen in Zeiten der Finanznot

Lesezeit 6 Minuten
In den Rats- und Ausschusssitzungen im Bensberger Rathaus wird über vieles beraten, auf das die Kommunalpolitiker keinen Einfluss haben.

In den Rats- und Ausschusssitzungen im Bensberger Rathaus wird über vieles beraten, auf das die Kommunalpolitiker keinen Einfluss haben.

  • In Zeiten einer Finanzkrise Kommunalpolitiker zu sein ist kein Vergnügen, weil man kaum noch etwas bewegen kann.
  • Wer sich einmal mit dem Anspruch hat wählen lassen, die Zukunft seiner Heimatstadt mitzugestalten, hat längst feststellen müssen, dass er nur noch den Mangel verwaltet.

Rhein-Berg – Schulden bis unters Dach, Steuersätze hoch wie nie, und an den Schulen bröckelt der Putz: Die Städte und Gemeinden im Bergischen Land haben es nicht leicht in diesen Zeiten. Und mittendrin sitzen ehrenamtlich tätige Politiker in den Räten und sollen den Karren wieder flottmachen. Aber wie?

Kommunalpolitiker zu sein ist kein Vergnügen mehr, weil man kaum noch etwas bewegen kann. Wer sich einmal mit dem Anspruch hat wählen lassen, die Zukunft seiner Heimatstadt mitzugestalten, hat längst feststellen müssen, dass er nur noch den Mangel verwaltet.

Kommunen sind mit 816 Millionen Euro verschuldet

So könne es nicht weitergehen, hat unlängst der Städte- und Gemeindebund NRW festgestellt. Das gesamte System der kommunalen Eigenverwaltung droht zu kollabieren, weil der Schuldenberg stetig wächst. Allein die Kommunen im Rheinisch-Bergischen Kreis sind mit 816 Millionen Euro verschuldet (Stand Ende 2014). In Overath zum Beispiel hat jeder Bürger rein rechnerisch 4386 Euro Schulden. Bergisch Gladbach kommt auf immerhin 3340 Euro.

Alles zum Thema RWE

Diese Zahlen sind im vergangenen Jahr noch einmal gestiegen, weil die Sozialausgaben etwa für Unterkunft und Heizkosten für Hartz-IV-Empfänger immer größer werden. Während Bund und Land ihre Schulden abbauen konnten, bleiben die Kommunen auf der Verliererseite. Das System funktioniert nicht mehr.

Was also tun, damit die Kommunalpolitik wieder etwas bewegen kann? In einer Artikelserie versucht diese Zeitung, in den kommenden Wochen eine Antwort auf diese Frage zu finden. Den Auftakt machen zwei Interviews. Mit einem erfahrenen Fahrensmann, der noch weiß, welche Möglichkeiten die Kommunalpolitik vor 40 Jahren hatte. Und einem Neueinsteiger, der trotz aller Probleme die Hoffnung nicht aufgegeben hat, doch etwas bewegen zu können.

Interview mit Holger Müller (CDU)

Herr Müller, die Kommunalpolitik ist einem Wandel unterworfen, weil sie kaum noch etwas bewegen kann. Liegt das nur am fehlenden Geld? Es ist richtig, dass sich die Zeiten völlig geändert haben. Die Finanzausstattung war früher auch nicht besser, aber wir hatten viel mehr Freiraum, denn wir hatten ja auch keine Schulden. Heutzutage ist die Kommunalpolitik in großem Maße Vollstrecker gesetzlicher Anforderungen. Vieles von dem, was wir machen, müssen wir machen. Und das wird auch in absehbarer Zeit so bleiben.

Fehlen in den Räten  nicht auch die „Typen“, also die Politiker, die im Interesse der Sache unbequem sind?

Die gibt es schon noch. Aber der rebellische Ansatz ist nicht mehr ganz so ausgeprägt wie früher. Dafür gibt es mehr Karrieristen. Wir hatten aber früher auch mehr Zeit – und mehr Anlässe, uns für die Politik zu interessieren. Dann wurden die Räte immer größer und die Fraktionen immer zahlreicher. Das ist alles sehr zeitaufwendig geworden und für Ehrenamtler nur schwer zu leisten.

Und doch lebt die Kommunalpolitik gerade von diesen Ehrenamtlern.

Ja. Es gibt nach wie vor eine hohe Bereitschaft in der Bevölkerung, sich für  die eigene Stadt oder Gemeinde zu engagieren. Dieses Engagement muss gestärkt werden.

Ist es nicht  auch sinnvoll, manchmal über den eigenen Kirchturm hinaus zu blicken und mit seinem kommunalpolitischen Wirken nicht immer an der Stadtgrenze aufzuhören?

Man kann den Menschen nicht verdenken, zunächst an ihren Lebensmittelpunkt zu denken. Dort sitzen ja auch die Wähler. Aber es ist auch so, dass die interkommunale Zusammenarbeit bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht funktioniert. So würde zum Beispiel eine kreisweite Gewerbeflächenentwicklung Sinn machen. Das ist jedoch nicht umsetzbar.

Um Geld in die Kassen zu bekommen und die Verwaltung von lähmenden Aufgaben zu befreien, hat die IHK Köln schon im Jahr 2003 eine  Privatisierung vieler Gewerke gefordert.

Die Privatisierung ist kein Allheilmittel. Es ist nämlich die Frage, ob Private  dieselbe Leistung günstiger erbringen können. Bei uns in Rhein-Berg sind  vielerorts die Müllgebühren relativ stabil geblieben, eben weil sie nicht von Privaten erhoben werden. Andererseits ist regelmäßig zu prüfen, welche Beteiligung noch Sinn macht. Die RWE-Aktien zum Beispiel hätte der Kreis rechtzeitig verkaufen sollen. Jetzt sind sie im Keller, jetzt lohnt es sich nicht mehr. Aber hinterher ist man immer schlauer.

Zur Person:

Holger Müller (68), seit 1969 CDU-Mitglied, zählt zu den drei Kreistagsmitgliedern, die seit der Neubildung des Rheinisch-Bergischen Kreises  1975 ununterbrochen dabei sind. Seit 2000 ist er Fraktionsvorsitzender, seit  2005  Landtagsabgeordneter. Er ist zudem Kreisvorsitzender der Senioren-Union.

Interview mit Kastriot Krasniqi (SPD)

Kastriot Krasniqi sitzt für die SPD im Bergisch Gladbacher Stadtrat

Herr Krasniqi, als Sie 2008 in die SPD eintraten, waren Sie 16 Jahre alt. Warum will man in einem so jungen Alter Kommunalpolitiker werden?

Kastriot Krasniqi: Ich habe mich damals an einem SPD-Infostand in Bergisch Gladbach für die Politik gewinnen lassen. Ich habe dann mit dem Anspruch angefangen, sofort vieles bewegen  und verändern zu können. Aber die  Realität hat mich schnell eingeholt.

Die Realität in der SPD?

Nein, die Realität in einer Stadt, die kein Geld mehr hat, um wirklich etwas bewegen zu können. Was nützen die schönsten Ideen, wenn man sie mangels Finanzen nicht umsetzen kann?

Also sind Sie mit 23 Jahren mittlerweile auf dem Boden der Realität gelandet?

Ja, trotzdem habe ich als Kommunalpolitiker noch viele Ziele. Ich habe schnell verstanden, dass es auch eine sinnvolle Aufgabe sein kann, das bisschen Geld, das noch da ist, sinnvoll einzusetzen.

Wo wäre es dann sinnvoll eingesetzt?

Die Sanierung der Schulen ist ein großes Thema. Ich stehe beispielsweise in Kontakt mit meiner ehemaligen  Schule in Paffrath und versuche  zu helfen und gegenüber der Stadtverwaltung zu vermitteln, wenn es dort ein Problem gibt.  Auch  Kindergartenplätze sind wichtig.

Was sagen Ihre Alterskollegen zu Ihrem Engagement in der Kommunalpolitik?

Die finden das gut. Sie sind politisch sehr interessiert, viele finden aber nicht die Zeit, sich selbst einzubringen und in einer Partei mitzumachen. Auch für mich ist das schwierig, wo ich doch in der Ausbildung bin. Kapitulation kommt also nicht in Frage? Nein. Ich sehe das als Herausforderung.

Wer ist denn schuld an der Misere?

Bund und Land geben immer mehr Aufgaben an die Kommunen ab, lassen sie aber mit der Finanzierung oft allein. Ich würde ja auch nicht erwarten, dass jemand für mich einkaufen geht,  ohne ihm  genügend Geld für den Einkauf mitzugeben.

Lohnt sich die Tätigkeit in der Kommunalpolitik denn finanziell?

Nein, um einen persönlichen Gewinn zu machen, tut sich das niemand an.   Schließlich haben wir  auch die Aufgabe, an die Zukunft zu denken. Nach uns kommt ja jemand.

Zur Person:

Kastriot Krasniqi (23) kam im Alter von zweieinhalb Jahren aus dem Kosovo nach  Gladbach. Zurzeit absolviert er eine Ausbildung zum Sozialversicherungsfachangestellten bei der AOK. Er ist Mitglied der SPD-Fraktion im Gladbacher Rat und vertritt dort seinen Wahlkreis Paffrath Nord/Nussbaum.

KStA abonnieren